Süddeutsche Zeitung

Seniorenassistenten:Ziemlich beste Freundinnen

Mit einer entsprechenden Ausbildung kann man alte Menschen in ihrem Heim oder in ihrer Wohnung betreuen und ihnen bei Botengängen helfen. Manchmal entwickeln sich bei dieser Arbeit enge Beziehungen.

Von Joachim Göres

Larissa Karassenko sieht Erna Janek mit sorgenvollem Blick an. "Ich habe gehört, Sie sind gestern ohne Rollator alleine auf der Hildesheimer Straße unterwegs gewesen. Das ist nicht gut, Frau Janek, da können Sie leicht fallen", sagt die Betreuerin. Janek lächelt, als sie diese Worte Karassenkos hört, und entgegnet: "Aber draußen ist es doch so schön. Und die Polizei hat mich wieder nach Hause gebracht, wie sonst auch, da kann mir nichts passieren."

Bei der Fortbildung geht es um Ernährung und Freizeitgestaltung, aber auch um Tod und Trauer

Das Verhältnis zwischen den beiden Frauen ist persönlich. Schon seit sieben Jahren betreut Karassenko die 88-jährige Janek. Sie besucht die Seniorin mehrmals die Woche in ihrem Heim in Hannover. "Frau Janek isst nicht, wenn sie allein ist. Deswegen versuche ich immer, zu den Mahlzeiten zu kommen", sagt Karassenko. Danach geht sie mit ihr dann meistens spazieren, verbunden mit kleinen Besorgungen, oder auf ein Eis in ein Café. Janek sei gerne unter Leuten und habe einen starken Bewegungsdrang. Dies könne zum Problem werden - wegen ihrer Demenz finde sie oft den Weg nicht mehr allein zurück. "Sie braucht Beschäftigung, ist neugierig auf ihre Umwelt und sehr lebensfroh. Wir mögen uns", sagt Karassenko.

Die gelernte Architektin stammt aus Russland, hat in Deutschland im Hotelgewerbe gearbeitet und nebenher ehrenamtlich Senioren betreut. Die 57-Jährige wollte sich gerne selbständig machen - deswegen hat sie 2009 eine Fortbildung besucht. Das Weiterbildungsunternehmen Ute Büchmann bietet in verschiedenen Städten Kurse im Umfang von 120 Stunden an, in denen es unter anderem um Fragen der Ernährung, um Fitnessübungen, die Freizeitgestaltung, den Umgang mit Tod und Trauer, die Psychologie des Alters und Krankheiten oder rechtliche Fragen geht. Ungefähr 1700 Euro kostet diese Fortbildung, am Ende erhalten die Teilnehmer ein Zertifikat über die Fortbildung zur Seniorenassistentin. Außerdem gibt es kirchliche Träger, die kostenlose Schulungen zum Seniorenbegleiter anbieten. Der Titel ist nicht geschützt - Experten raten dazu, sich über den Umfang und den Inhalt der Fortbildung zu informieren. Dabei gilt: Die Pflege von alten Menschen sowie die Hausarbeit gehören ausdrücklich nicht zu den Aufgaben von Seniorenassistenten beziehungsweise Seniorenbegleitern.

Am Anfang sei es für sie schwierig gewesen, ihr Angebot überhaupt bekannt zu machen. "Inzwischen werde ich auf Empfehlung hin angerufen und kann mir auch eine Absage leisten, wenn die gegenseitige Sympathie fehlt. Man kann als Seniorenassistentin nicht reich werden, aber ich kann so existieren", sagt Seniorenassistentin Karassenko. Derzeit betreut sie sechs Frauen zu Hause oder in Heimen im Großraum Hannover und verdient damit etwa 1800 Euro netto im Monat. In der Regel wird das Geld von rechtlichen Betreuern aus dem Vermögen der Senioren bezahlt.

Mit den Pflegekräften arbeiten Seniorenbegleiter eng zusammen. Manche bieten sogar Yoga an

"Man muss alte Leute mögen. Ich habe gerne Kontakt zu Menschen mit Demenz, denn die sagen, was sie denken und merken sofort, wenn man sie anlügt", sagt Karassenko. Sie verschweigt aber auch die Schwierigkeiten nicht: "Ich habe erlebt, dass innerhalb kurzer Zeit mehrere von mir betreute Personen gestorben sind. Das ist schon sehr schwierig, denn ich habe ein sehr persönliches Verhältnis zu ihnen und erfahre in unseren Gesprächen viel über ihre Geschichte. Mich abhärten, damit der Tod mich kaltlässt - das will ich nicht."

Von einer steigenden Nachfrage nach Seniorenassistenten spricht Lena Dorin, Referentin für Gesundheits- und Pflegepolitik bei der Bundesarbeitsgemeinschaft der Senioren-Organisationen (Bagso) in Bonn. Dazu trägt ihrer Einschätzung nach das seit 2015 geltende erste Pflegestärkungsgesetz bei, aufgrund dessen Personen mit einer Pflegestufe mehr niedrigschwellige Angebote von der Pflegeversicherung finanziert bekommen. Aufgabe der Betreuungskräfte ist es, in enger Kooperation mit den Pflegekräften, alte Menschen bei alltäglichen Aktivitäten wie zum Beispiel Spazierengehen, Gesellschaftsspielen, Lesen, Basteln zu begleiten und zu unterstützen. Vor allem in der ambulanten Betreuung würden seitdem mehr solcher Angebote in Anspruch genommen. "Der Bedarf wird durch das zweite Pflegestärkungsgesetz weiter wachsen, das in diesem Jahr in Kraft getreten ist. Somit erhalten mehr Personen Leistungen aus der Pflegeversicherung", sagt Dorin. Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen hat Richtlinien zu den Aufgaben und der Qualifikation der Betreuungskräfte beschlossen. Dazu gehören ein Orientierungspraktikum, eine Qualifizierungsmaßnahme sowie jährliche Fortbildungen.

Karassenko wird weiterhin für alte Leute Gedächtnistraining und Yoga anbieten, mit ihnen einkaufen und backen, sie ins Theater oder zum Arzt begleiten, ihnen vorlesen, mit ihnen basteln, sich mit ihnen über Gott und die Welt unterhalten oder sie einfach in den Arm nehmen. Mit Erna Janek, mit der sie schon auf vielen Ausflügen unterwegs war, möchte sie gerne noch viel Zeit verbringen. An der Seniorin soll es nicht liegen: "Meine Eltern sind 102 und 104 geworden, und ich will auch 100 werden", sagt Erna Janek.

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Quelle:
SZ vom 16.03.2017
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