Stress an der Uni:Jobben und studieren bis zur Depression

Immer mehr ausgelaugte Studenten suchen psychologischen Beistand bei den Studentenwerken - auch diese rufen nun um Hilfe.

Ralf Steinbacher

Von Anfang an ist der Druck im Bachelor-Studium hoch - das stresst viele Studenten, manche macht es sogar krank. Die Zahl derjenigen wächst, die in den psychosozialen Beratungsstellen der Studentenwerke auf Hilfe hoffen. In Karlsruhe steigt die Nachfrage mit jedem Jahr um zehn bis 15 Prozent. Auch München meldet wachsende Zahlen, Essen, Kassel, Bremen, wo man auch nachfragt: Die Berater haben immer mehr zu tun.

Studentenstreik an der Münchner LMU, 2009

Erschöpft vom Jobben und Studieren: Hochschüler suchen immer häufiger psychologische Hilfe auf.

Doch auf Geld der Länder für den Ausbau ihrer Angebote können sich die Studentenwerke als Anstalten des öffentlichen Rechts nicht verlassen. Das Deutsche Studentenwerk (DSW) verlangt nun von Bund und Ländern mehr Unterstützung. DSW-Präsident Rolf Dobischat sagt, dass die Studentenwerke in den vergangenen Jahren die psychologische und soziale Beratung stark ausgebaut hätten - "allerdings ohne einen Cent zusätzlicher staatlicher Unterstützung".

Es gibt mehrere Ursachen für den Beratungsboom, doch ein besonders wichtiger Faktor - da sind sich die Berater einig - sind die veränderten Rahmenbedingungen des Studiums. Julia Thonfeld vom Studentenwerk Kassel erklärt das so: "Gerade Studierende aus Bachelor-Studiengängen empfinden einen permanenten Prüfungsdruck." Besonders belastend sei es, wenn nebenher noch gearbeitet werden müsse.

Erhebungen des DSW und des Hochschul-Informations-Systems (HIS) in Hannover zeigen, dass bundesweit zwei Drittel der Studenten erwerbstätig sind, ein großer Teil von ihnen nicht nur in den Ferien, sondern auch während der Vorlesungszeit. Die Hälfte von ihnen sagte in den Befragungen, das Jobben sei zum Lebensunterhalt nötig, nicht für kostspielige Extrawünsche. Wenn dann Schwierigkeiten an der Uni vorschnell als persönliche Misserfolge gedeutet würden, begännen manche an ihrer Eignung für ein Studium zu zweifeln, sagt Beraterin Thonfeld.

Am häufigsten kämen Studierende mit Symptomen einer depressiven Verstimmung, also Erschöpfung und Selbstzweifeln, sagt Swantje Wrobel. Sie leitet die Psychologisch-Therapeutische Beratungsstelle des Studentenwerks in Bremen. "Dies ist klinisch zu werten als Reaktion auf länger dauernde Überforderung."

Die Patienten werden immer jünger

Diese führt nach einer HIS-Analyse in Bachelor-Studiengängen häufiger als in den früheren Diplom-Studiengängen dazu, dass Studenten aufgeben. Jeder fünfte Student hört vorzeitig auf, vor allem in Ingenieurstudiengängen ist der Anteil der Abbrecher gestiegen.

Das Geld fließt in den Magen

Die Studentenwerke, für welche die Bundesländer zuständig sind, finanzieren sich hauptsächlich über die Einnahmen ihrer eigenen Mensen, Cafeterien und Wohnheime. Landeszuschüsse zum laufenden Betrieb machen durchschnittlich etwa elf Prozent aus. Aktuell erhöhen zwar große Länder wie Nordrhein-Westfalen oder Bayern ihre Beihilfen an die Studentenwerke im niedrigen zweistelligen Prozentbereich, doch in den Jahren zuvor waren die Zuwendungen nach DSW-Angaben kontinuierlich zurückgefahren worden. Es bleibt den Studentenwerken selbst überlassen, wie sie die Zuschüsse, die schwerpunktmäßig für Mensen oder Wohnheime gedacht sind, verwenden. Wenn nötig, schlägt das bayerische Wissenschaftsministerium vor, könnten sie ja intern umschichten.

Durch die Aussetzung der Wehrpflicht und die doppelten Abi-Jahrgänge kommt aber ein Ansturm junger Studenten auf die Hochschulen zu. Geld speziell für den Ausbau der Beratungsstellen gibt es bisher aber nicht, auch wenn etwa Niedersachsen dies derzeit prüfen lässt.

Im Vordergrund bei studentischen Anfragen an Beratungsstellen stehen laut DSW zwar finanzielle Themen, aber gleich darauf folgen leistungsbezogene Probleme. In der Beratungsstelle München haben sich 2009 etwa 3,5 Prozent mehr Studierende gemeldet als im Vorjahr, 2008 betrug die Steigerung sogar 20 Prozent. Bemerkenswert finden die Münchner den Trend, dass immer jüngere Studierende kommen. Knapp ein Viertel war nicht älter als 22 Jahre, was daran liege, dass für den Bachelor vom ersten Semester an Prüfungen zu bewältigen seien.

Das Problem: Sie wollen perfekt sein

Umdrehen könne man den Trend nur durch strukturelle Veränderungen beim Bachelor, sagt Sabine Stiehler vom Studentenwerk Dresden: "Weniger Stunden, weniger Prüfungen, mehr Möglichkeit zum freien Studieren." Korrekturen sind zwar schon eingeleitet, werden ihre Wirkung aber erst in der Zukunft entfalten. Einem Studenten, der heute verzweifelt ist, hilft das nicht. Die Beraterin Thonfeld rät, mit Hobbys ein Gegengewicht zum Studienalltag zu schaffen - und sich "vor allem vom Anspruch zu verabschieden, perfekt sein zu müssen".

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: