Soft Skills:Fachidioten im Chefsessel

Kann aus einem fiesen Typ ein guter Chef werden? Firmen stecken Mitarbeiter in Soft-Skills-Seminare, um genau das zu erreichen. Aber lassen sich erwachsene Menschen überhaupt erziehen?

Julia Bönisch

Wenn Susanne Römisch morgens ihr Büro betritt, kleben schon drei strahlend gelbe Post-its an ihrer Tastatur. Darauf hat ihre Chefin fein säuberlich eine To-Do-Liste geschrieben. Die Punkte darauf reichen aus, um sie bis zum Mittagessen zu beschäftigten - wenn sie überhaupt eine Pause macht. Denn oft genug steht ihre Vorgesetzte um halb elf mit weiteren Aufträgen in der Tür: "Das Protokoll der Sitzung war ja wohl nichts. Da musst du noch mal ran. Solche Fehler erlaubst du dir in Zukunft bitte nicht mehr."

Soft Skills: Fieser Chef - ohne Soft Skills: Dabei werden nur Mitarbeiter gesucht, die immer verfügbar, immer gut drauf, immer ansprechbar sind.

Fieser Chef - ohne Soft Skills: Dabei werden nur Mitarbeiter gesucht, die immer verfügbar, immer gut drauf, immer ansprechbar sind.

(Foto: Foto: iStock)

"Nach solchen Tagen ist meine Motivation völlig verschwunden", erzählt die gestresste Personaldisponentin. "Ein Lob höre ich nie. Sie sagt mir nur, was ich schlecht mache. Und reden kann ich mit ihr auch nicht darüber - dann flippt sie sofort aus."

Lauter Fachidioten

Fachlich hat Susanne Römisch an ihrer Vorgesetzten überhaupt nichts auszusetzen. Doch menschlich ist sie eine Katastrophe - wie so viele Mitarbeiter, die allein wegen ihres Könnens befördert werden, ohne Führungskompetenzen aufzuweisen.

Soft Skills lauten die Schlüsselworte, mit der Experten das beschreiben, was vielen völlig fehlt. Der Begriff ist schwammig und lässt sich am besten mit dem Stichwort "soziale Kompetenz" ins Deutsche übersetzen. Gemeint sind Qualifikationen wie Team-, Konflikt- und Kritikfähigkeit, Motivation und emotionale Intelligenz.

Leuchtturmwärter auf einer einsamen Insel

Die Wirtschaft hat schon lange erkannt, dass diese Talente mindestens ebenso wichtig sind wie Expertenwissen - und übertreibt es damit inzwischen gern ein wenig. Sogar wenn ein Leuchtturmwärter für eine einsame Insel gesucht wird, strotzt die Ausschreibung vor Vokabeln wie "Freude am Umgang mit Menschen" oder "souveränes Auftreten und Teamgeist".

Doch zufrieden sind die Unternehmen längst nicht mit den Bewerbern. Laut einer Untersuchung der Unternehmensberatung DDI, für die 600 Führungskräfte befragt wurden, halten zahlreiche Firmen ihre Mitarbeiter für überfordert. Die Manager bemängelten besonders, der Nachwuchs sei unvorbereitet auf Machtkämpfe und unterschätze die Bedeutung des Netzwerkens: Keiner für alle, jeder für sich.

Schlüsselkompetenzen im Hörsaal

Deshalb versuchen Universitäten, ihre Absolventen besser auf die Arbeitswelt vorzubereiten. Mehr als 80 Prozent der Hochschulen haben inzwischen die Vermittlung von Schlüsselkompetenzen in ihre Curricula aufgenommen oder zumindest ein Konzept dafür vorliegen. In "Career Centern" trainieren Studenten gutes Benehmen, ansprechendes Präsentieren oder Teamarbeit.

Doch können Studenten Soft Skills überhaupt lernen? Und wie sieht es mit Leuten wie der Vorgesetzen von Susanne Römisch aus? Ist es als erwachsener Mensch nicht viel zu spät, sich solch grundlegende Dinge wie Verständnis oder Empathie anzutrainieren? Immerhin stecken die Unternehmen Jahr für Jahr Millionen in sogenannte interne Employability-Programme, um die Soft Skills ihrer Angestellten zu trainieren.

Auf der nächsten Seite: Warum längst nicht alle Soft-Skills-Seminare nützen - und Assessment Center nicht geeignet sind herauszufinden, ob ein Bewerber Sozialkompetenzen hat.

Fachidioten im Chefsessel

Seminare nach dem Gießkannenprinzip

"Sie können aus einem Ackergaul kein Rennpferd machen", sagt Christoph Aldering, der bei der Unternehmensberatung Kienbaum für den Bereich Management-Diagnostik zuständig ist. "Ein introvertierter Typ wird auch mit noch so viel Training nicht zu einem charismatischen Redner; genauso wie man aus einem konfliktscheuen Menschen keinen machen kann, der plötzlich frei heraus alle anderen kritisiert."

Vielmehr müsse der Mitarbeiter, der solch ein Programm durchlaufe, von vorneherein über die gewünschten Potentiale verfügen, sonst brächten alle Seminare nichts, erklärt Aldering. Soft-Skills-Trainings werden jedoch häufig nach dem Gießkannenprinzip verteilt: mal hier, mal da, alle kriegen ein bisschen ab, ohne dass Bedarf oder Dringlichkeit eine Rolle spielen.

Schnell, extrovertiert und sozial angepasst

Aldering rät deshalb, schon bei der Personalauswahl verstärkt darauf zu achten, ob Bewerber über Soft Skills verfügen oder nicht. "In Rollenspielen lässt sich durchaus feststellen, ob ein potentieller Mitarbeiter die gewünschten Fähigkeiten hat."

Doch in solchen Auswahlverfahren achten Unternehmen fast nur auf ganz bestimmte soziale Fähigkeiten, warnt Hildegard Macha, die sich mit der Vermittlung von sozialen Kompetenzen beschäftigt. "Gerade Assessment Center sind auf ein sehr einseitiges Bild von Führung ausgerichtet", sagt die Professorin für Pädagogik an der Universität Augsburg. Punkten könne nur, wer extrem schnell, extrovertiert und sozial angepasst sei.

Gesucht würden nur Mitarbeiter, die immer verfügbar, immer gut drauf, immer ansprechbar seien. "Es geht nur noch ums höher, schneller weiter", erklärt die Professorin. "Dabei profitieren Firmen ungemein von Querdenkern, die aus dem Rahmen fallen. Sie können ungeheuer viel anstoßen."

Extrovertiert ist nicht automatisch gut

Deshalb plädiert die Professorin dafür, ein neues Verständnis der Soft Skills zu entwickeln. Jede Persönlichkeitsfacette könne eine Stärke sein - wenn sie der Mitarbeiter richtig einsetze. So sei ein introvertierter Chef nicht automatisch ein schlechterer. "Er reagiert in bestimmten Situationen einfach nur anders und braucht seine Rückzugsmöglichkeiten. Doch am Ende muss deshalb nicht die schlechtere Entscheidung stehen."

Und was ist mit solch unverträglichen Chefs wie der von Susanne Römisch, können auch sie Soft Skills lernen? "Grundsätzlich ja", sagt Hildegard Macha, "aber das dauert." Für eine tiefgreifende Veränderung im Verhalten brauche man etwa anderthalb Jahre. In dieser Zeit müsse der Mitarbeiter aber kontinuierlich üben. "Es ist nicht damit getan, ein Buch zu lesen. Es braucht immer wieder konkrete Übungssituationen, um tatsächlich eine Verhaltensänderung zu erreichen."

Anderthalb Jahre will Susanne Römisch allerdings nicht mehr als Blitzableiterin für ihre Vorgesetzte herhalten. Inzwischen sieht sie sich nach einer anderen Stelle um - und hofft, im neuen Job einen Chef mit mehr Talent für Soft Skills zu haben.

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