Stress in der Uni:Studieren bis zur Erschöpfung

Schlafstörungen, Magenkrämpfe, Beruhigungsmittel: Viele Hochschüler fühlen sich gestresst und überfordert, die Zahl der Hilfesuchenden wächst.

Florian Meyer

Wenn sich Martin an die Uni-Zeit erinnert, fällt ihm als erstes jener Satz ein, den er während des letzten Semesters zu seiner Mitbewohnerin sagte: "Wenn ich jetzt über die Straße gehe, könnte mich auch ein Laster überfahren, das würde keinen Unterschied machen." Heute findet er den Satz sehr hart, aber so schlimm und traurig sei die Zeit während seines Chemie-Bachelors eben gewesen. Nichts habe ihm mehr Freude gemacht, nicht mal an den Wochenenden konnte er ausspannen: Die Hausarbeiten und Seminare, die vielen Prüfungen, im Schnitt neun pro Semester. Immer gab es zu tun. Bis es ihm zu viel wurde.

Stress in der Uni: Der Druck auf Studenten hat zugenommen. 2007 suchten 66.000 von ihnen psychologischen Rat.

Der Druck auf Studenten hat zugenommen. 2007 suchten 66.000 von ihnen psychologischen Rat.

(Foto: Foto: ddp)

Martin konnte nicht mehr schlafen, war aber den ganzen Tag müde, er hatte keinen Appetit und hörte ein Piepen im Ohr: die Symptome eines Burnouts, unter dem normalerweise Manager mit mehr als 60 Wochenstunden leiden. Nach fünf Semestern an der kleinen Hochschule in Norddeutschland war auch Martin, der Chemiestudent, völlig ausgebrannt. Mit Beruhigungsmitteln quälte er sich durch die verbleibenden Semester und die Prüfungen, anschließend ging er in Therapie. Das war kurz vor Weihnachten vor einem Jahr.

Derzeit sucht Martin nach einer Stelle. Weil viele Personalabteilungen Burnout als Schwäche werten könnten, möchte er nicht, dass sein richtiger Name in der Zeitung steht. Seine Geschichte will er dennoch erzählen. Erst nach seiner Krankheit habe er akzeptiert, dass es anderen ähnlich ging wie ihm - und dass es normal ist, sich helfen zu lassen. Die meisten Studentenwerke bieten psychologische Beratungsstellen an den Hochschulstandorten an.

Versagensängste und Beratungsbedarf

Die Nachfrage nach einer solchen Beratung ist in den vergangenen Jahren gestiegen: 2007 suchten deutschlandweit 66.000 Studenten psychologischen Rat, ein Jahr später waren es etwa 20 Prozent mehr. Der Druck auf die Studenten habe zugenommen, sagt der Generalsekretär des Deutschen Studentenwerks, Achim Meyer auf der Heyde. Versagensängste und Finanznöte führten zu steigendem Beratungsbedarf.

Bei manchen Studenten löst der Stress Schlafstörungen und Magenkrämpfe aus, sagt Wilfried Schumann. In schweren Fällen komme es zu Depressionen oder Angstattacken, den typischen Symptomen eines Burnout-Syndroms. Schumann ist Leiter der psychosozialen Beratungsstelle des Studentenwerks Oldenburg. Seit einigen Jahren bemerkt er eine zunehmende Verunsicherung bei Studenten. Als mögliche Auslöser sieht Schumann das neue Bachelor- und Master-System, die Studiengebühren und die weitgehende Übertragung der Studentenauswahl an die Hochschulen. Die beschleunigte Schulzeit und der Exzellenzwettbewerb der Universitäten würden den Druck zusätzlich erhöhen.

Keine Schwächen erlaubt

Auch Martin litt unter dem Leistungsdruck. Alle Klausuren seines Studiengangs flossen in die Abschlussnote ein. Schwächen konnte er sich kaum erlauben, denn bereits zu Beginn des Studiums wusste er, dass nur die Besten in einen weiterführenden Masterstudiengang aufgenommen würden. Oft habe er sich gefragt, wer besser war als er, sagt Martin. "Das vergiftet das Verhältnis unter den Studenten."

Fehler suchte Martin vor allem bei sich selbst: Am Anfang konnte er sich noch durch gute Noten motivieren. Als die jedoch ausblieben, fiel er in ein Loch. Am Wochenende pendelte er nach Hause, deswegen hatte Martin kaum Freunde an der Uni, keinen Sportverein am Studienort, keinen Ausgleich. Unter der Woche lud er sich so viel Arbeit auf, dass er abends nicht ausgehen konnte. Er blieb entweder daheim oder in der Bibliothek, trotzdem ging er oft erst um ein Uhr ins Bett. Vor Prüfungen lernte Martin mehr als zwölf Stunden am Tag. Schon in den ersten Semestern musste er genügend Punkte sammeln, um rechtzeitig ins Praktikum gehen zu dürfen.

Überfrachtete Studienpläne

Mit zunehmender Semesterzahl wurden seine Noten schlechter und der Stress begann, ihn körperlich zu belasten. Martin litt an Schlafstörungen, an Schwindelgefühl, Ohrenschmerzen und Essstörungen. Erst dachte er, er sei krank. Martin ging zum Arzt, ließ seinen Blutdruck und den Vitaminhaushalt überprüfen. Der Arzt merkte aber gleich, dass der Student überarbeitet war, er verschrieb ihm Beruhigungsmittel. Das war während der Prüfungszeit im siebten Semester. Ein halbes Jahr musste Martin noch durchhalten, nahm die Medikamente und kämpfte sich durch die Klausuren. Dabei machte er sich Vorwürfe: "Ich verdiene kein Geld. Ich kann meinen Eltern nicht antun, dass ich jetzt nicht einmal mein Studium schaffe."

Doch Martin bestand am Ende seine Prüfungen und nahm sich anschließend eine Auszeit. Im Nachhinein ärgert er sich über seine Uni. Der neue Bachelor-Studiengang habe nicht gut funktioniert. Die Studienpläne seien überfrachtet gewesen, und immer wieder sei der Studienplan umgebaut worden. Viele Bachelor-Studenten, vor allem in den Ingenieurs- und Naturwissenschaften, fühlen sich überfordert und brechen früh ihr Studium ab.

Schuld ist nicht nur Bologna

Der Bologna-Prozess allein sei aber nicht der Auslöser für die steigende Nachfrage nach psychologischer Beratung, glaubt Kay-Uwe Solisch, Psychologe beim Studentenwerk in Leipzig. Die Umstellung auf Bachelor und Master habe mit allen ihren Fehlern durchaus auch positive Entwicklungen. Zum Beispiel könnten Bachelor-Studiengänge mit ihren strukturierten Studienplänen mehr Halt bieten für Studenten, die Probleme im Zeitmanagement haben.

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