Süddeutsche Zeitung

Shaolin-Training für Manager:Eine Ration Weisheit, bitte

In uns ruhend, konzentriert und kraftvoll - so würden wir gerne Karriere machen. Shaolin-Mönche leben diese Tugenden vor. Doch wer ihnen nacheifert, muss zunächst einmal leiden.

Maria Holzmüller

Die Uhr scheint pötzlich stehengeblieben zu sein. Minuten werden zu Stunden, Sekunden zu Minuten. Irgendwo draußen zwitschert ein Vogel, aber hier drinnen rauscht nur noch das Blut durch die Ohren - sofern es noch rauschen kann. In den Kniekehlen scheint es bereits zu stocken. Es kribbelt in den Waden, pocht in den Oberschenkeln und vertreibt gerade jegliches Gespür aus dem linken Fuß.

Seit gerade einmal zehn Minuten sitzt eine Gruppe von Männern und Frauen im Schneidersitz auf dem Boden, die Augen geschlossen - und versucht zur Ruhe zu kommen. Das gelingt zumindest einem: Meister Zheng, einem jungen Mann aus China im grell-orangenen Anzug, der an der Spitze des Raumes sitzt und uns beibringen will zu meditieren.

Meister Zheng ist Shaolin-Mönch. Für ein paar Monate im Sommer hat er das buddhistische Shaolin-Kloster im Herzen Chinas verlassen, um im Posthotel Achenkirch am Achensee gestressten Großstadtmenschen die jahrtausendealten Weisheiten der Shaolin-Philosophie näher zu bringen. Am Anfang steht die frühmorgendliche Meditation im gemütlich ausgebauten alten Bauernhaus im Zentrum der Hotelanlage.

Was mit ein bisschen Ohren reiben und Hüftdehnen beginnt, soll durch ruhiges Verharren im Schneidersitz und gleichmäßiges Atmen in der vollkommenen Ruhe enden. Ziel ist es, das Chi, die Lebensenergie, frei laufen zu lassen und volle Konzentration auf sich selbst zu erlangen. Doch anstatt der Ruhe wächst mit jeder Sekunde die Nervosität im Raum. Hier wackelt ein Knie leicht, dort versucht ein älterer Herr durch Gewichtsverlagerung verzweifelt, eine bequemere Position zu finden, ohne dabei für viel Lärm im Raum zu sorgen.

Das mit der Konzentration will einfach nicht klappen. Es kann so schwer sein, nichts zu denken - besonders für Manager, die es gewohnt sind, im Arbeitsalltag zehn Dinge gleichzeitig zu koordinieren. Volle Konzentration auf eine Sache ist ein Luxus, den man sich oftmals einfach nicht leisten kann - und eine Fähigkeit, die man damit auch verlernt.

Shaolin-Mönch Meister Zhen möchte genau das ändern: "Durch Meditation kann man den Geist trainieren, sich leichter zu konzentrieren - und damit seine Energie bündeln." sagt er mit dem chinesischen Mönchen so eigenen Lächeln.

In der Hektik des Berufsalltags ist das Gehirn stets mit mehreren Problemen gleichzeitig beschäftigt - und dadurch nicht so effektiv, wie es sein könnte. Das schadet manchmal auch der Karriere. Genau deshalb bietet Management-Trainerin Claudia Maurer zusammen mit einem chinesischen Shaolin-Mönch spezielle Shaolin-Seminare für Manager an. "Die Teilnehmer sollen lernen, ihren Fokus auf das zu richten, was wirklich zählt. Nur wer ganz bei sich selbst bleiben kann, sich nicht von der Anerkennung anderer abhängig macht und vom Stress aus der Bahn werfen lässt, hat als Führungspersönlichkeit wahre Gelassenheit, Charisma und den Blick für das Wesentliche", sagt sie.

Auch in ihren Seminaren ist es sehr wichtig, zunächst Achtsamkeit zu üben. Leichte Meditationsübungen sollen die Teilnehmer auf den Weg zur inneren Balance bringen. "Zehn Minuten einfach gar nichts zu denken oder zu tun ist für die meisten eine unglaubliche Herausforderung", sagt sie.

Eine Herausforderung, die in Achenkirch bei Shaolin-Meister Zhen gerade ihr Ende findet. Eine halbe Stunde Meditation ist überstanden, mühsam richten sich die Teilnehmer auf, die eingeschlafenen Gliedmaßen von sich schüttelnd. Sie können es kaum abwarten, jetzt ans üppige Frühstücksbuffet zu stürmen oder sich im luxuriösen Wellness-Bereich des Hotels verwöhnen zu lassen. Das Shaolin-Angebot ist hier nur eine der Besonderheiten, die die Gäste in Anspruch nehmen dürfen.

Meister Zhen bleibt trotz der mangelnden Begeisterung seiner Schüler zuversichtlich. "Die Meditation fängt am Anfang allen schwer", sagt er milde. Für ihn ist die Zeit in Österreich geradezu Erholung. Im Traditions-Kloster in China folgt der Tagesablauf festen Regeln. Um fünf Uhr wird aufgestanden, gemeinsam meditiert, Kung-Fu trainiert und Qigong praktiziert. Ab Nachmittag kümmern sich die Mönche um die immer zahlreicher werdenden Touristen, die das Kloster besichtigen, erzählt Meister Zhen. Auf seine Mönchskarriere hat er sich lange vorbereitet, die buddhistischen Lehren studiert und seinen Körper trainiert.

Elemente der Kampfsportart Kung-Fu stehen am Nachmittag auch im Hotel am Achensee auf dem Programm. Und wie die Meditation sehen auch die Übungen wieder ganz leicht aus - wenn der Meister selbst sie vorführt.

Alle anderen kämpfen erst einmal mit sich selbst, ihrem mangelnden Gleichtgewichtssinn oder einfach der Scham, vor allen Leuten mit verschränkten Armen in die Hocke zu gehen, ein Knie anzuheben und das Bein kräftig nach vorne zu kicken. Doch die Kampfsport-Übungen spielen eine ebenso wichtige Rolle für die Verinnerlichung der Shaolin-Philosphie wie die Meditation, erklärt Claudia Maurer. "Der Körper drückt sichtbar aus, welche inneren Konflikte uns blockieren. Nur der Einklang der drei Elemente Körper, Geist und Seele lässt uns auch im Job fokussiert und klar die Kraft auf ein Thema oder Problem richten", sagt sie.

Was sich mit so viel geballter Konzentration alles verwirklichen lässt, zeigt Meister Zehn in Achenkirch am Abend eindrucksvoll in der Hotel-Lobby. Sein Blick richtet sich nach innen, die Augen streng gerade aus, in der Hand eine einfache Nadel. Vor ihm eine fingerdicke Glasscheibe, hinter der ein Luftballon befestig ist. Der drahtige junge Mönch holt einmal tief Luft - und stößt zu. Die Nadel durchstößt das Glas und bringt den Ballon zum Platzen.

"Wer so viel Energie in seine Handlungen stecken kann, der erreicht alles, was er will", murmelt eine Teilnehmerin der morgendlichen Meditation. Bis dahin ist es für die meisten wohl noch ein langer mühsamer Weg voll eingeschlafener Beine und ungelenker Verrenkungen.

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