Streit um Abschlüsse:Abitur soll mehr wert sein als Ausbildung

Politiker loben gern die Qualität der dualen Ausbildung in Deutschland. Dennoch wollen sie das Abitur in einem neuen Vergleichsmodell auf eine höhere Stufe stellen - mit enormen Folgen für Einstellungen und Löhne. Die Gewerkschaften laufen Sturm.

Mehmet Ata

Ist das Abitur mehr wert als eine Ausbildung? Welche Kompetenzen sind wichtiger: Shakespeare im Original lesen oder ein Computernetzwerk aufbauen zu können? Um diese Fragen ist ein großer Streit zwischen Gewerkschaften und den Spitzenverbänden der Wirtschaft auf der einen und den Kultusministern auf der anderen Seite entbrannt. Bei dem Konflikt geht es um den "Deutschen Qualifikationsrahmen" (DQR), der bis Ende des Jahres entwickelt werden soll.

Schüler

Abiturienten während der Prüfung: Ist ihre Leistung höher zu bewerten als das von Auszubildenden? Darüber streiten Kultusminister und Gewerkschaften.

(Foto: dpa)

Mit dem Stufenmodell sollen in Zukunft alle Abschlüsse vergleichbar werden, unabhängig davon, ob sie in der Schule, im Beruf, an der Hochschule und in der Weiterbildung abgelegt wurden. Acht Abstufungen sind vorgesehen, wobei immer Fachwissen und Sozialkompetenzen einberechnet werden.

Mit einem Hauptschulabschluss kommt man auf Stufe 2, mit einer Promotion auf Stufe 8. Später soll auch informelles Lernen in das Ranking einfließen. Nach einer Empfehlung der Europäischen Union erstellen alle Mitgliedsstaaten ähnliche Qualifikationsrahmen.

Die Beteiligten, neben den Sozialpartnern und den Kultusministern gehören auch Bildungsministerin Annette Schavan (CDU) und Vertreter aus der Wissenschaft dazu, haben sich weitgehend geeinigt. Strittig bleibt aber die Frage, auf welche Stufe das Abitur gehört, und auf welche die dualen Ausbildungen.

Gewerkschaften und Arbeitgeber fordern, Abitur, Fachabitur und dreijährige Ausbildungen gleichberechtigt auf die Stufe 4 zu stellen. Zweijährige Ausbildungen sollen der Stufe 3 zugerechnet werden. Doch die Kultusminister favorisieren die Zuordnung des Abiturs auf Stufe 5. Nach ihren Plänen würde der Großteil an Ausbildungen auf der Stufe 3 und 4 angesiedelt, nur in wenigen Fällen auf Stufe 5.

Weitreichende Konsequenzen

Gewerkschaften und Arbeitgeber laufen nun Sturm gegen die Kultusminister. In einem zweiseitigen Brief an Schavan, der der Süddeutschen Zeitung vorliegt, schreiben der DGB-Chef Michael Sommer und Otto Kentzler, Präsident des Zentralverbandes des Deutschen Handwerks: "Als Federführer für die Sozialpartner und Wirtschaftsorganisationen lehnen wir eine im Vergleich zur Allgemeinen Hochschulreife zu niedrige Zuordnung der Berufsbildung ab."

Sommer und Kentzler befürchten einen Attraktivitätsverlust für Ausbildungsberufe. "Immer weniger Absolventinnen und Absolventen von Gymnasien würden sich für eine duale Ausbildung entscheiden." Denn Abiturienten, die eine Ausbildung machen, fielen dann in vielen Fällen von Stufe 5 auf Stufe 4 zurück. Der Gewerkschafter und der Arbeitgebervertreter bitten Schavan, der "dualen Berufsausbildung den ihr gebührenden Platz im DQR einzuräumen".

Die Gewerkschaften sprechen intern sogar von einem regelrechten "Kulturkampf" mit den Kultusministern. Dass der Streit mit so einem großen Nachdruck geführt wird, verwundert nicht. Denn der Qualifikationsrahmen wird weitreichende Konsequenzen für das Arbeitsleben haben. Ab 2012 werden alle Zeugnisse mit einem Verweis auf das DQR-Niveau versehen.

Auch ist davon auszugehen, dass sich die Einstufungen auf die Einstellungspraxis von Unternehmen in ganz Europa auswirken werden. Und sie könnten über kurz oder lang auch Auswirkungen auf Tarifverhandlungen haben, etwa wenn Arbeitgeber mit dem Verweis auf die Stufen Lohnkürzungen in Ausbildungsberufen fordern.

Die nächste Kultusministerkonferenz am 20. Oktober könnte zu einer Klärung des Streits führen. Bleiben die Minister jedoch hart und wird das Abitur letztlich höher eingestuft als der Großteil der Ausbildungen, drohen Sommer und Kentzler mit einem Rückzug aus den Verhandlungen. "Die gemeinsame Grundlage, einen bildungsbereichsübergreifenden Qualifikationsrahmen zu schaffen, wäre zerstört."

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