Süddeutsche Zeitung

Stipendien von Stiftungen:Geben und Nehmen

Lesezeit: 3 min

Parteinahe Stiftungen erwarten von Bewerbern, dass sie sich gesellschaftlich engagieren.

Von Joachim Göres

"E-Government - Vorbild Estland". So lautet der Titel eines Vortrags, zu dem sich 25 Studierende und Promovierende aus ganz Deutschland an diesem Morgen in einem Berliner Hotel versammelt haben. Sie erfahren, dass in Estland fast alle staatlichen Dienstleistungen online verfügbar sind - so kann man online wählen oder elektronisch die Staatsbürgerschaft beantragen.

Die Verwaltung kommt weitgehend ohne Papier aus. Nur zum Heiraten muss man noch persönlich im Standesamt erscheinen. Die Zuhörer reagieren unterschiedlich. "Es gab doch letztes Jahr in Estland Sicherheitslücken", meint einer, ein anderer findet: "Wenn Hacker das System knacken, dann haben sie alle Daten. Letztlich kann man alles knacken." Ein dritter wirft ein: "Ich stehe voll hinter diesem Modell aus Estland, aber wie kriegt man das auch in Deutschland hin?"

Die jungen Leute sind Stipendiaten der Konrad-Adenauer-Stiftung. Eine Woche verbringen sie im Seminar "Digitales Deutschland 2025. Digitalisierung als Zukunftsaufgabe", auf dem es von morgens bis abends Vorträge von Fachleuten mit anschließender Diskussion, Führungen und Workshops gibt. Vom Geschäftsführer der Ludwig-Erhard-Stiftung werden sie über "Die soziale Marktwirtschaft als Konzeption für disruptive Zeiten" informiert, eine stellvertretende Abteilungsleiterin des Bundesverbands der Deutschen Arbeitgeberverbände referiert über den "Bildungsbedarf für den digitalisierten Arbeitsmarkt", und im Gebäude der Konrad-Adenauer-Stiftung kann man erfahren, wie die Digitalisierung in der Stiftung, die der CDU nahesteht, konkret aussieht.

Die meisten Stiftungen fordern überdurchscnittliche Noten und großes soziales Engagement - sie unterscheiden sich aber in ihrer Bewerberauswahl

Wie die Konrad-Adenauer-Stiftung vergeben auch andere parteinahe Stiftungen Stipendien, die nicht zurückgezahlt werden müssen. Dabei bekommt jeder erfolgreiche Bewerber meist für die Dauer der Regelstudienzeit monatlich 300 Euro. Abhängig vom Elterneinkommen wird zusätzlich ein Stipendium nach Bafög-Richtlinien gewährt.

Im Gegenzug haben die Stiftungen eine ganze Reihe von Erwartungen. Sie verlangen unter anderem, dass die Stipendiaten an Grundlagen- und Fachthemenseminaren teilnehmen, in denen sie mit den Positionen der jeweiligen Stiftung vertraut gemacht werden. Bei der Auswahl der Bewerber verlangen alle Stiftungen überdurchschnittliche Schul- beziehungsweise Studienleistungen, besonderes gesellschaftliches Engagement sowie eine inhaltliche Nähe zur politischen Ausrichtung der jeweiligen Stiftung - eine Parteimitgliedschaft ist aber keine Voraussetzung.

Dabei gibt es inhaltlich deutliche Unterschiede. Gesellschaftliches Engagement bedeutet bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung (Die Linke) zum Beispiel die Mitarbeit in antifaschistischen, gewerkschaftlichen, feministischen oder antirassistischen Initiativen. Bei der Hanns-Seidel-Stiftung (CSU) erwartet man einen ehrenamtlichen Einsatz für die Allgemeinheit "in Politik, Hochschulpolitik, im christlich-konfessionellen oder karitativen Bereich", den man durch Gutachten von Lehrern, Pfarrern oder Bürgermeistern belegen soll.

In der Friedrich-Naumann-Stiftung (FDP) organisieren Stipendiaten "jährlich einen Ball und sind äußerst aktiv im Fundraising". Sie will die Persönlichkeit des Einzelnen fördern, wozu sie Zuverlässigkeit, Leistungswille, Entschlussfreudigkeit und die Übernahme von Verantwortung im liberalen Sinne zählt. Bei der Friedrich-Ebert-Stiftung (SPD) sucht man nach Persönlichkeiten, die politisches Denken, Wissensdrang, Toleranz und Offenheit, Teamorientierung, Kritikfähigkeit und Selbstreflektion mitbringen.

Je nach politische Ausrichtung verlangen die Stiftungen unterschiedliche Werte und Engagment

Bei der Konrad-Adenauer-Stiftung gehören die Festigung der Demokratie, die Förderung der europäischen Einheit, die Intensivierung der transatlantischen Beziehungen und die entwicklungspolitische Zusammenarbeit zu den besonderen Anliegen, mit denen sich die Stipendiaten identifizieren sollen.

Bei der Heinrich-Böll-Stiftung (Bündnis 90/Die Grünen) sollen Bewerber dagegen die Grundwerte Demokratie, Ökologie, Solidarität und Gewaltfreiheit teilen. Letztere fordert bestimmte Gruppen ausdrücklich zur Bewerbung auf, die bei ihr bislang unterrepräsentiert sind. Dazu gehören Studierende der Natur-, Rechts-, Wirtschafts-, Technik- und Medienwissenschaften. Auch der Anteil von Ostdeutschen und Studierenden von Fachhochschulen soll erhöht werden. Die Heinrich-Böll-Stiftung fördert zudem besonders Studentinnen, Studierende mit Migrationshintergrund sowie junge Leute, die als Erste in ihrer Familie mit einer akademischen Ausbildung beginnen.

Diese drei Gruppen spricht auch die Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) extra an, die besonders an Bewerbern aus künstlerischen Studiengängen interessiert ist. "Bei vergleichbarer Leistung und Engagement werden Frauen, sozial Bedürftige und Menschen mit Behinderung bevorzugt", lautet ein Grundsatz bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung.

Die Stiftungen bieten ihren Stipendiaten auch Seminare und Arbeitskreise

Neben einem umfangreichen Seminarangebot für die Stipendiaten gibt es an vielen Universitäten und Hochschulen Stipendiatengruppen, in denen aktive Mitarbeit erwünscht ist. Auch das Engagement in stipendiatischen Arbeitskreisen sehen die Stiftungen gerne. Die Friedrich-Naumann-Stiftung bietet Initiativen zu Themen wie Gesundheitspolitik, Entrepreneurship, Entwicklungspolitik oder einen nach dem Ökonomen Friedrich August von Hayek benannten Kreis an. Bei der Rosa-Luxemburg-Stiftung stehen in den Arbeitskreisen ganz andere Themen im Mittelpunkt - unter anderem NS-Verbrechen, NSU, Marxismus, Burn-out oder die Türkei.

Beim Bewerbungsverfahren setzen einige Stiftungen nach einer Vorauswahl, die auf der Grundlage der eingereichten Unterlagen erfolgt, auf ein Einzelgespräch mit einem Vertrauensdozenten beziehungsweise einem Mitglied eines Auswahlausschusses. Bei anderen Stiftungen sind darüber hinaus auch Wissenstests und Gruppendiskussionen üblich.

Alle Stiftungen bemühen sich, den Kontakt auch nach dem Studium zu ihren Alt-Stipendiaten zu halten - sie werden als Leistungsträger gesehen, die sich künftig in verantwortlicher Stellung für die Ziele ihrer einstigen Geldgeber einsetzen. Schon während der Ausbildung knüpfen Stipendiaten viele nützliche Kontakte.

Auch das geht aus dem folgendem Statement hervor. Ein Politikstudent der FU Berlin und Stipendiat der Friedrich-Ebert-Stiftung, fasst die Vorteile eines solchen Stipendiums mit pathetischen Worten zusammen: "Als Erstakademiker aus dem schönen Ostfriesland hat mir die FES eine neue Welt eröffnet und den schwierigen Übergang ins Studium sehr erleichtert. Das bezieht sich nicht nur auf die finanzielle Unterstützung, sondern auch auf das inspirierende Umfeld, das sich mir dadurch erschloss."

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Quelle:
SZ vom 17.05.2019
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