Süddeutsche Zeitung

Spanier gegen den Fachkräftemangel:"Deutschland? Da denke ich an Wurst"

Die Bundesagentur für Arbeit wirbt in Spanien um gut ausgebildete Ingenieure. Das Interesse in Madrid und Barcelona ist groß - auch wenn einigen Bewerbern das Land der vielen Jobs ein wenig suspekt ist. Von den Sprachbarrieren jedenfalls lassen sich die Spanier nicht abhalten.

Maria Holzmüller

Javier Lozano sitzt in seiner Wohnung im spanischen León und wartet ungeduldig - auf einen Anruf aus Deutschland. Der 28-jährige Ingenieur, der bereits seit 2006 seinen Studienabschluss in der Tasche hat, will endlich einen Job, von dem er leben kann. Und den erhofft er sich nach langer erfolgloser Suche in seiner Heimat bei einem deutschen Unternehmen.

Der Mittelständler, bei dem er sich beworben hat, war eines der Unternehmen, das sich im Frühjahr auf einer Rekrutierungsmesse in Madrid präsentierte. Der Maschinenbau-Dienstleister fürchtet den drohenden Fachkräftemangel und setzt seine Hoffnungen in gut ausgebildete Ingenieure aus krisengebeutelten Ländern Südeuropas. Eine Strategie, die beiden Seiten nutzen soll: Deutschlands Firmen gewinnen gut ausgebildetes Personal, Spaniens Akademiker kommen raus aus der Arbeitslosigkeit.

Dass sie sich dafür ausgerechnet Deutschland aussuchen, war lange Zeit nicht abzusehen. "Deutschland war als Arbeitsmarkt die letzten Jahre wenig attraktiv für Spanier. Die meisten haben sich eher in Richtung Südamerika orientiert, und auch Frankreich, England und Skandinavien waren beliebtere Auswanderungsziele als Deutschland", sagt Walther von Plettenberg, Direktor der Deutschen Handelskammer in Spanien (AHK) auf Anfrage von sueddeutsche.de.

Doch dann kam Angela Merkel. Die Kanzlerin erwähnte während eines Besuchs Anfang des Jahres in Spanien, dass Deutschland in den kommenden Jahren einen riesigen Bedarf an Ingenieuren haben werde - und dass sich sich freuen würde, wenn Spanier diese Lücke füllen würden. Eine Einladung, die in Spanien hohe Wellen schlug. In einem Land, in dem die Jugendarbeitslosigkeit bei mehr als 40 Prozent liegt und Jugendliche seit Monaten aus Protest auf den öffentlichen Plätzen der Städte campen, klangen Merkels Worte mehr als vielversprechend. "Deutschland ist für viele Jugendliche ein neues Eldorado geworden, voller beruflicher und wirtschaftlicher Verheißungen", schreibt die Zeitung El País.

Die AHK arbeitet seit jeher daran, die Geschäfts- und Wirtschaftskontakte zwischen Deutschland und Spanien zu verbessern. Das neue Interesse der Iberer an Deutschland freut Plettenberg. "In diesem Jahr haben wir auf zwei Seminaren in Madrid und Barcelona etwa 250 interessierte Ingenieure über den Arbeitsmarkt in Deutschland informiert", sagt er. Es hätten nicht nur arbeitslose Akademiker Interesse gehabt, auch angestellte Ingenieure seien an einer Beschäftigung in Deutschland interessiert gewesen.

In der Zeitung El País bestätigt Marisa Carmona von Eures, dem europäischen Portal zur beruflichen Mobilität, das wachsende Interesse der Spanier am deutschen Arbeitsmarkt. Seit Beginn der Krise 2008 habe sich die Zahl der Arbeitssuchenden, die eine Stelle im Ausland wollen, verdreifacht. Der durchschnittliche Bewerber sei männlich, zwischen 25 und 35 Jahre alt und Ingenieur, Architekt oder Informatiker - und er gehört einer Generation an, die sich selbst "Ni-ni-Generation" (Weder-noch-Generation) nennt: die Generation, die weder studiert, noch arbeitet.

Laut ZAV-Angaben haben sich bereits 17.000 von Spanier über das Arbeiten in Deutschland informiert. Eine enge Beziehung zu dem Land, das plötzlich nach Ingenieuren, Ärzten und Pflegern ruft, haben die meisten Interessenten nicht. "Wenn ich an Deutschland denke, assoziiere ich es mit Wurst", sagt ein Bewerber der zu El País. Ein anderer fügt hinzu, die Deutschen seien ernste Leute, damit könne er gut umgehen.

Auf die deutsche Rekrutierungsveranstaltung wurden beide über Eures aufmerksam. Über dieses Portal informiert die Zentrale Auslands- und Fachvermittlung (ZAV) der Bundesagentur für Arbeit seit 15 Jahren potentielle Bewerber im europäischen Ausland über die Modalitäten des deutschen Arbeitsmarktes. Seit der Mangel an Ingenieuren in Deutschland offenbar wurde, rückt Spanien mit seinen gut ausgebildeten Akademikern in den Fokus der ZAV.

Javier Lozano haben die Informationen überzeugt. Sollte er einen Job in Deutschland bekommen, dann verdiene er weitaus besser, als das in seinem Heimatland der Fall wäre, sagt er. Der junge Ingenieur schickte seine Bewerbungsunterlagen an Eures. Die spanischen Berater glichen die Unterlagen dann mit den Stellenausschreibungen aus Deutschland ab und trafen eine Vorauswahl der Bewerber. Lozano überzeugte - er erhielt prompt eine Einladung zum Vorstellungsgespräch.

Das musste der Ingenieur auf Englisch führen, deutsch spricht er bislang nicht - wie die meisten spanischen Ingenieure. Genau das kritisieren Beobachter an dem Ansatz zur Bekämpfung des Fachkräftemangels.

Doch viele Spanier lassen sich von der Sprachbarriere nicht abschrecken. Seit Kanzlerin Merkel Anfang des Jahres ihr Job-Versprechen äußerte, steigt die Zahl der Anmeldungen für Deutschkurse rapide in die Höhe.

Im Vergleich zum Vorjahr verzeichne das Goethe-Institut in Madrid eine Steigerung der Anmeldungen von 20 Prozent, bestätigt eine Sprecherin sueddeutsche.de. "Wir sind am Rande unserer Kapazitäten angekommen", sagt sie. Ganze 43 Kurse werden im Sommer in Madrid beginnen. Auch in Barcelona sind sämtliche Deutschkurse des Goethe-Instituts ausgebucht. Die Anmeldungen dort übersteigen das Vorjahresniveau sogar um 69 Prozent.

Einer, der die heißen Monate lieber vor den Deutschbüchern verbringt als am Strand, ist der Telekommunikationsstudent Marcos Estel. "Merkel gibt uns die Möglichkeit zu arbeiten. Hier ist das unmöglich, also müssen wir alle Möglichkeiten nutzen. Das Ziel ist Deutschland", sagt der 23-Jährige im Gespräch mit El País.

Gar so leicht, wie das klingt, ist die Entscheidung, sich in Deutschland zu bewerben, für viele nicht. "Es ist traurig, dass wir unser Land verlassen müssen, um eine Zukunft zu suchen, die es hier nicht gibt", sagt der 28-jährige Ingenieur Jesús Rodriguez.

Auch Andrea Llopart ist mit den Gedanken bereits in Deutschland. "Leider", wie sie sagt. Die Informatikstudentin wird im kommenden Jahr ihren Abschluss machen. In ihrer Heimat sieht sie beruflich keine Chance für sich. "Ich habe das mit meiner Familie besprochen. Jetzt heißt es, sich beim Deutschlernen reinzuhängen und einen zu Flug buchen", sagt sie. Um ihre Sprachkenntnisse zu verbessern, scheut sie keine Mühen. Weil die drei Schulen in ihrer Nähe alle ausgebucht waren, fährt sie jetzt 40 Kilometer zu jeder Deutschstunde. Jede einzelne davon soll sie einem besseren Leben näherbringen.

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