Selbständigkeit in Deutschland:Angst vor dem Scheitern

Junge Deutsche meiden den Schritt in die berufliche Selbständigkeit. Das liegt nicht an mangelnden Ideen, sondern an der Skepsis der Gesellschaft.

Petra Meyer

Die Angst geht um, wenn es ums Gründen geht. Seit Jahren schon liegt der Anteil der Selbständigen an den Erwerbstätigen in Deutschland zwischen zehn und elf Prozent. Früher, in den fünfziger Jahren, waren es mal stolze 30 Prozent, so das Institut für Mittelstandsforschung in Bonn. Doch das ist lange vorbei. Der Gründerschwung von einst ist verpufft und einer tief sitzenden Furcht vor dem Scheitern gewichen. So zumindest sieht es der Bund Deutscher Psychologen (BDP), der kürzlich eine Studie über erfolgreiches Unternehmertum aus psychologischer Sicht veröffentlicht hat.

Internetstores AG erhält Gründerpreis

Es gibt sie - doch es sind zu wenige: Firmengründer René Marius Köhler wurde gerade für seine Internetstores AG mit dem Deutschen Gründerpreis prämiert.

(Foto: dpa)

Woher rührt diese Angst? "Man kann hier nicht weich fallen", sagt die Hamburger Beraterin Marie-Dorothee Burandt, Mitautorin der BDP-Studie. "Wer in Deutschland als Selbständiger scheitert, steht nur schwer wieder auf. Das Bild, nichts zu taugen, es nicht geschafft zu haben, haftet an einem wie ein Makel." In den USA, dem Land der Pioniere, gehöre das Aufstehen zum Scheitern dazu. "Hinfallen ist da nicht schlimm, hier kommt es einer Katastrophe gleich."

Selbst verglichen mit Ländern wie der Schweiz, den Niederlanden oder Großbritannien werden in Deutschland viel weniger Unternehmen gegründet. Bei einem Ranking von 20 Ländern belegt Deutschland gerade mal Platz 15, wie der seit zehn Jahren erhobene Global Entrepreneurship-Monitor (GEM) zeigt. Eine besorgniserregende Entwicklung, denn die kleinen und mittleren Unternehmen sind die tragende Säule der deutschen Wirtschaft und der Motor für Beschäftigung.

Was aber macht diejenigen aus, die den Schritt trotzdem wagen und ihr eigenes Unternehmen gründen? Metastudien zeigen, dass Selbständige anders als Angestellte eine große Offenheit für Neues mitbringen, sich gern mit Menschen umgeben, gewissenhaft arbeiten und eher gelassen, selbstsicher und widerstandsfähig sind. Hinzu kommt: Sie sind nicht so "verträglich".

Was zunächst negativ klingt, entpuppt sich indes durchaus als Stärke. "Böse Zungen halten Menschen mit Unternehmergeist für Abzocker", sagt Elke Schröder, Entwicklungspsychologin an der Universität Jena. Doch das sei falsch. "Unternehmer müssen streitbar sein, sie dürfen es nicht allen recht machen wollen." Schließlich kämpfen sie dafür, ihr Produkt oder ihre Dienstleistung am Markt durchzusetzen.

Günter Müller von der Universität Koblenz-Landau, der seit Jahren zu diesem Thema forscht, spricht von "unternehmerischer Eignung". In der BDP-Studie benennt er mehrere Persönlichkeitsfaktoren, die Selbständige zum Erfolg führen: So bevorzugen sie Aufgaben, die eine Herausforderung für sie darstellen. Sie schreiben Erfolge ihren eigenen Fähigkeiten zu. Und sie lieben ihre Unabhängigkeit. Diese drei Faktoren unterscheiden Selbständige am stärksten von Angestellten und sind daher die "Kernmerkmale der unternehmerischen Persönlichkeit".

Doch damit nicht genug. Für Professor Müller hängt der Erfolg von Unternehmern auch von Fähigkeiten ab, die durch Bildung, Training oder Erfahrung erworben werden. Er zählt dazu Fach- und Sozialkompetenz, aber auch die Fähigkeit, sich selbst zu führen. Obwohl es zur Selbstführung erst wenige empirische Studien gibt, gilt sie unter Forschern als zentrale Kompetenz für erfolgreiches Unternehmertum. Denn wem es gelingt, sich positiv selbst zu beeinflussen, sich immer wieder zu motivieren, steigert die persönliche Effizienz und Zufriedenheit. Die gute Nachricht ist zudem: Selbstführung kann man lernen, sie ist einem nicht in die Wiege gelegt.

Furcht vor der Selbstüberforderung

Ganz anders ist das mit familiären Vorbildern. Bekanntlich schlagen Kinder aus Unternehmerhaushalten viel eher den Weg in die Selbständigkeit ein als solche von abhängig Beschäftigten. Da sich aber niemand die eigene Familie aussuchen kann, ergreifen Schulen und Universitäten seit einigen Jahren die Initiative, um unternehmerisches Denken und Handeln anzuregen und biographische Nachteile auszugleichen. Ob in Schülerfirmen, Projektwochen oder Trainings - junge Leute probieren aus, ob sie Lust auf eine selbständige Karriere verspüren.

Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelstages (DIHK), fordert mehr von diesen Projekten: "Wir brauchen in Schulen und Universitäten eine deutschlandweite Offensive für das Verständnis von Unternehmertum." Denn der aktuelle Gründerreport des DIHK zeigt, dass es vielen Gründern an Pioniergeist fehlt und ihre Geschäftskonzepte oft unausgereift und kaum innovativ sind. Das hängt dem Bericht zufolge auch damit zusammen, dass viele Gründer aus Angst vor Arbeitslosigkeit gründen und nicht, weil sie unternehmerische Impulse spüren.

"Erfahrungslernen in jungen Jahren wirkt sich sicherlich positiv aus", sagt Gundula Zierott von der Hamburger Lawaetz-Stiftung. Seit sieben Jahren berät sie Existenzgründer. Etwa 600 Kunden hat sie bislang auf ihrem Weg begleitet. Ihrer Erfahrung nach scheitern viele Selbständige, weil sie die Chancen und Risiken ihrer Idee falsch einschätzen. Vor allem diejenigen ohne Branchen- und Marktkenntnis endeten oft im Abseits und damit in der Insolvenz.

Aus dem Stegreif zählt sie mehrere Beispiele von Gründern auf, die auf Modewellen reiten: Wer heute ein Nagelstudio, einen Backshop oder einen Fitnessladen eröffnen will, muss ihr schon ein sehr gutes Konzept vorlegen. Denn der Markt ist vielerorts gesättigt. Unerlässlich für den unternehmerischen Erfolg ist Zierott zufolge zudem die gute Vernetzung zu potentiellen Kunden.

Neuere Studien zeigen übrigens, was junge Leute motiviert, den Schritt in die Selbständigkeit zu wagen. So fand die Universität Bayreuth heraus, dass in einem Land wie Deutschland, in dem das Gemeinwohl eine wichtige Rolle spielt, junge Leute "desto stärker zur Unternehmensgründung geneigt sind, je mehr sie nach Freiheit und Unabhängigkeit streben". Sie wollen sich also mit ihrer beruflichen Selbständigkeit von ihrem Umfeld abheben.

Wenn sie allerdings erleben, dass Freiheit und Unabhängigkeit keine gesellschaftlich geschätzten Werte sind, trauen sie sich selbst auch weniger zu, den eigenen Status zu verändern. Der Wunsch nach Statusveränderung verliert also nicht nur an motivierender Kraft, er "verschärft die Furcht vor Selbstüberforderung und schwächt den Gründerwillen", heißt es in der Studie. Wer das Gründerklima verbessern will, muss also auch am gesellschaftlichen Image der Selbständigkeit arbeiten.

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