Süddeutsche Zeitung

Sozialforscherin:"Entwicklerteams sollten vielfältig sein"

Susanne Ihsen, Professorin für Gender Studies, forscht über Frauen und Technik.

Interview von Maike Brzoska

Welche Folgen hat es, dass es so wenige weibliche Ingenieure gibt und wie kann man das ändern? Solchen Fragen widmet sich Susanne Ihsen, Professorin für Gender Studies an der Technischen Universität München.

SZ: Die Mehrheit der Ingenieure sind Männer. Merkt man das unserer Technik eigentlich an?

Susanne Ihsen: Es gibt viele technische Geräte, die von Frauen entwickelt wurden, zum Beispiel Scheibenwischer, Geschirrspülmaschinen oder leichtere Brillengläser für Menschen mit hohen Dioptrien-Zahlen. Das wissen viele nur nicht. Aber es stimmt schon, dass es oft eine Diskrepanz gibt zwischen denjenigen, die die Technik entwickeln, und den späteren Nutzerinnen und Nutzern.

Welche Folgen hat das? Können Sie Beispiele geben?

Etwa der Anschnallgurt. Er kann für Schwangere gefährlich sein, weil er bei einem Unfall das Ungeborene verletzen kann. Trotzdem gilt für Schwangere die Anschnallpflicht, da man davon ausgeht, dass es ohne Gurt noch gefährlicher ist.

Deshalb rät der ADAC Schwangeren, möglichst wenig Auto zu fahren.

Dabei könnte man sich auch andere Möglichkeiten vorstellen, so einen Anschnallgurt zu konstruieren. In Rennautos gibt es beispielsweise Gurte, die von hinten über die Schulter gehen. Man hat das Problem erkannt, aber ich finde, es hat ganz schön lange gedauert. Schwangere Frauen am Steuer sind ja keine neue Erscheinung.

Autos galten lange als Männersache.

Frauen werden von der Branche erst seit Kurzem als Konsumentinnen wahrgenommen. Hier waren sehr lange Männer die Hauptansprechpartner. Als Frauen dann in den Blick gerieten, wirkte das zunächst etwas unbeholfen. Der VW Beetle beispielsweise erhielt aufgrund seiner Formen den Ruf eines Frauenautos. Die nächste Werbekampagne lautete dann: "It's a boy." Ob dieser Hinweis dazu geführt hat, dass sich Männer dem Auto zuwandten, weiß ich nicht. Ein anderes Beispiel: Kennen Sie diese Türen, die automatisch aufgehen sollen, wenn man dagegen drückt?

Bei denen man sich manchmal mit voller Wucht dagegen stemmen muss?

Genau. Am besten ist man groß, breitschultrig, schwer und hat beide Hände frei, dann funktionieren diese Türen ganz wunderbar.

Da fragt man sich, wen die Ingenieure eigentlich vor Augen haben, wenn sie solche Türen konstruieren.

Das ist der springende Punkt. Wenn ich vor einem Problem stehe, das ich lösen soll, fange ich natürlich zunächst einmal bei mir selbst an. Wie wünsche ich mir den Anschnallgurt oder die Tür oder das Auto? Was habe ich selbst für Erfahrungen damit? Vielleicht gehe ich dann noch zu den Kollegen, bespreche mich mit denen, und danach habe ich das Gefühl zu wissen, wie eine Lösung aussehen könnte und fange an zu entwerfen. Und das ist eben genau die Gefahr. Wenn Sie sich in einem sehr homogenen Kreis von Menschen bewegen, die ähnlich ticken wie Sie selbst, die ähnlich sozialisiert sind, dann bilden Sie eben auch nur die Wünsche und Bedürfnisse dieses Kreises ab. Der Kundinnen- und Kundenkreis ist aber in der Regel sehr viel heterogener.

Also ist es im ureigenen Interesse der Unternehmen, wenn ihre Ingenieure näher an ihren Nutzern dran wären.

Das haben viele Unternehmen inzwischen auch erkannt. Teilweise können sie ihre Entwicklungszeiten deutlich verkürzen. Das ist in Zeiten, in denen immer schneller neue Produkte auf den Markt kommen, ein großer Vorteil.

Wie können Firmen das erreichen?

Das erreicht man, wenn die Gruppe, die die Technik entwickelt, selbst vielfältig ist. Und damit meine ich nicht ausschließlich die Geschlechter, sondern auch unterschiedliche Altersgruppen, unterschiedliche berufliche, kulturelle Hintergründe. Je nachdem, für wen das Produkt gedacht ist, sollte man Entwicklungsteams so vielfältig wie möglich besetzen, um dann zu gucken, welche Ideen haben die einen, welche die anderen. Das bringt neue Perspektiven in den Entwicklungsprozess ein.

Denken Sie, dass wir heute andere technische Geräte hätten, wenn es mehr weibliche Ingenieure gegeben hätte?

Nein, das denke ich nicht. Frauen und Männer sind ja nicht - anders als das auf manchen Buchtiteln steht - vom Mars und von der Venus, sondern sind in derselben Gesellschaft aufgewachsen und, wenn sie im selben Beruf tätig sind, auch entsprechend sozialisiert. Es gab mal eine Phase des Feminismus, in der einige gehofft haben, dass Frauen die friedlichere Technik entwickeln. Aber zum einen funktionieren technische Lösungen eben nicht nur für ein Produkt, sondern für verschiedene. Nehmen wir zum Beispiel eine Wärmebildkamera: Die können Sie zur Gebäudediagnostik einsetzen, aber auch in der militärischen Aufklärung. Zum anderen sind Frauen auch untereinander vielfältig und keine homogene Gruppe. Außerdem ist die Anforderung an Frauen, "besondere" Technik zu entwickeln, unfair.

Warum?

Weil das die Botschaft vermittelt: Frauen sind eben doch vom anderen Stern und werden in der Technik nur akzeptiert, wenn sie diese Besonderheit konstruktiv einbringen. Diese Perspektive zementiert geradezu den Eindruck von Frauen als Ausnahmeerscheinung in technischen Studienfächern und Berufen.

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Quelle:
SZ vom 28.05.2016
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