Sozialgericht Heilbronn:Promille-Sturz bei Tagung gilt als Arbeitsunfall

Die Tagung geht lang, der Abend wird noch länger und feuchtfröhlich. Auf dem Rückweg in sein Hotelzimmer stürzt ein 58-Jähriger Betriebsrat und verletzt sich schwer. Klingt nach privatem Pech - ist aber ein Arbeitsunfall, wie jetzt ein Gericht entschieden hat.

  • Urteil des Sozialgerichts Heilbronn: Alkoholbedingter Sturz während beruflicher Tagung ist Arbeitsunfall
  • Berufsgenossenschaft ist verpflichtet, vereinbarte Versicherungsleistungen zu erbringen (zum Beispiel: Zahlung eines Verletztengeldes)

Der Fall

Der Fall scheint auf den ersten Blick alle Klischees über Ausschweifungen bei externen Firmenveranstaltungen zu bestätigen. Ein 58 Jahre alter Betriebsrat eines internationalen Unternehmens mit Sitz in Stuttgart nimmt im April 2010 an einer Tagung außer Haus teil. Die dreitätige Betriebsräte-Versammlung findet in einem Hotel in Bad Kissingen statt, zwei Autostunden nördlich von Stuttgart gelegen. Gleich der erste Tag geht lang und endet feuchtfröhlich.

Gegen ein Uhr nachts, so steht es in der Pressemitteilung des Sozialgerichts Heilbronn, stürzt der 58-Jährige im Treppenhaus des Tagungshotels - mit 1,99 Promille im Blut, wie sich später im Krankenhaus herausstellt. Bewusstlos, mit Kopf- und Lungenverletzungen kommt der Betriebsrat in die Notaufnahme. Nach dem Unfall ist er längere Zeit arbeitsunfähig. Noch heute leidet er unter Schmerzen und Konzentrationsstörungen.

Die Reaktion der Berufsgenossenschaft

Der Mann wendet sich an seine Berufsgenossenschaft ETEM (Energie, Textil, Elektro, Medienerzeugnisse) und will seinen Sturz dort als Arbeitsunfall geltend machen. Er gibt an, sich nicht an den genauen Unfallhergang erinnern zu können und argumentiert, auf der Tagung sei es üblich, auch beim abendlichen geselligen Zusammensein unter Kollegen über betriebliche Belange zu sprechen. Doch die zuständige Berufsgenossenschaft lehnt ab und kontert: Der 58-Jährige habe sich zum Unfallzeitpunkt in alkoholisiertem Zustand befunden und nicht beweisen können, dass er dabei einer betrieblichen Tätigkeit nachgegangen sei.

Der Betriebsrat will das nicht akzeptieren und zieht vor das Sozialgericht Heilbronn.

Das Urteil des Gerichts

Die Heilbronner Kammer gibt dem Kläger recht und verpflichtet die Berufsgenossenschaft, den Sturz als Arbeitsunfall anzuerkennen. Zur Begründung führt das Gericht aus, beim geselligen Zusammensein sei auch Dienstliches besprochen worden - im Übrigen habe sich der folgenschwere Sturz auf dem Rückweg zum Hotelzimmer ereignet. Diesen Weg wertet das Gericht als "Arbeitsweg", der selbst dann unfallversichert sei, wenn der Kläger im Anschluss an den offiziellen Veranstaltungsteil nur private Dinge besprochen habe. "Bei beruflichen Tagungen sei regelmäßig eine klare Trennung zwischen privaten und betrieblichen Belangen nicht möglich", heißt es in der Pressemitteilung.

Der Betriebsrat darf sich nun freuen, denn die Entscheidung hat weitreichende Folgen, wie das Gericht auf seiner Homepage schreibt. Demnach muss die Berufsgenossenschaft dem Betroffenen nun unter bestimmten Voraussetzungen Versicherungsleistungen erbringen. So könnte sie zum Beispiel verpflichtet werden, dem Betriebsrat eine Rehabilitationsmaßnahme oder Umschulung zu finanzieren oder ihm Verletzten-/Übergangsgeld oder eine Verletztenrente zu zahlen.

Skurril - aber kein Einzelfall

Ähnlich urteilte in der Vergangenheit bereits das Verwaltungsgericht Stuttgart. Es hatte über den Fall einer Lehrerin zu entscheiden, die beim Schulausflug nach München von einer Bierbank gestürzt war und sich am Rücken verletzt hatte. Auch sie argumentierte, der Unfall habe sich während ihrer erweiterten Dienstzeit ereignet und sei deshalb als Dienstunfall zu werten. Dieser Argumentation schloss sich die Stuttgarter Kammer an.

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