spickmich.de vor Gericht:"Wir wehren uns gegen Meinungsmache"

Wird spickmich.de verboten? Udo Beckmann, Chef des Lehrerverbands Bildung und Erziehung, hofft darauf: ein Gespräch über Mobbing und Meinungsfreiheit.

J. Bönisch

Heute entscheidet der Bundesgerichtshof in Karlsruhe über das Lehrerbewertungsportal spickmich.de: Dürfen Schüler ihre Lehrer im Internet nach den Kategorien "cool und witzig", "beliebt", "motiviert", "menschlich", "gelassen" und "guter Unterricht" benoten, oder verletzen solche Bewertungen das Persönlichkeitsrecht der Pädagogen? Der Lehrerverband Bildung und Erziehung (VBE) hat spickmich.de im Februar dieses Jahres den Negativpreis "Nasser Schwamm" verliehen und hofft auf eine Klärung durch den BGH, die die Persönlichkeitsrechte der Lehrer schützt. VBE-Chef Udo Beckmann erklärt, warum.

spickmich.de vor Gericht: VBE-Chef Udo Beckmann: "Wir sind zum Gespräch mit spickmich.de bereit."

VBE-Chef Udo Beckmann: "Wir sind zum Gespräch mit spickmich.de bereit."

(Foto: Foto: oH)

sueddeutsche.de: Herr Beckmann, vertragen Lehrer keine Kritik?

Udo Beckmann: Doch, natürlich vertragen Lehrer Kritik, das gehört zu unserem Beruf. Aber jedes Feedback sollte in einem überprüfbaren Rahmen gegeben werden - und das ist bei spickmich.de nicht der Fall. Dort haben Lehrer keinerlei Möglichkeit, auf die Beurteilungen zu reagieren. Das finden wir nicht richtig und unterstützen deshalb die Klage.

sueddeutsche.de: spickmich.de argumentiert, dass die Schule von dem Feedback profitiert: Die Bewertungen seien für Schüler fast die einzige Möglichkeit, Kritik zu üben. Außerdem pochen sie auf die Meinungsfreiheit.

Beckmann: An den Schulen gibt es ausreichend Gelegenheiten, seine Meinung zu sagen. Jeder Lehrer bespricht mit seiner Klasse besondere Projekte und gibt den Schülern die Chance zu erklären, was sie von den Ideen halten. Genauso erhält jeder Schüler, der sagt: "Ich fühle mich ungerecht behandelt", eine ehrliche Antwort. Aus solchen Beschwerden ergeben sich immer wieder Diskussionen. Das ist ein Dialog - und damit eine völlig andere Ebene als eine anonyme Bewertung im Internet, die niemand nachprüfen kann.

sueddeutsche.de: Und wie entkräften sie das Argument der Meinungsfreiheit?

Beckmann: Wenn Persönlichkeitsrechte Dritter betroffen sind, endet die Meinungsfreiheit. Wird eine Lehrerin in Kategorien wie "sexy" beurteilt, ist das unserer Meinung nach nicht mehr gedeckt. Aber genau über diese Frage wird der Bundesgerichtshof heute verhandeln.

sueddeutsche.de: Schüler können bei spickmich.de nur in vorgegebenen Kategorien Zensuren von Eins bis Sechs verteilen. Offene Fragen, auf die man Sätze wie "Herr Meier würfelt seine Noten aus und bevorzugt blonde Mädchen" schreiben könnte, gibt es nicht. Und bei einer Vier oder Fünf in "sexy" sollte man als Lehrer doch drüberstehen, oder?

Beckmann: Die vorgegebenen Kategorien reichen völlig aus, um Lehrer an den Pranger zu stellen. Oft ist es sogar so, dass Lehrer erst viel später davon erfahren, wenn über sie negative Bewertungen kursieren. Pädagogen sollten auf diese Weise nicht abgeurteilt werden.

sueddeutsche.de: Die Lehrer selbst kämpfen auch nicht immer objektiv fair: Offenbar manipulieren einige ihre eigenen Bewertungen - und beschimpfen die spickmich.de-Macher in E-Mails, zum Beispiel als "erbärmliche Würstchen".

"Mediale Hinrichtungen"

Beckmann: Es kann schon sein, dass der ein oder andere versucht, sein eigenes Image aufzupolieren. Aber das geschieht allein aus Hilflosigkeit, weil es eben keine Möglichkeit gibt, direkt zu reagieren und Dinge richtigzustellen.

sueddeutsche.de: Sie haben dem Portal den "Nassen Schwamm" verliehen, den Negativpreis der Lehrer für den "bildungspolitischen Tiefschlag des Jahres". Hätte es nicht andere bildungspolitische Themen gegeben, die mehr Aufmerksamkeit verdient hätten, etwa die Diskussion um Pro Reli in Berlin?

Beckmann: Um andere bildungspolitische Themen haben wir uns in den Jahren zuvor gekümmert. 2008 etwa hat Dieter Bohlen den Preis bekommen, weil wir es nicht in Ordnung finden, wie er in seiner Sendung "Deutschland sucht den Superstar" mit Jugendlichen umgeht. spickmich.de hat den Preis deshalb verdient, weil wir uns gegen Aburteilungen wehren, die allein auf Stimmungslagen und Meinungsmache basieren. Lehrer werden dort der Lächerlichkeit preisgegeben.

sueddeutsche.de: In Ihrer Begründung heißt es, auf der Seite würden "mediale Hinrichtungen" betrieben. Ist das nicht übertrieben? Immerhin haben dort über 55.000 Lehrer eine Eins, die Durchschnittsnote ist 2,7.

Beckmann: Natürlich ist spickmich.de für Lehrer, die gut benotet werden, irrelevant. Aber es gibt eben auch solche, die schlecht bewertet werden, und von diesen werden die Äußerungen auf dem Portal durchaus als Mobbing und mediale Hinrichtung empfunden.

sueddeutsche.de: Wie hat spickmich.de auf den Preis reagiert?

Beckmann: Die Macher haben ihn angenommen. Wir sind weiterhin zum Gespräch bereit. Was der Meinungsaustausch bringen wird, bleibt abzuwarten. Auf die Entscheidung des Bundesgerichtshofs sind wir gespannt.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: