Stress am Arbeitsplatz:Einfach mal den "Off"-Knopf drücken

Stress am Arbeitsplatz macht krank: Körperliche Leiden und schlimmstenfalls Burn-out sind die Folge. Die Gewerkschaft IG Metall fordert eine "Anti-Stress-Verordnung", die Arbeitnehmer vor der zunehmenden psychischen Belastung schützen soll.

Verena Wolff

Der Tag beginnt mit einem schnellen Blick in den Computer - und so endet er auch. Zu Hause, im Schlafanzug. Nach zwölf, vierzehn, sechzehn Stunden oder noch später. Dazwischen: Von Termin zu Termin hetzen, Meetings, Präsentationen, Besprechungen, Telefonieren, E-Mails lesen und schreiben. Und in kleinere oder größere Zeitfenster die eigentliche Arbeit hineinquetschen. Ständig erreichbar sein: über das Smartphone, den Tablet-Rechner und den Laptop.

Kündigung

Die Zeitbombe Arbeitsstress: Aufs Gegensteuern kommt es an, meinen Experten.

(Foto: iStock)

Eine "Anti-Stress-Verordnung" soll nach dem Willen der IG Metall Arbeitnehmer künftig vor dem Burn-out-Syndrom und anderen psychischen Erkrankungen schützen. Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) müsse per Verordnung nach dem Arbeitsschutzgesetz verbindliche Regeln zum Schutz vor psychischen Gefährdungen in der Arbeitswelt aufstellen, forderte IG-Metall-Vorstandsmitglied Hans-Jürgen Urban am Dienstag bei der Vorstellung des Jahrbuches "Gute Arbeit 2012" in Berlin. Darin geht es um das Thema "Zeitbombe Arbeitsstress - Befunde, Strategien und Regelungsbedarf".

Die Verordnung solle etwa Regeln für Lage und Verteilung von Arbeitszeiten, zum Vorgesetzten-Verhalten, zur Taktung von Arbeitsabläufen oder auch zu Grenzen für Belastung durch Projektarbeit enthalten, sagte Urban. Vielfach entstehe der Eindruck, als diene vielen Verantwortlichen das "öffentliche Getöse" über den Burn-out nicht als Antrieb, sondern als Ersatz für entschiedenes Handeln. "Unterlassene Prävention ist sehr teuer; Investitionen in den Gesundheitsschutz sind deshalb allemal wirtschaftlicher." Nach Angaben des Bundesamtes für Statistik betragen die jährlichen Behandlungskosten für psychische Erkrankungen rund 27 Milliarden Euro.

Aufs Gegensteuern komme es an, sagt Frank Meiners, Psychologe bei der Deutschen Angestellten-Krankenkasse (DAK). "Das iPhone hat auch einen Aus-Knopf." Daher brauche niemand dem Irrtum verfallen, sich nicht abschotten zu können. Und: "Niemand muss sich als 'Opfer' der modernen Informationstechnologie darstellen."

Stress in der Arbeit kann krank machen - daran gibt es keinerlei Zweifel. Aber er ist nicht Auslöser für alle Beschwerden: "Stress ist nicht grundsätzlich negativ", sagt Meiners. "Stress empfindet jeder anders, der eine als Herausforderung, der andere mehr als Bedrohung. Objektiven Stress gibt es also nicht."

Keine Abschottung möglich?

Eine wichtige Ursache für den Stress im Büro und darüber hinaus sei die Arbeitsverdichtung, die in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen hat, sagt Jörg Feldmann, Sprecher der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin (BAuA). "Arbeitszeit und Freizeit verwischen, dabei kommen Ruhezeiten viel zu kurz", sagt er. Blackberry, Notebook und iPhone machen Arbeitnehmer überall erreichbar und arbeitsfähig, wie Psychologe Meiners sagt. "Das führt dazu, dass viele meinen, sie könnten sich kaum noch abschotten."

Stress mache dann krank, wenn er lange andauert und der Betroffene das Gefühl hat, bei Anforderungen zu wenig Bewältigungsmöglichkeiten zu haben. "Der Körper braucht Zeit zum Ausspannen", betont Feldmann. Zwar habe der Mensch Reserven, aber die Reservoirs müssen immer wieder gefüllt werden. "Wir sind kein Motor, der mit neuem Kraftstoff einfach weiterläuft." Muskeln und Gehirn brauchten schlicht Zeit und Ruhe, um sich zu regenerieren. Je mehr Stunden ein Mensch pro Woche arbeite, um so größer sei die Wahrscheinlichkeit für eine ganze Reihe von Erkrankungen - das belegen verschiedenste Studien.

Dabei unterscheidet sich der Stress von heute deutlich von dem, der Arbeitnehmer noch vor 50 Jahren geplagt hat, wie Psychologe Meiners sagt: "Die heutige Arbeitswelt ist wegen der modernen Informationstechnologie wesentlich schneller organisiert. Mehr Informationen werden heute in sehr kurzer Zeit verarbeitet." Das stelle hohe Anforderungen an die mentale Leistungsfähigkeit.

Unsicherheit ist Stress

Dauerhafte Fehlbelastung führe zu Erkrankungen und Störungen, sagt BAuA-Sprecher Feldmann. "Das gilt für zu geringe als auch zu starke Belastung." Dazu hat er interessante Zahlen parat: 15 Prozent der Arbeitnehmer fühlen sich einer Studie zufolge fachlich unterfordert, nur fünf Prozent überfordert. "Bei der Leistungsfähigkeit ist das Bild genau anders herum: Da fühlen sich nur fünf Prozent unterfordert, aber rund 17 Prozent überfordert."

Stress kann auch noch in ganz anderer Form daherkommen, von der Unsicherheit etwa, die mit vielen Arbeitsverhältnissen kommt: "Viele Menschen arbeiten in prekären Arbeitsverhältnissen wie Leiharbeit und Zeitarbeit. Dies verlangt maximale Flexibilität, Mobilität, Motivation und Belastbarkeit", sagt Meiners. Aber: "Je unsicherer Arbeitsplätze sind, um so mehr führt das zu Belastungen: Lebensplanungen werden erschwert und damit auch soziale Beziehungen."

Ein weiteres Problem: Doping am Arbeitsplatz. "Die hohen Anforderungen verleiten dazu, dauernd fit sein zu müssen und zu wollen", sagt Feldmann. Das bedeute für viele nicht nur, der lästigen Grippe zu entgehen, sondern ihre Leistung mit Pillen gezielt zu steigern. In einer Studie hat die DAK aufgedeckt, dass bis zu zwei Millionen Deutsche am Arbeitsplatz dopen. "Hirndoping bei Gesunden, mit Ritalin etwa, dürfte nach unserer Auffassung in den nächsten Jahren zunehmen", sagt Meiners. Das liege vor allem daran, dass "die Akzeptanz chemischer Substanzen zur Steuerung von Leistung und Stimmung größer werden dürfte".

Eine gefährliche Entwicklung - denn für viele Arbeitnehmer führt die gelegentliche, vermeintlich harmlose Pille in eine Abhängigkeit. "Das ist ein echter Kreislauf: Man nimmt erst was mit aufputschender Wirkung, um noch mehr Leistung zu bringen - und dann braucht man etwas zur Beruhigung, um wieder runterzukommen", sagt Feldmann. Die Versuchung sei groß, weil die Medikamente recht einfach zu beschaffen sind. "Wo Spitzenleistungen gefragt sind, ist die Versuchung groß, zu zweifelhaften Mitteln zu greifen."

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