Süddeutsche Zeitung

Digitales Senioren-Studium:Senioren studieren online weiter

Geschichte, Philosophie oder Literaturwissenschaft: Für ältere Menschen, die ihr Lieblingsfach studieren wollen, gibt es auch während der Pandemie viele Angebote. Wie kommen die Teilnehmer mit dem E-Learning klar?

Von Joachim Göres

Die Namen sind unterschiedlich, doch die Inhalte ähneln sich: Studieren ab 50 (Uni Magdeburg), Studium Plus (PH Freiburg), Seniorenakademie (TU Dresden), Campus der Generationen (Uni Trier), Kontaktstudium nach Beruf und Familie (Uni Kiel): Viele deutsche Hochschulen und Universitäten bieten speziell für Menschen im höheren Lebensalter Veranstaltungen an. "Ich rechne bundesweit mit rund 30 000 Seniorenstudierenden. Wegen Corona und der Umstellung auf Online-Veranstaltungen gab es allerdings einen Rückgang von mindestens 30 Prozent", schätzt Thomas Bertram, Vorsitzender der Bundesarbeitsgemeinschaft wissenschaftliche Weiterbildung für Ältere, mit Blick auf die Entwicklung in den vergangenen zwei Jahren. Sie zählt circa 60 Hochschulen und Unis als Mitglieder, die spezielle Angebote für ältere Semester machen. Die neuen digitalen Angebote sieht Bertram, Leiter des Seniorenstudiums an der Leibniz Universität Hannover, auch als Chance: "Wir haben Leute verloren, aber auch nicht wenige gewonnen, die nicht mehr so mobil sind, und für die der Weg in die Uni zu beschwerlich ist. Unser Einzugsbereich ist größer geworden."

Freude an konkreten Projekten zur lokalen Historie

An der Universität zu Köln haben die Verantwortlichen für das Seniorenstudium ihre Studierenden nach den Folgen von Corona und der Umstellung auf das Online-Studium befragt. Ergebnis: Nicht fehlendes technisches Wissen oder unzureichende technische Ausstattung waren meist ausschlaggebend, wenn das Studium abgebrochen wurde. "Viele konnten sich einfach nicht vorstellen, wie sie online den engen Kontakt zu den Kommilitonen aufrechterhalten können, der eine wichtige Motivation für das Studium ist", sagt Koordinatorin Anne Löhr.

"Wir sind weiter am Ball geblieben und haben uns durch Zoom-Konferenzen nicht abschrecken lassen, weil wir uns durch das Präsenzstudium vor Corona schon kannten", berichtet Otto Gertzen auf einer Veranstaltung im Rahmen des Deutschen Seniorentages, der kürzlich in Gestalt von digitalen Veranstaltungen stattfand. Der Rentner ist schon seit vielen Jahren als Gasthörer an der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) eingeschrieben, an der die Kontaktstelle Studium im Alter unter anderem den Schwerpunkt auf forschendes Lernen im Bereich der Lokalgeschichte setzt. Dabei sollen die Studierenden ihre Erfahrungen und Fragen einbringen und eigene Projekte entwickeln. Die Senioren engagieren sich vier Semester lang in festen Gruppen und diskutieren unter anderem, wie man ein konkretes Thema am besten bearbeitet.

Gertzen hat sich unter dem Oberthema Geschlechtergeschichten intensiv mit einem Mutter-Kind-Heim in der Nähe von Münster beschäftigt und untersucht, wie sich die Stellung von Alleinerziehenden über den Zeitraum von 40 Jahren seit der Nachkriegszeit verändert hat. Dafür hat er mit zahlreichen Betroffenen und Mitarbeitern gesprochen und viel Material aufgespürt und ausgewertet. Am Ende werden die Ergebnisse von Gertzen und seinen Mitstudierenden in einer Publikation veröffentlicht. "Die Recherche hat mich am meisten interessiert. Das Interesse von Menschen, die in diesem Heim als kleine Kinder gelebt haben und heute mehr darüber wissen wollen, ist eine starke Motivation für diese Arbeit gewesen", erklärt er.

Damit auch Ältere mit wenig Geld studieren können, gibt es mancherorts einen Sozialtarif

Gertzen hat außerdem an Uni-Seminaren teilgenommen, die für alle Altersgruppen offenstehen, und in denen er neben angehenden Lehrern und Historikern sitzt. In einer Veranstaltung über NS-Opfer an der Uni Münster sollte jeder Studierende über die Biografie einer konkreten Person, die als Wissenschaftler verfolgt wurde, Näheres in Erfahrung bringen. "Solche Veranstaltungen laufen über ein Semester. Der Zeitdruck ist größer, aber die Aufgabe auch überschaubarer. Der Kontakt der älteren zu den jungen Studierenden ist dabei nicht so eng wie unter den Senioren. Bei uns Alten geht es persönlicher zu", betont er.

Wolfgang Schadt studiert an der Universität des 3. Lebensalters (U3L), ein Angebot der Goethe-Universität Frankfurt/Main, das zu den größten in Deutschland zählt. Mehr als 100 Seiten umfasst das aktuelle U3L-Vorlesungsverzeichnis. Vor allem Veranstaltungen der Fächer Geschichte, Kunstgeschichte, Philosophie, Psychologie und Literaturwissenschaft sind gefragt. Das Durchschnittsalter liegt bei 70 Jahren, Frauen und Männer sind etwa in gleicher Anzahl vertreten, die Gebühr für das laufende Semester beträgt 150 Euro. Auch wenn kein Abitur nötig ist, hat das Seniorenstudium durch die große Anzahl der Akademiker ein elitäres Image. Um Ältere mit wenig Geld nicht auszuschließen, gibt es einen wesentlich günstigeren Sozialtarif. Abschlüsse kann man nicht erwerben - mit einer Ausnahme: Über fünf Semester läuft ein interdisziplinär angelegter Studiengang, der immer unter einem Oberthema steht, derzeit Mensch und Natur. Am Ende kann man eine wissenschaftliche Hausarbeit schreiben und erhält bei erfolgreichem Abschluss ein Zertifikat.

Seine Erfahrungen mit dem Online-Studium beschreibt Schadt so: "Wir sind manchmal 30 Personen gleichzeitig am Bildschirm. Zum Gelingen tragen eine gute Moderation und Disziplin bei, und die ist bei uns Älteren oft vorhanden. Man kann sich online mehr einbringen als bei Präsenzveranstaltungen." Eine Umfrage im vergangenen Sommersemester brachte zahlreiche weitere positive Kommentare zu den Online-Veranstaltungen wie "Sie sind eine Möglichkeit, in dieser sonst völlig kulturlosen Zeit etwas für Geist und Seele zu tun" oder "Sie sind eine Verbindung zu anderen Studierenden, und so lässt sich der Kontakt aufrechterhalten. Schöner wäre allerdings der direkte, persönliche Kontakt." Die meisten wünschen sich für die Zukunft eine Mischung aus Online-Angeboten und Präsenz-Seminaren.

Digitale Bildungsangebot für Senioren gab es bereits vor der Pandemie

Nach einem jahrelangen kontinuierlichen Anstieg der Anzahl der Senioren-Studierenden - fast 3900 im Jahr 2019 - haben sich nach dem Beginn der Pandemie in Frankfurt mehr als die Hälfte der älteren Semester verabschiedet. Der Name "Universität des 3. Lebensalters" ist bewusst gewählt - anders als in Münster und an anderen Hochschulen bleiben die Senioren in Frankfurt im Studium unter sich, ihre Einschreibung für die U3L berechtigt nicht zum Besuch von Veranstaltungen der Universität Frankfurt.

Online-Angebote für ältere Studierende hat es auch schon vor Corona gegeben. So organisiert das Zentrum für allgemeine wissenschaftliche Weiterbildung an der Uni Ulm seit Jahren eine bundesweite Ringvorlesung für Senioren mit anschließender Diskussion, in denen ein Schwerpunkt aus verschiedenen fachwissenschaftlichen Perspektiven unter die Lupe genommen wird. In diesem Jahr geht es um das Thema künstliche Intelligenz. Ebenfalls in Ulm wurde der Verein "Virtuelles und reales Lern- und Kompetenz-Netzwerk älterer Menschen" gegründet. Er ermutigt wissenschaftlich Interessierte, selbst aktiv zu werden, an Projekten wie "Frauengeschichte" oder "Jüdische Friedhöfe" mitzuarbeiten oder sich in einem digitalen Lerncafé auszutauschen.

Auf einen besonderen Aspekt des Studierens in höherem Alter weist Ines Himmelsbach in einem Podcast hin. Die Professorin für Soziale Gerontologie an der Katholischen Hochschule Freiburg hat unter ihren Studierenden zunehmend Menschen, die 40 Jahre und älter sind und einen regulären Studienabschluss im Bereich Soziale Arbeit anstreben, um neue berufliche Positionen übernehmen zu können. "Diese älteren Studierenden sind oft viel fokussierter und zielstrebiger und bereichern die Diskussionen durch ihre beruflichen Erfahrungen und kritischen Nachfragen", sagt Himmelsbach und fügt hinzu: "Altersgemischte Gruppen sind durch die unterschiedlichen Perspektiven sowohl für Jüngere als auch für Ältere gewinnbringend."

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