Das sind so die Kämpfe, die derzeit ausgetragen werden. Vordergründig geht es nur um einen Konflikt zwischen Fachleuten und zwischen verschiedenen Lobbygruppen. Der Qualifikationsrahmen ist ja zunächst ohnehin eine Kopfgeburt. Womöglich hat er aber irgendwann reale Folgen für die Bürger - für ihr Einkommen, für die Aussicht, Stipendien zu erhalten, oder die Möglichkeit, bei einem Betrieb im Ausland zu arbeiten.
Und hinter dem Streit stecken sehr grundsätzliche Fragen: Welchen Stellenwert in der Gesellschaft haben die akademische und die berufliche Bildung? Wie ist das Verhältnis zwischen theoretischen und praktischen Fähigkeiten? Wie durchlässig sind die Schulen und Universitäten?
Das sogenannte duale System - die Berufsausbildung und die Berufsschulen - hat zur wirtschaftlichen Stärke Deutschlands maßgeblich beigetragen, weil es qualifizierte und selbstbewusste Handwerker und Fachkräfte hervorgebracht hat.
Mittlerweile gerät dieses System von zwei Seiten in Bedrängnis: Immer mehr junge Menschen besuchen die Gymnasien und gehen direkt an eine Hochschule - fast jeder Zweite in einem Jahrgang beginnt ein Studium. Und auf der anderen Seite stehen die Abgehängten, die als "ausbildungsunreif" gelten und nirgends unterkommen.
Es gibt eine erschreckend hohe Zahl junger Erwachsener, die weder studieren noch mit Erfolg eine Berufsausbildung absolvieren. Mehr als 17 Prozent der 20- bis 29-Jährigen hat keinen Abschluss. Die Schere zwischen Hoch- und Geringqualifizierten geht weiter auseinander. In der Wissensgesellschaft steigt die Zahl der Abiturienten und Studenten, einfache Tätigkeiten verlieren weiter an Wert. Ohne die richtigen Zeugnisse ist sozialer Aufstieg kaum noch möglich.
Bildung lässt sich nicht wiegen und messen
Formale Qualifikationen sind wichtiger denn je - und werden dadurch gleich wieder entwertet. Denn es entsteht eine Spirale des Zertifikate-Sammelns: Schüler, Studenten und Berufstätige müssen sich abheben von den anderen und ihre besonderen Qualifikationen herausstellen. Sie stehen ständig unter dem Druck, weitere Nachweise ihrer Fähigkeiten zu liefern.
Studenten, Auszubildende und junge Berufstätige werden zu Lebenslauf-Optimierern, zu Getriebenen einer Leistungsschau, die nur noch scheinbar etwas mit Bildung zu tun hat - und viel mit Distinktion, Wettbewerb und Karriere. Deshalb ist absehbar, wohin es führt, wenn immer mehr junge Menschen Abitur machen und ein Studium beginnen: Es kommt immer stärker darauf an, von welcher Schule und von welcher Universität ihr Zeugnis kommt und wo sie Praktika gemacht haben.
Wahre Bildung freilich ist nicht angewiesen auf Rang und Namen. Sie macht den Menschen frei. Sie macht ihn zur Person. Sie lässt sich nicht pressen in Zeugnisse und Qualifikationsraster. Sie lässt sich nicht einfach wiegen, messen und handeln. Der Wert von Bildung ist unermesslich.