Sheryl Sandberg über Frauen und Karriere:"Wir müssen zuerst die Stereotypen verändern"

Schnelles Rechenzentrum im Kopf: Facebook-Finanzvorstand Sheryl Sandberg hat 48 Stunden Zeit für Deutschland. Die nutzt sie auch für ein Gespräch über Merkels Karriere, das Vorurteil, Mädchen könnten nicht führen - und die Frage, ob die Desperate Housewives etwas für den Feminismus tun können.

Von Miriam Stein

Facebook-Geschäftsführerin Sheryl Sandberg ist zu Besuch in Deutschland, scheinbar um einen Pressemarathon-Rekord aufzustellen. Über alle Kanäle bewirbt sie ihr Buch "Lean In", in dem sie Frauen bestärkt sich in ihre Karriere "reinzuhängen", anstatt sich ins familiäre Leben zurückzuziehen, über alle Kanäle. Im Rahmen der Reise besucht sie auch die deutsche Facebook-Zentrale, spricht auf einer Konferenz, knipst sich am Brandenburger Tor, frühstückt mit Kunden und trifft Bundeskanzlerin Merkel - all das in 48 Stunden und, selbstverständlich, live dokumentiert über ihre Facebook-Seite. nach den ersten Fragen offenbart sich die Produktivität des Rechenzentrums in Sandbergs Kopf, neben Thesen und Statement rattern Zahlen und Statistiken. Und sie erzählt, dass sie tatsächlich noch einen weiteren Termin unterbringen konnte.

SZ.de: Frau Sandberg, ihr Buch hat ein massives Medienecho ausgelöst. Zu ihren Titeln - Frau Facebook, fünftmächtigste Frau der Welt - können Sie jetzt noch "Berühmtheit" hinzufügen. Wie fühlen sie sich in der Rolle der öffentlichen Figur?

Sandberg: Ehrlich gesagt, wollte ich niemals öffentlich sein. Die erste Version meines Buches bestand nur aus Statistiken. Meine Co-Autorin mochte es nicht. Sie fand es dröge. Kein Mensch würde verstehen, was ich eigentlich damit sagen wolle.

Sie haben ihr Buch mit Nell Scovell geschrieben, einer anerkannten US- Drehbuchautorin und Journalistin. Eigentlich ist sie eine Comedy-Expertin. Wie lustig darf Feminismus sein?

Das Buch soll doch amüsant sein. Mir gefällt besonders gut, dass Nell lustig ist. Sie trifft meinen eigenen Tonfall.

Viele Frauen, die in Themen wie Politik oder Wirtschaft zuhause sind, schrecken davor zurück, Bücher wie lustige Ratgeber-Manifeste zu verfassen. Sie stehen an der Spitze von Facebook, hatten sie keine Angst, dass "Lean In" ihre Kompetenz als Geschäftsfrau verletzt?

Sicher. Sehen Sie, Männer bekommen ein "und". Männer dürfen Vater und Experte sein. Männer sind große politische und persönliche Autoren. Frauen müssen eine Wahl treffen: Sie können entweder gute Mütter oder respektierte Expertinnen sein, aber niemals beides. Viele angesehene Geschäftsmänner schreiben ständig Bücher, also darf ich das auch.

Trotzdem ist ihr Buch voller Entschuldigungen und Kompromiss-Erklärungen. Sie entschuldigen sich auch bei Frauen, die keine Karriere machen wollen. Sie sagen, es sei total in Ordnung Hausfrau zu sein. Steht das nicht im Wiederspruch zu ihrem radikalen "Lean In"-Mantra?

Mein Buch ist natürlich ein massiver Widerspruch, weil ich die gleichen Widersprüche und Komplexitäten wie alle Frauen lebe. Frauen fühlen sich im Umgang mit Macht nicht wohl. Manchmal setzen wir uns an den Verhandlungstisch, manchmal an den Rand. Ich kämpfe mit diesem Konflikt mehr als jeder Mann es je tun würde.

Laut "Lean In" findet ihr Ehemann, der Unternehmer Dave Goldberg, ihren Geschmack in Fernsehserien recht bescheiden. Was gucken Sie denn?

Gerade schaue ich "Downtown Abbey", die erste Staffel. Mir fehlen noch genau 20 Minuten bis zum Ende.

Die BBC-Serie gilt doch eigentlich als Qualitätsfernsehen. Nach der Anekdote im Buch hat man eher typische Frauenserien vor Augen?

Naja, ich schaue auch gern "Desperate Housewives". Ist das typisches Frauenfernsehen?

"Das Bild arbeitender Frauen ist in den Medien nirgends positiv"

Auf jeden Fall. Was halten Sie als Feministin von dem Frauenbild, das in Fernsehserien wie "Desperate Housewives" vermittelt wird?

Das Bild arbeitender Frauen ist in den Medien nirgendwo positiv. Nell Scovell und ich haben nach positiven Darstellungen von berufstätigen Müttern in der Popkultur gesucht - ich wiederhole, positiven Darstellungen. Wollen Sie wissen, wie viele wir gefunden haben?

Natürlich.

Nicht eine. Das ist ein Riesenproblem! Wir müssen es lösen.

Wie ist ihr Vorschlag zur Verbesserung des Frauenbilds in der Popkultur?

Ich würde eine Frau erfinden, zu deren Charakteristika, nicht Konflikten, erfolgreiche Arbeit und Familie gehören. Punkt. Im Fernsehen ist die Kombination Arbeit und Mutterschaft nichts als Futter für Drama und Probleme. Im Gegensatz dazu gibt es zahlreiche arbeitende Väter, deren Work-Life-Balance nicht Teil des persönlichen Konflikts innerhalb der Serien-Dramaturgie sein muss. Selbstverständlich braucht eine Fernsehserie Drama. Aber die muss irgendwo anders herkommen. Nicht aus dem Spannungsfeld "Mutterschaft und Karriere".

Sie haben die Kanzlerin getroffen und von einem Foto mit ihr auf Merkels Profil verlinkt. Es gibt Stimmen, die behaupten, Frau Merkels Regierung mache nicht gerade Politik für arbeitende Mütter. Es wurde beispielsweise eine Pauschale beschlossen, die Müttern ausgezahlt wird, wenn sie ihre Kinder zuhause betreuen. Ist das nicht ein falsches Zeichen, gerade von einer Frau?

Ich habe nicht genug Hintergrundwissen, um mich zu äußern, aber es gibt eine interessante Beobachtung innerhalb von historisch als Minderheiten bezeichneten Gruppen. Sobald diese Minderheit ins Zentrum der mehrheitlichen Machstruktur gelangt, übernimmt sie zunächst die Charakterzüge der Mehrheit und diskriminiert damit die eigene Gruppe. Alle wissen jetzt, dass ich um halb sechs das Büro verlasse und in der Arbeit in Tränen ausbreche. Wäre ich die erste weibliche Führungskraft in Silicon Valley, hätte ich das nicht bringen können. Mein Glück ist, dass ich nach Meg Whitman und Carly Fiorina kam. Deswegen versuche ich die Situation für die nächsten nachrückenden Führungsfrauen wieder etwas einfacher zu machen. Vor 34 Jahren war Margaret Thatcher das einzige weibliche Staatsoberhaupt. Heute sind es immerhin 17, immer noch zu wenig, aber wenigstens haben Sie hier eine.

Finden Sie, dass Frau Thatcher genug für Frauen getan hat?

Nein, hat sie nicht. Sie hätte mehr machen sollen, aber es wäre sehr schwer für sie gewesen.

Taugt sie ihrer Meinung nach trotzdem als Vorbild für junge Frauen mit Führungsambitionen?

Die Sache ist: Wenn man die kritische Größe erst erreicht hat, ist es plötzlich viel einfacher die Gruppe zu unterstützen. Es ist unmöglich die Arbeit von Kanzlerin Merkel mit anderen zu vergleichen, weil eben nicht genug Staatschefinnen existieren. Aber in der Wirtschaft sind Erhebungen möglich. Daher wissen wir zum Beispiel, das Firmen, die von Frauen geführt werden, eine familienfreundlichere Unternehmenskultur vertreten. Nicht jedes Unternehmen, aber im Durchschnitt. Wir wissen auch viel über Einkommensunterschiede. Alle Frauen verdienen weniger als ihrem männlichen Kollegen.

Alle Frauen?

Wieder, nicht jede einzelne, aber im Durchschnitt verdienen Frauen sehr viel weniger. Aber das Lohngefälle nimmt in Firmen ab, die von Frauen geführt werden. Das heißt alle Frauen sind besser dran, wenn mehr Frauen in Führungspositionen sitzen. Ich glaube, dass auch politische Führungskräfte auch den Wendepunkt erreichen werden.

Was sagen sie eigentlich in ihrer Funktion als Geschäftsführerin von Facebook zur Quote?

Es gibt Themen, die sind kontextabhängig. Mein Buch erscheint in 24 Ländern. Ich kann wenig zu bestimmten Debatten über Gesetze in den jeweiligen Ländern sagen.

"95% aller Unternehmen werden von Männern geführt"

Aber sie wenden Sie bewusst an die Frauen der ganzen Welt, oder?

95% aller Unternehmen dieser Welt werden von Männern geführt. Das ist der globale Gedanke meines Buches. Natürlich mische ich mich in die politischen Debatten in meinem Land ein, wie die gerade laufende Elterngeld-Debatte. Frauen bekommen in den USA keinen Tag bezahlte Elternzeit. Würde eine Quoten-Diskussion in den USA aufkommen, würde ich mitreden.

Was würden Sie sagen?

Meine Meinung zur Quote: Sie reicht niemals aus. Quoten helfen vielleicht, aber die Länder, die solche Quoten eingeführt haben, konnten den Anteil an Frauen in Führungspositionen nicht vergrößern. In Skandinavien werden, trotz Quote, nur 3% aller Unternehmen von Frauen geführt. Wir müssen die Stereotypen zuerst verändern. Diese Stereotypen sagen: Frauen können nicht führen. Jungs dagegen haben's drauf.

Sie sind mit der amerikanischen Ur-Feministin Gloria Steinem befreundet. Sind sie mit Deutschlands Top-Feministin Alice Schwarzer bekannt?

Gerade habe ich mit ihr zu Mittag gegessen. Das war unser erstes Treffen, aber sie schien ganz wundervoll.

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