spickmich.de vor Gericht:Lehrer im Notenstress

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Es ist der Traum vieler Kinder und der Albtraum aller Pädagogen: Auf spickmich.de benoten Schüler ihre Lehrer. Wird der Bundesgerichtshof die umstrittene Internetseite heute verbieten?

H. Kerscher

Es war der Traum vieler Schüler und der Albtraum aller Lehrer: Das Verteilen von Noten und Zeugnissen auch in der umgekehrten Richtung, also von Schülern an ihre Lehrer. In Zeiten des Internets ist dieser Traum/Albtraum längst Realität geworden. An diesem Dienstag verhandelt darüber erstmals der Bundesgerichtshof (BGH). Eine Gymnasiallehrerin aus dem Raum Köln verlangt von den Betreibern des weit verbreiteten Bewertungsportals spickmich.de die Löschung eines Eintrags über sie.

Das Lehrerbewertungsportal spickmich.de: Hier können Schüler ihre Lehrer bewerten - ob das zulässig ist, entscheidet nun der BGH. (Foto: Foto: dpa)

Voraussichtlich wird der BGH bei dieser Gelegenheit ein Grundsatzurteil über "Persönlichkeitsschutz und Meinungsfreiheit im Internet" fällen - mit Auswirkungen auf andere Bewertungsportale etwa über Professoren oder Hotels. Auch Krankenkassen und Ärzte hoffen auf Hinweise zu dem von der AOK geplanten, stark umstrittenen "Ärzte-TÜV" im Internet.

Private Charaktereigenschaften

Im konkreten Fall geht es um die Nennung des Namens und der Schule einer Lehrerin für Deutsch und Religion sowie insbesondere um die von anonymen Schülern vergebene, durchschnittliche Gesamtnote von 4,3. Dieses Ergebnis konnte als "Zeugnis" ausgedruckt werden. Die den Schulnoten von 1 bis 6 entsprechende Bewertung konnte sich an Kriterien wie "cool und witzig", "beliebt", "guter Unterricht", "menschlich", oder "faire Noten" orientieren. Die Kategorien "sexy", "gelassen" und "leichte Prüfungen" hatten die Betreiber im September 2007 herausgenommen. Auf der von spickmich.de angebotenen "Zitatseite" gab es bisher keine "Sprüche" der Lehrerin. Diese hatte im Mai 2007 mit Unterstützung der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) beim Landgericht Köln eine Unterlassungsverfügung beantragt.

Die Lehrerin sah ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht und das Bundesdatenschutzgesetz als verletzt an. Es gehe bei der "Bewertung" auch um private Charaktereigenschaften sowie um die Gefahr, dass ein möglicherweise manipuliertes Persönlichkeitsprofil erstellt werde. Die Teilnehmer des Portals müssten sich zwar registrieren lassen, es könne sich aber jedermann unter Angabe eines frei gewählten Namens anmelden und als Schüler Bewertungen abgeben.

Dem widersprachen die Betreiber von spickmich.de. Sie verteidigten die Möglichkeit einer kollektiven Meinungsäußerung als Beitrag zur Transparenz und zur Qualitätsverbesserung. Im Übrigen gebe es derzeit keinen Anlass zu der Annahme, dass es unter den 800.000 angemeldeten Schülern auch Nicht-Schüler gebe.

Orientierung von Schülern und Eltern

Im ersten Anlauf war die Lehrerin vor Gericht zwar erfolgreich, unterlag aber anschließend dreimal. Zuletzt entschied das Oberlandesgericht (OLG) Köln vor einem Jahr, die Bewertung sei erlaubt. Es handle sich um eine grundrechtlich geschützte Meinungsäußerung beziehungsweise um ein Werturteil und nicht um eine Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts. Die Bewertung beziehe sich nämlich auf die konkrete Ausübung einer beruflichen Tätigkeit und somit auf die "Sozialsphäre". Nach den vorgegebenen Bewertungskriterien seien weder eine Schmähkritik noch ein An-den-Pranger-Stellen gegeben. Bei der von spickmich.de angestrebten Bewertung sei zu berücksichtigen, dass sie für eine Orientierung von Schülern und Eltern dienlich sein könne.

Der BGH muss nun zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht der Lehrerin und dem Grundrecht der Meinungsfreiheit abwägen. Zudem muss er entscheiden, ob die strengen Bestimmungen des Bundesdatenschutzgesetzes anzuwenden sind. Danach könnten beispielsweise die Betreiber von Bewertungsportalen dazu verpflichtet werden, jeden Nutzer zu identifizieren und seine Interessenlage bei jeder Abfrage zu prüfen.

Manche Beobachter nennen das BGH-Urteil schon jetzt "Müllers Vermächtnis". Die Verhandlung ist nämlich eine der letzten unter Leitung von Gerda Müller, der BGH-Vizepräsidentin und Vorsitzenden des VI. Zivilsenats. Sie feiert am Samstag ihren 65. Geburtstag und muss deshalb Ende des Monats in den Ruhestand gehen. In den vergangenen Jahren war die Rechtsprechung von Müllers Senat durch pointierte Urteile zugunsten des Persönlichkeitsschutzes, insbesondere von Prominenten wie Caroline von Monaco oder Oliver Kahn, und gegen die Presse aufgefallen.

© SZ vom 23.6.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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