Süddeutsche Zeitung

Soziale Berufe:Sozialarbeiter - gefragt wie noch nie

Lesezeit: 3 min

Von Miriam Hoffmeyer

Frage: Was sagt ein arbeitsloser Sozialarbeiter zu einem arbeitenden Sozialarbeiter? Antwort: "Einmal Pommes mit Majo bitte!" Dieser Witz ist aus der Zeit gefallen, Sozialarbeiter jobben heute nicht in der Frittenbude oder als Taxifahrer, sie sind auf dem Arbeitsmarkt sogar noch begehrter als Informatiker oder Ingenieure. Im Laufe des vergangenen Jahres verdoppelte sich die Zahl der offenen Stellen in sozialen Akademikerberufen, die der Bundesagentur für Arbeit gemeldet wurden.

Im April 2016 gab es schon 120 offene Stellen pro hundert arbeitslose Sozialarbeiter. Real liege das Verhältnis sogar bei fast 500 zu hundert, erklärt Oliver Koppel, Arbeitsmarktexperte beim Institut der deutschen Wirtschaft (IW) in Köln. Denn erfahrungsgemäß werden drei Viertel der offenen Stellen gar nicht erst der Agentur gemeldet, sondern über Internetbörsen, Anzeigen und persönliche Kontakte besetzt.

In den Jahren vor 2015 hatten Sozialarbeiter auch schon relativ gute Chancen, weil soziale Studiengänge an Beliebtheit eingebüßt hatten und es deshalb weniger Bewerber gab. "Der jetzige Boom ist aber eine unmittelbare Folge der Flüchtlingskrise", sagt Koppel. Kommunen und freie Träger wie die Arbeiterwohlfahrt (AWO), die Diakonie oder die Caritas brauchen dringend Fachkräfte, um Flüchtlinge zu betreuen und Hilfsangebote zu koordinieren. "Sozialarbeiter werden wie blöd gesucht, vor allem auf dem Land", sagt Katharina Vogt, AWO-Referentin für Flüchtlingspolitik. "Auch in vielen Städten ist es sehr schwer geworden, die Stellen zu besetzen." Nur an Standorten von Fachhochschulen, die Sozialarbeiter ausbilden, finde man noch genügend Bewerber.

"Die Leute kommen mit allem zu mir, ob sie einen Hautausschlag haben oder die Handykarte nicht funktioniert"

Anna Drayß machte vor zwei Jahren ihren Bachelor-Abschluss in Sozialarbeit. Eine Woche später fing sie als Leiterin einer Asylunterkunft in Stuttgart an. Um den Job konkurrierten damals etwa 50 gut qualifizierte Bewerber, Drayß bekam ihn auch deshalb, weil sie schon während des Studiums jahrelang ehrenamtlich Flüchtlinge betreut hatte. Heute leitet die 24-Jährige zusammen mit einer Kollegin eine Unterkunft der AWO im Stadtteil Zuffenhausen. In dem Verwaltungsgebäude einer ehemaligen Brotfabrik leben etwa 150 Flüchtlinge, ein Drittel sind Kinder und Jugendliche. Die meisten stammen aus Syrien, dem Irak oder aus Eritrea.

Vormittags ist es ruhig auf den breiten Korridoren, nur ein kleines Mädchen kehrt gerade aus der Schule zurück zu seinen Eltern, die in einer Gemeinschaftsküche Mittagessen kochen. Ein älterer Gambier kommt auf Anna Drayß zu, er möchte nicht, dass in seinem Zimmer ein ihm unbekannter, neuer Mitbewohner einzieht. Doch schließlich lässt er sich überzeugen, dass auch das dritte Bett belegt werden muss.

"Meine Hauptaufgabe ist, den Leuten dabei zu helfen, dass sie im Alltag Fuß fassen, einen geregelten Tagesablauf bekommen", sagt die Sozialarbeiterin. Sie sorgt dafür, dass die Kinder zur Schule gehen und die Erwachsenen an Deutschkursen und Freizeitangeboten teilnehmen können, organisiert Termine bei Behörden und Beratungsstellen, vermittelt Firmenpraktika und sucht Therapieplätze für Traumatisierte. Jeden Tag von zwölf bis 14 Uhr ist offene Sprechstunde in ihrem Büro. "Die Leute kommen eigentlich mit allem zu mir, ob sie einen Hautausschlag haben oder die Handykarte nicht funktioniert - aber ich kann natürlich nicht alles für sie erledigen!"

Den Großteil ihrer Zeit verbringt Anna Drayß mit dem Ausfüllen von Formularen, der Bearbeitung von Anträgen und bei Sitzungen mit Teamkollegen oder den ehrenamtlichen Helfern. Immer wieder muss sie Streit unter den Bewohnern schlichten. "Das ist unvermeidlich, wenn so viele Menschen auf engem Raum zusammenleben. Meistens geht es um Lärm oder darum, dass jemand nicht geputzt hat."

Pragmatismus sei die wichtigste Voraussetzung für ihren Job, meint Drayß, auch Humor. "Und man darf nicht alles persönlich nehmen. Gerade arabische junge Männer lassen sich von einer Frau nur sehr ungern was sagen." Zumal von einer jungen, hübschen Frau. Trotzdem hat sich Drayß Respekt verschafft. Faszinierend an ihrem Job findet sie, dass er fast alle Felder der Sozialarbeit in sich vereinigt: "Hier wohnen Kinder und Jugendliche, Schwangere, alte Leute, Menschen mit Behinderungen, psychischen Krankheiten oder Suchtproblemen."

Den Mangel an Kollegen spürt Anna Drayß ganz direkt: Im Januar und Februar musste sie nebenbei in einer Turnhalle aushelfen, in der Flüchtlinge untergebracht sind. Und weil sie regelmäßig in Bewerbungsgespräche einbezogen ist, sieht sie, wie stark die Zahl der Kandidaten zurückgegangen ist. "Dabei bewerben sich jetzt auch Soziologen, Kulturwissenschaftler oder Bibliothekare."

Beste Jobaussichten für Arabisten

Dass die Situation auch Absolventen anderer, vor allem geisteswissenschaftlicher Fachrichtungen neue Chancen eröffnet, meint auch Oliver Koppel vom IW: "Arabisten haben praktisch eine Blanko-Karte für den Arbeitsmarkt." Allerdings sind fast alle offenen Stellen in der Flüchtlingssozialarbeit befristet. Könnten sie einfach wieder gestrichen werden, wenn weiter weniger Flüchtlinge nach Deutschland kommen? Oliver Koppel ist optimistisch: "Erstens wird ein großer Teil der Flüchtlinge, die schon hier sind, langfristig bleiben. Und zweitens gehen in den nächsten Jahren sehr viele Sozialarbeiter in Deutschland in den Ruhestand, der Ersatzbedarf ist hoch." Wer jetzt eingestellt werde, könne damit rechnen, auf Dauer beim selben Arbeitgeber beschäftigt zu werden, wenn auch vielleicht in einem anderen Bereich.

Dass Sozialarbeiter wegen des Nachwuchsmangels bald besser bezahlt werden könnten, glaubt allerdings nicht mal der Vorsitzende ihres Berufsverbands DBSH, Michael Leinenbach: Da müssten sich die Wertvorstellungen der Gesellschaft erst grundlegend ändern. Und als Studienfach der Zukunft lässt sich Sozialarbeit auch nur eingeschränkt empfehlen. Denn gerade aufgrund der vielen Neueinstellungen jetzt könnten in Zukunft viel weniger Jobs frei werden. "Wer jetzt startet, ist frühestens in drei Jahren fertig", gibt Kolja Briedis zu bedenken, Absolventenforscher beim Deutschen Zentrum für Hochschul- und Wissenschaftsforschung. "Wie der Arbeitsmarkt dann aussehen wird, kann niemand wissen."

Bestens informiert mit SZ Plus – 4 Wochen kostenlos zur Probe lesen. Jetzt bestellen unter: www.sz.de/szplus-testen

URL:
www.sz.de/1.3027086
Copyright:
Süddeutsche Zeitung Digitale Medien GmbH / Süddeutsche Zeitung GmbH
Quelle:
SZ vom 11.06.2016
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über Süddeutsche Zeitung Content. Bitte senden Sie Ihre Nutzungsanfrage an syndication@sueddeutsche.de.