Straßenwärter:Die Hüter des Asphalts

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Bevor ein Schlagloch mit Material aufgefüllt werden kann (wie auf dem Bild mit Kaltasphalt), muss es penibel gereinigt und vorbehandelt werden. (Foto: Jakob Berr)

Sie bessern Schlaglöcher aus, mähen Böschungen, räumen Schnee von der Straße. Von Autofahrern werden sie beschimpft und bespuckt. Über einen Job, den immer weniger Menschen machen wollen.

Von Marco Völklein

Die Oma, sagt Annalena Ohr, kann es noch gar nicht glauben. "Auch viele andere Verwandte fragen, ob das wirklich sein kann, dass ich jetzt schon im Winterdienst fahre." Tatsächlich kann man sich das auf den ersten Blick nur schwer vorstellen, dass diese nur 1,55 Meter große, zierliche 18-jährige Frau, die einem da im orangefarbenen Dress gegenübersteht, mit einem 28 Tonnen schweren Dreiachser frühmorgens über die Bundes- und Landstraßen rund um Feuchtwangen brettert und den Schnee zur Seite räumt.

Auf den zweiten Blick allerdings wird schnell klar: Ja, Annalena Ohr hat das Zeug dazu. Die junge Frau ist patent und zupackend, den schweren Lastwagen steuert sie mühelos auch durch die engsten Dorfsträßchen im weitgehend ländlich geprägten Landkreis Ansbach. Und wie sie da so ihren Truck mit der linken Hand durch die Gegend lenkt, dabei mit der rechten Hand die Bedieneinheiten für den Schneepflug an der Front und die Salzzufuhr für den Streuteller am Heck steuert, schaut sie kurz zum Beifahrersitz rüber, lächelt und sagt: "Das hier draußen, das ist für mich der schönste Beruf überhaupt."

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Den Beruf allerdings kennt kaum jemand - jedenfalls seine Bezeichnung. Straßenwärter sind diejenigen Männer und (mittlerweile auch) Frauen, die (meist in Orange gekleidet) mit allerlei Arbeiten am Straßenrand beschäftigt sind. Im Sommer mähen sie das Gras auf den Böschungen und in den Straßengräben, oder sie bessern Schlaglöcher aus. Jetzt im Winter räumen sie vor allem den Schnee beiseite und halten mit Salz und Sole die Fahrbahndecke eisfrei. Rasiert ein allzu schneller Fahrer einen Leitpfosten um, rücken Straßenwärter aus und bessern den Schaden aus. Verliert ein Auto Öl, sind es oft Straßenwärter, die die Ölspur mit Bindemittel und Besen zusammenkehren und dann ein Hinweisschild aufstellen, damit vor allem Motorradfahrer gewarnt sind. Kurz: "Straßenwärter sorgen für verkehrssichere Straßen", sagt Bernhard Raab.

Er arbeitet als Oberausbilder in der überbetrieblichen Ausbildungsstelle in Gerolzhofen bei Schweinfurt. Wer sich in Bayern zum Straßenwärter ausbilden lassen will, bekommt hier die Grundlagen des Berufs erklärt. Etwa 100 junge Leute schleust Raab pro Jahr durch die Grundausbildung. Wenn es nach ihm ginge, sagt er, dürften es ruhig noch etwas mehr sein.

Denn der Bedarf an Straßenwärtern wächst. Weil im öffentlichen Dienst in der Vergangenheit vor allem gespart wurde, hätten sich viele Straßenbauverwaltungen mit Neueinstellungen eher zurückgehalten, sagt Antje Schumacher-Bergelin von der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Mittlerweile liege der Altersdurchschnitt der Straßenwärterinnen und -wärter bei "Mitte vierzig bis fünfzig", viele Beschäftigte würden sich früher oder später in die Rente verabschieden.

Annalena Ohr ist 18 Jahre alt und arbeitet als eine der ersten Frauen als Straßenwärterin im Landkreis Ansbach. (Foto: Marco Völklein)

Mehr als 15 000 Straßenwärter werden in den kommenden Jahren gebraucht

Hinzu kommt, dass von 2021 an die Zuständigkeit für die Autobahnen von den Ländern auf den Bund übergehen wird; eine neu gegründete Autobahn-Gesellschaft wird die Aufgabe (und die Mitarbeiter) übernehmen. Doch weil absehbar viele Beschäftigte nicht vom staatlichen Dienst in die privatwirtschaftlich organisierte Bundes-GmbH wechseln werden, sagt Schumacher-Bergelin, suche auch der Bund zusätzliche Kräfte. Auf gut 15 000 Straßenwärter schätzt sie den bundesweiten Bedarf in den nächsten Jahren.

Doch die Straßenbauverwaltungen tun sich schwer, genügend geeignete Bewerber zu finden. So stellt zum Beispiel der Alb-Donau-Kreis rund um Ulm pro Jahr ein bis zwei Auszubildende ein, um sie in seinen vier Straßenmeistereien zu Straßenwärtern auszubilden. "Eigentlich bräuchten wir mehr", sagt Sebastian Kramosch, Chef der Straßenmeisterei in Langenau bei Ulm. Mit großen Aufklebern auf ihren orangefarbenen Dienstfahrzeugen werben die Schwaben für den Beruf. Zudem schicken sie Straßenwärter in Schulen und auf Ausbildungsmessen, um mögliche Interessenten anzusprechen.

Auch Christoph Kellner war schon auf solchen Messen dabei. Der 20-Jährige hat vor zwei Jahren seine Ausbildung zum Straßenwärter im Alb-Donau-Kreis beendet und hält nun die Straßen rund um Ulm instand. Warum hat er sich für den Beruf entschieden? Zwei Dinge seien entscheidend gewesen, sagt er. "Das Draußenschaffen an der frischen Luft." Und der Zusammenhalt im Kollegenkreis, das gemeinsame Arbeiten im Team.

An diesem Montagmorgen zum Beispiel muss Kellner zusammen mit drei Kollegen zu einer Brücke bei Amstetten eilen. In der Nacht sind die Temperaturen unter null Grad Celsius gefallen, der Asphalt auf der Brücke ist aufgeplatzt, große Schlaglöcher sind entstanden. Kellner und seine Kollegen schneiden zunächst mit einer großen Säge einen breiten Streifen aus der Fahrbahn, tragen anschließend mit Hacken und Schaufeln den alten Belag ab, kehren alles sauber aus und füllen am Ende sogenanntes Heißmischgut ein. Mit einer Rüttelplatte wird alles festgestampft, dann muss das Ganze aushärten. Einen halben Tag lang ist der Trupp damit beschäftigt; am Nachmittag werden Kellner und die anderen noch Baustellenschilder abbauen und Leitpfosten waschen. Am Wochenende, erzählt Kellner, sei er im Winterdienstfahrzeug unterwegs gewesen.

Ähnlich abwechslungsreich sehen die Tage bei Annalena Ohr in Feuchtwangen aus. Das sei es auch, was für sie den Beruf ausmache, sagt sie. "Du weißt morgens nie, was dich am Tag erwartet." Entsprechend hoch seien die Anforderungen an angehende Straßenwärter, sagt Rainer Götz vom staatlichen Bauamt Schweinfurt.

"Einen Tag lang war ich auf der Intensivstation"

Götz hat die zentrale Ausbildungsstelle in Gerolzhofen aufgebaut. Straßenwärter müssten flexibel auf Herausforderungen reagieren, den Umgang mit unzähligen (und teils sehr teuren) Maschinen beherrschen - und stets mitdenken. Wenn ein Trupp ausrücke, um zum Beispiel ad hoc Schäden in der Fahrbahn zu reparieren, müssten sie alles dabei haben, was benötigt wird: sämtliche Werkzeuge und Materialien, aber auch alle Warnschilder sowie Schilder zur Temporeduktion, um die Arbeitsstelle abzusichern.

Denn dass der Beruf nicht ungefährlich ist, davon wissen alle aus der Branche zu berichten. "Wir arbeiten im fließenden Verkehr", sagt Ausbilder Raab in Gerolzhofen. "Es genügt ein unachtsamer Autofahrer - und es ist passiert." So war Straßenmeister Kramosch aus Langenau vor zwölf Jahren als Fahrer eines Absicherungsfahrzeugs unterwegs. Während Kollegen vor ihm mit einem Spezialfahrzeug die Böschung mähten, steuerte er weiter hinten seinen orangefarbenen Lastwagen, einen Warnanhänger am Haken. Gelbe Blinklichter und leuchtende Verkehrszeichen sollten die Autofahrer darauf aufmerksam machen, dass weiter vorn gearbeitet wird. Ein Lkw-Fahrer aber übersah Kramoschs Anhänger - und krachte in das Gespann. Kramosch sah den Laster noch im Rückspiegel, spannte alle Glieder an, machte den Rücken steif. Verhindern konnte er den Aufprall nicht. Prellungen am Rücken, auch innere Verletzungen waren die Folge. "Einen Tag lang war ich auf der Intensivstation, eine Woche insgesamt zur Beobachtung im Krankenhaus."

Wenig Verständnis hat Gewerkschafterin Schumacher-Bergelin angesichts solcher Erzählungen daher auch für Verkehrsteilnehmer, die Straßenwärter anpöbeln. Egal, wen man fragt in den Straßen- und Autobahnmeistereien, alle können berichten von Beschimpfungen und gereckten Mittelfingern, manche wurden sogar bespuckt, "nur weil wir unsere Arbeit machen", sagt Straßenwärterin Ohr. Und ihr Kollege Kellner ergänzt: "Die Leute verstehen nicht, dass wir dafür sorgen, dass sie morgens sicher zur Arbeit kommen."

Immer in Orange: Das Revier von Straßenwärter Christoph Kellner, 20 Jahre alt, liegt nördlich von Ulm. (Foto: Marco Völklein)

Die gesellschaftliche Akzeptanz sei das eine, ergänzt Verdi-Frau Schumacher-Bergelin. Um mehr junge Leute für den Beruf zu gewinnen, müssten aber auch die Bezahlung und die Aufstiegschancen verbessert werden. "Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter setzen sich großen Gefahren aus - das gehört honoriert."

Außerdem versuchen mehr und mehr Bauverwaltungen, junge Frauen für den Beruf zu begeistern. Noch dominieren Männer das Metier; bevor Annalena Ohr in Feuchtwangen anfing, musste in der dortigen Straßenmeisterei erst wieder eine Frauenumkleide eingerichtet werden. Die ursprünglich mal vor Jahrzehnten dafür vorgesehenen Räumlichkeiten wurden seit Jahren als Büro genutzt.

Zwischen 2300 und 3400 Euro brutto verdient ein Straßenwärter im Monat, je nach Eingruppierung durch das jeweilige Bundesland und Tätigkeitsfeld; bei der Autobahn-GmbH sind laut Verdi leicht höhere Gehälter drin. Und dennoch scheuen, wenn man sich so umhört, viele Beschäftigte den Wechsel vom öffentlichen Dienst hinüber in die neue privatwirtschaftlich organisierte Gesellschaft. Denn auch das sei ein Plus, mit dem man wuchern könne, sagt Ausbilder Raab in Gerolzhofen: Mit der öffentlichen Hand habe man "einen Arbeitgeber, der voll zu einem steht".

© SZ vom 14.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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