Vor einem knappen Jahr hat Max Betz bei der internationalen Wirtschaftskanzlei Freshfields angefangen. "Wenn man viel im Team arbeitet, kann man es sich nicht leisten, sich ständig zu verstellen", sagt der junge Anwalt. Während des Studiums hatte er sich auch in anderen Kanzleien umgeschaut. Die Atmosphäre dort gefiel ihm nicht immer. "Natürlich wurde nicht direkt etwas gegen Schwule gesagt", erklärt Betz. "So etwas läuft subtiler - zum Beispiel, indem Witze über bestimmte Prominente gerissen werden." Als Referendar suchte Betz deshalb auf der "Sticks & Stones", der Berliner Jobmesse für Schwule und Lesben, nach einem wirklich offenen Arbeitgeber. Dort fiel ihm der Messestand von Freshfields ins Auge.
In der nächsten Woche findet die "Sticks & Stones" zum siebten Mal statt. Mehr als hundert Aussteller werden teilnehmen, darunter Konzerne wie Adidas, Bosch, IBM oder die Deutsche Post. Der Messegründer Stuart Cameron von der Uhlala GmbH erinnert sich noch gut an den ersten Versuch - mit sechs Messepartnern und 200 Besuchern. "Es war damals wahnsinnig schwer, die Unternehmen zu überzeugen. Im Gespräch haben viele instinktiv die Arme verschränkt und sind zwei Schritte zurückgetreten. Das ging bis zu dem Spruch: interessantes Konzept, aber bei uns arbeiten leider keine Schwuchteln."
Mit dem allgemeinen Aufschwung des Themas Diversity in Unternehmen schnellte dann auch die Zahl der Messepartner in die Höhe. Während in den ersten Jahren vor allem Consulting- und IT-Firmen auf der "Sticks & Stones" vertreten waren, ist die Messe inzwischen branchenübergreifend. Die Jobofferten richten sich, wie bei anderen Messen auch, vor allem an Berufsanfänger, in diesem Jahr werden erstmals auch Ausbildungsplätze angeboten.
"Mittlerweile sind etwa die Hälfte der Besucher Heteros"
"Bunt" ist das Wort, das bei Beschreibungen der "Sticks & Stones" am häufigsten fällt. "Die meisten Jobmessen sind ja Pinguin-Veranstaltungen, alle stehen in Anzügen da und langweilen sich", sagt Cameron. Ein Blick auf den Messekalender zeigt: Allein im Juni findet fast jeden Tag irgendwo in Deutschland eine Jobmesse statt, oft für haarscharf definierte Zielgruppen: Doktoranden, Ingenieure, Pharmazeuten, Internetexperten oder gar "Jurastudenten, die in der Zwischenprüfung mindestens neun Punkte erreicht haben".
Die "Sticks & Stones", laut Eigenwerbung für "Rockstars, Geeks, Pandas und Einhörner" gedacht, fällt tatsächlich aus diesem Rahmen. Im Postbahnhof am Ostbahnhof in Berlin-Friedrichshain ist von morgens bis abends ein DJ im Einsatz, es gibt Cocktails und eine große Abschlussparty. Als Redner treten nicht nur Sachbuchautoren und Geschäftsführer auf, sondern auch eine Dragqueen und eine Youtuberin. Die Kombination aus Messe und Spaß hat im vergangenen Jahr etwa 2700 Menschen angelockt. "Mittlerweile sind etwa die Hälfte der Besucher Heteros", sagt Cameron.
Einen Abglanz von der Hipness der Veranstaltung erhoffen sich auch diejenigen Messepartner, die sonst eher nicht mit Rockstars und Einhörnern in Verbindung gebracht werden. Die "Sticks & Stones" sei nicht nur für die Nachwuchsgewinnung nützlich, sondern biete auch Gelegenheit, "vom Ärmelschoner-Image der Wirtschaftsprüfungsbranche wegzukommen", sagt Folke Werner, Leiter Recruiting bei Pricewaterhouse Coopers (PwC). "Diese Messe ist anders - vom Dresscode bis zum Duzen, es gibt mehr Nähe und Offenheit", findet Nadja Gruber vom Personalmarketing der Allianz. Auch die Personaler tragen auf der Messe eher T-Shirt als Anzug oder Kostüm.
Modische Zugeständnisse allein reichen allerdings nicht, um sich als offenes und modernes Unternehmen präsentieren zu dürfen: Die Aussteller müssen nachweisen, dass sie tatsächlich Gleichstellung praktizieren. Viele Unternehmen, die auf der Messe vertreten sind, haben interne LGBT-Netzwerke (Lesbian, Gay, Bisexual und Transgender), in denen sich die Mitarbeiter austauschen können.
So gibt es bei PwC Deutschland seit zwei Jahren das Netzwerk "GLEE" (Gays, Lesbians and Everyone Else), dem auch viele heterosexuelle Mitarbeiter beigetreten sind. Das Netzwerk "AllDive" der Allianz mit etwa hundert Mitgliedern ist bisher vor allem in München aktiv und soll jetzt stärker auf die ausländischen Unternehmensbereiche ausgerichtet werden. "Halo", das LGBT-Netzwerk von Freshfields, wurde schon 2002 gegründet, gerade trafen sich die weltweit etwa 120 Halo-Mitglieder am Hauptsitz in London. Für ihre Gleichstellungsbemühungen wurde die Kanzlei schon mehrmals von der britischen Organisation "Stonewall" ausgezeichnet.
Wie offen ist ein Unternehmen tatsächlich?
Kleinere Firmen befassen sich bisher allerdings kaum mit der Gleichstellung sexueller Minderheiten. Und selbst im Diversity Management von großen Unternehmen spielt das Thema eine weit geringere Rolle als andere Kategorien wie Geschlecht, Behinderung oder Ethnie. Das belegte im vergangenen Jahr eine Studie des Völklinger Kreises, des Berufsverbandes schwuler Führungskräfte und Selbständiger. Dabei sei gerade der Umgang mit LGBT auch aus Bewerbersicht oft ein Lackmustest, wie offen ein Unternehmen tatsächlich sei, sagt der Verbandsvorsitzende René Behr.
Als der Völklinger Kreis vor 25 Jahren gegründet wurde, schien es noch ratsam zu sein, einen so diskreten Verbandsnamen zu wählen. Offene Diskriminierung ist seitdem selten geworden. Doch auch indirekte Ablehnung, wie sie der Jurist Max Betz erfahren hat, könne eine große Belastung sein, sagt Behr. "Im Arbeitsleben wird ja sehr oft implizit über sexuelle Orientierung geredet - etwa wenn die Mitarbeiter erzählen, was sie am Wochenende mit dem Ehepartner unternommen haben. In vielen Unternehmen ist es immer noch so, dass schwule Kollegen dann lieber schweigen oder sogar eine Freundin erfinden, die in einer anderen Stadt wohnt." Wer zu "Sticks & Stones" geht, will das nicht.
Die Karrieremesse "Sticks & Stones" findet am 3. und 4. Juni von 10 bis 18 Uhr im Berliner Postbahnhof am Ostbahnhof statt. www.the-rockstar.com