Süddeutsche Zeitung

Sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz:"Meist ist es ein Machtspiel"

Anlässlich des Themenjahres "Gleiches Recht. Jedes Geschlecht.", hat die Antidiskriminierungsstelle des Bundes eine Studie zum Thema sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz veröffentlicht. Aus dieser geht hervor, dass jeder zweite Arbeitnehmer in Deutschland die im Gesetz festgehaltenen Situationen sexueller Belästigung schon einmal selbst am Arbeitsplatz erlebt hat. Peter Modler bringt als Unternehmensberater seinen Seminarteilnehmern seit Jahren bei, wie sie sexuellen Übergriffen am Arbeitsplatz begegnen sollen.

Interview von Manuel Stark

Herr Modler, ich fühle mich von einem Kollegen am Arbeitsplatz sexuell belästigt. Was kann ich dagegen tun?

Zuerst müssen Sie verstehen, was Ihr Gegenüber von Ihnen möchte. Meist ist das, was als sexuell motivierte Belästigung wahrgenommen wird, in Wirklichkeit ein getarntes Machtspiel. Tatsächliches sexuelles Interesse ist bei Belästigungen am Arbeitsplatz eher selten. Während Männer sehr in hierarchischem Denken verhaftet sind, spielt für Frauen Zugehörigkeit eine wichtige Rolle.

Wie kommt die Umfrage der Antidiskriminierungsstelle dann zu ihren Ergebnissen?

Stattdessen kommt es immer wieder vor, dass ein Mann sich durch eine Kollegin fachlich bedroht fühlt und sich durch anzügliche Kommentare jede fachliche Auseinandersetzung sparen will. Sobald man das Verhalten als Machtspiel erkennt, muss man sich darauf einlassen und der Person deutlich, ruhig und souverän entgegentreten. Aus der Situation zu flüchten und die Opferrolle anzunehmen, kann von der Gegenseite als Erfolgserlebnis gewertet werden und provoziert oft weitere Konfrontationen.

Wie sollte man den Kollegen, von dem man sich belästigt fühlt, auf sein Verhalten ansprechen?

Es ist wichtig, die Belästigung keinesfalls als Beziehungsthema anzusprechen. Stattdessen geht es um eine deutliche Abgrenzung in kurzer Form, mit langsamen Bewegungen und akustisch laut. So laut, dass auch das Umfeld es mitbekommt. Oft reicht es schon aus, die Stellungen innerhalb des Unternehmens zu verdeutlichen. Würde die Assistentin der Geschäftsführung eines Unternehmens X von ihrem Chef belästigt werden, sollte die Botschaft etwa so lauten: "Ich bin die Assistentin der Geschäftsführung. Du bist der Chef der Firma X. Nicht mehr." Die Worte müssen deutlich und neutral, nicht etwa freundlich ausgesprochen werden. Eine langsame Aussprache und kleine Pausen zwischen den Sätzen helfen dabei, die souveräne Wirkung des eigenen Auftretens zu unterstützen.

Viele Betroffene haben Angst, ihrer eigenen Karriere zu schaden, indem sie sich wehren.

Das kann natürlich tatsächlich passieren. Oft ist es aber ein weit verbreiteter Irrtum beim Umgang mit Belästigungen: die Angst, dass eine deutliche Abfuhr dem eigenen Ruf oder der Karriere in einem Unternehmen schaden könnte. Das Gegenteil ist häufiger der Fall - wenn man nicht hektisch, sondern ruhig und entschieden aufdringliches Verhalten zurückweist. Das kann in erheblichem Maß Respekt einbringen.

An wen sollte ich mich wenden, wenn ich mich sexuell belästigt fühle?

Wenn die klare Konfrontation mit dem betroffenen Kollegen nichts bringt, dann sollte man sich an den Vorgesetzten, die Personalabteilung oder eine entsprechende innerbetriebliche Anlaufstelle wenden. Wenn es sich bei der aufdringlichen Person um den eigenen Vorgesetzten handelt, sollte man sich an dessen Vorgesetzten wenden. Dieser ist gesetzlich dazu verpflichtet, Hilfe zu leisten. Allerdings müssen Sie sich darüber klar sein, dass das ein schwieriger Weg mit Widerständen werden wird. Gehen sollten ihn jeder Betroffene trotzdem.

Wann kann man aus juristischer Sicht von einer sexuellen Belästigung sprechen?

Als sexuelle Belästigung nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz zählen anzügliche Kommentare oder Berührungen ebenso wie das Aufhängen von Nacktkalendern gegen den Willen anderer Mitarbeiter. Im Regelfall dienen solche Dinge aber wirklich nur als Maskerade für hierarchische Machtspiele.

Wie lässt sich im Zweifelsfall eine sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz beweisen?

Die Frage der Beweiserhebung ist ohne Zeugen fast nicht zu lösen. Oft steht Aussage gegen Aussage und auf dieser Basis ist ein gerichtliches Urteil wie auch eine Abmahnung durch den Betrieb fraglich. Auch deswegen ist es wichtig, das kollegiale Umfeld bei einer Auseinandersetzung mit einzubeziehen. Auch wenn man in einem solchen Moment vielleicht besonders aufgewühlt ist, ruhig zu bleiben und kühl nachzudenken. Welche Schritte kann ich gehen? Welche Konsequenzen werden diese haben? Durch juristische Schritte kann es leicht passieren, dass ein Verbleib im Betrieb oder gar in der Branche nicht mehr möglich ist. Natürlich soll sich dennoch niemand belästigen lassen, ganz im Gegenteil. In den allermeisten Fällen lässt sich das Problem schon allein durch das richtige Auftreten sehr schnell lösen.

Anmerkung der Redaktion:

Falls Sie sich selbst von sexueller Belästigung am Arbeitsplatz betroffen fühlen, wenden Sie sich für Beratung und Hilfe an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes. Das Fragentelefon erreichen Sie unter der Telefonnummer 030 18 555 18 65.

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