Burn-out Prävention:Ständig erreichbar, immer gestresst

Wenn das Handy ständig klingelt: Laptop und Blackberry können das Arbeiten erleichtern oder erschweren - es liegt an uns, das Beste daraus zu machen.

Silke Bigalke, Sibylle Haas und Thorsten Riedl

München - Der Manager steckte in einem echten Zwiespalt, als er vergangene Woche Rat bei der Psychotherapeutin Dagmar Ruhwandl suchte. Er wollte wegfahren, mal ausspannen. Sein Chef hatte ihm jedoch gesagt, er solle auch im Urlaub erreichbar sein. Ruhwandl, die eine Praxis für Burn-out-Prävention leitet, hört solche Geschichten häufig. "In dieser Situation muss jeder für sich eine Kosten-Nutzen-Rechnung aufstellen", sagt sie. "Was bringt es mir, stets erreichbar zu sein, für die Karriere und privat?" Der Manager hat schließlich seine Sekretärin zum Nadelöhr gemacht: Sie soll nun alle Anfragen sammeln und nur die wichtigen an ihn weiterleiten.

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Oftmals verwischen die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit - doch wer für seinen Chef oder seine Kunden ständig per Email oder Handy erreichbar ist, riskiert seine Gesundheit.

(Foto: dpa)

Hartnäckig hält sich die Annahme, Arbeitnehmer müssten jederzeit erreichbar sein, wenn sie ein Dienst-Blackberry oder -Mobiltelefon besitzen. Chefs lassen ihre Mitarbeiter gerne in diesem Glauben. Doch es ist ein Trugschluss: "Arbeitnehmer müssen nicht rund um die Uhr bereit stehen", sagt Frank Achilles, Fachanwalt für Arbeitsrecht bei der Kanzlei Heisse Kursawe Eversheds in München. Denn es gibt das Arbeitszeitgesetz. "Danach darf jemand höchstens zehn Stunden am Tag arbeiten und maximal 48 Stunden in der Woche. Auch Sonntagsarbeit bleibt verboten", betont er. Natürlich gibt es Ausnahmen. Die gelten etwa für Krankenschwestern und Ärzte.

Selbst für Führungskräfte gilt das Arbeitszeitgesetz. "Nur weil jemand weisungsbefugt ist, bedeutet nicht, dass für ihn andere Regeln gelten", meint der Jurist. Anders ist das bei leitenden Angestellten oder Geschäftsführern. Von diesen werde oft verlangt, dass sie ihre "gesamte Arbeitskraft" zur Verfügung stellen. Steht so ein Passus im Vertrag, dann impliziere dies auch eine "lückenlose Verfügbarkeit", erklärt Achilles.

Es sei sinnvoll, in Betriebsvereinbarungen Handy- oder E-Mail-freie Zeiten festzulegen, sagt der Anwalt. "Denn wenn die Mitarbeiter durch die Kommunikationsmittel ständig erreichbar sind, können sie sich auch selbst überfordern. Das blinkende Blackberry kann die Menschen krank machen", sagt Achilles.

Was technisch problemlos möglich ist, kann für Menschen zur Überlastung werden. "Die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit sind aufgeweicht, wir können nicht mehr abschalten", sagt Therapeutin Ruhwandl.

Erholung ist wichtig. Wer es nicht schafft, Zeit dafür zu schaffen, wird früher oder später krank. Die ersten Warnsignale sind bei jedem anders: "Der eine kann nicht mehr schlafen, der andere hat Rückenschmerzen, Magenschmerzen oder ein Rauschen im Ohr", sagt Ruhwandl. Am Ende stehen Depression und Burn-out. Solche Erkrankungen nehmen zu, bei jedem fünften Erwerbstätigen wurden bereits psychische Störungen diagnostiziert, ergab eine Erhebung der Techniker Krankenkasse (TK) Anfang des Jahres. Die TK macht dafür in erster Linie die ständige Erreichbarkeit, Termindruck und eine Flut an Informationen verantwortlich. Jeder zehnte Fehltag war 2010 auf psychische Erkrankungen zurückzuführen, ergab auch eine Analyse der AOK.

Eingeborene der digitalen Welt

Nicht nur unterwegs, auch am Schreibtisch werden Mitarbeiter durch E-Mails und Anrufe überflutet. Weil längst nicht mehr genug Zeit für alles ist, müssen wir viele Dinge gleichzeitig machen. "Es ist ein Trugschluss zu glauben, wir könnten das", sagt Arbeitspsychologe Thomas Rigotti. "Wenn wir telefonieren und gleichzeitig eine Mail schreiben, läuft das nur pseudoparallel. In Wahrheit switchen wir innerlich im Sekundentakt hin und her. Das ist nervenaufreibend und nicht effektiv." Jede Unterbrechung schneidet den Arbeitsfluss ab und wir müssen jedes Mal neu entscheiden, mit welcher Aufgabe wir weiter machen. Das kostet viel Zeit. "Am Ende des Tages ist man nicht fertig geworden, ist unzufrieden mit sich selbst und denkt auch nach Feierabend mit Sorge an den nächsten Tag", sagt Rigotti.

Friedrich Roman ist in einer Branche tätig, die feste Arbeitszeiten nur auf dem Papier kennt. Er berät als Partner bei Booz & Co. vor allem Firmen aus der Telekommunikationsbranche. Nicht nur eine geregelte Tätigkeit ist ihm fremd, auch sein Büro sieht er selten. "Einen festen Schreibtisch gibt es, aber der hat immer weniger Bedeutung", sagt er. "Ich bin ich häufig beim Kunden vor Ort." Erreichbar sein muss er trotzdem. In der Woche wird schnelle Antwort auf E-Mails erwartet, fast rund um die Uhr. Er bearbeitet die Anfragen, wie sie kommen, dank Blackberry und Notebook: "Im Taxi, am Flughafen oder beim Kunden." Roman hat seinen Takt gefunden: Ständige Erreichbarkeit in der Woche, nur in Notfällen am Wochenende. "Das haben wir bei Booz & Co. nicht festgeschrieben", sagt er. "Aber klar ist, dass man Ruhezeiten zur Entspannung und für die Familie benötigt." Das sehen sogar die Kunden ein.

Dauerhafte Leistungsfähigkeit

Andere Firmen regeln den Umgang mit E-Mails. So hat die Deutsche Telekom im vergangenen Jahr eine Richtlinie erlassen. "Ein Unternehmen darf nicht komplett über die Zeit seiner Mitarbeiter verfügen", sagt Thomas Sattelberger, Personalvorstand der Telefongesellschaft. Blinkt der Blackberry der Telekom-Angestellten in der Freizeit und zeigt so den Empfang von E-Mails an, besteht keine Pflicht zur umgehenden Antwort, außer in dringenden Situationen, "in denen ein unmittelbares Handeln erforderlich ist", erklärt ein Sprecher.

Die Arbeitsrechts-Expertin beim Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB), Martina Perreng, hält solche Vereinbarungen "für überflüssig, weil ein Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung ohnehin nur in der Arbeitszeit erbringen muss". Auch Rufbereitschaft in Notfällen könnten Arbeitgeber nicht so einfach anordnen, betont Perreng. Rufbereitschaft müsse im Arbeitsvertrag geregelt werden, erklärt sie. "Allerdings ist es einem Abteilungsleiter eher zuzumuten, dass er in Notfällen einspringt, als einem einfachen Angestellten", sagt die DGB-Frau.

Dagegen findet Jurist Achilles die Telekom in diesem Fall beispielhaft. Arbeitgeber hätten eine Fürsorgepflicht für ihre Mitarbeiter. Sie müssten dafür sorgen, dass arbeitsfreie Zeiten eingehalten und die Balance von Arbeit und Entspannung gehalten wird. "Es ist nicht im Sinne des Arbeitgebers, wenn sich Mitarbeiter aufarbeiten und dann vielleicht durch ein Burn-out für lange Zeit ausfallen", betont der Anwalt. Ziel müsse es sein, die Beschäftigten dauerhaft leistungsfähig zu halten. "Das senkt die Krankheitsquote und damit auch die Kosten", sagt er.

Eine neue Generation von Arbeitnehmern

Die E-Mail ist inzwischen nur noch ein Teil des Problems. Die erste Mail wurde vor 40 Jahren verschickt, es handelt sich um eine Technik des vergangenen Jahrtausends. Die jungen Absolventen der Hochschulen, die jetzt ihren ersten Job bei Unternehmen beginnen, kommunizieren ganz anders. Sie schreiben in Kurznachrichten auf Twitter, wie es ihnen gerade geht, oder befreunden sich mit ihren Vorgesetzten auf dem sozialen Netz Facebook. Firmen reagieren auf die neue Generation von Arbeitnehmern: Beim Softwarehaus SAP gibt es SAP-Talk, das Twitter ähnelt, Chiphersteller Intel setzt auf Planet Blue, ein Intranet-Portal ähnlich zu Facebook, und bei der Telekom gibt es Wikis, in denen jeder Mitarbeiter sein Wissen einstellt. "Jeder kann mitmachen und seine Ideen mit anderen teilen", sagt ein Sprecher.

Digital Natives werden die junge Angestellten-Generation auch genannt: Eingeborene der digitalen Welt. Sie sind mit dem Netz aufgewachsen - und mit der Informationsflut. Sie haben gelernt, damit klarzukommen. Laut Studie des Hightech-Branchenverbandes Bitkom fühlen sich 61 Prozent aller Deutschen durch die Vielzahl der Informationen gestresst. Bei den unter 30-Jährigen sind es weniger: nicht mal 30 Prozent. "Für die Jungen verwischen die Grenzen zwischen privater und beruflicher Kommunikation", sagt Booz-Berater Roman. Sie seien ständig im Netz, always on, unabhängig von Vorgaben des Arbeitgebers. "Das ist Teil des Lebensgefühls. Die Alten werden da von den Jungen lernen."

Arbeit ohne Grenzen - Wie viel Mobilität verträgt der Mensch?" lautet der Titel des SZ-Forums im Rahmen der ARD-Themenwoche. Sie beschäftigt sich damit, wie Mobilität unser Leben beeinflusst und verändert. Die Podiumsdiskussion wird von Süddeutscher Zeitung, ARD und Bayerischem Rundfunk organisiert. Sie findet statt am 24. Mai um 19 Uhr im Großen Sitzungssaal des Bayerischen Rundfunks in München. Ebenfalls am 24. Mai beginnt die neue SZ-Serie im Wirtschaftsteil "Die Zukunft der Arbeit". Sie beschäftigt sich mit den vielfältigen Formen der Arbeitswelt. Die Serie schlägt den Bogen von den Anfängen der Industrialisierung bis zu den neuen Herausforderungen durch die Globalisierung.

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