Süddeutsche Zeitung

Selbständige Ingenieure:Auf eigene Faust

Genug vom Angestelltendasein: Immer mehr Ingenieure arbeiten freiberuflich. Sie ziehen die Abwechslung einem sicheren Job vor - doch ein Risiko für Tüftler bleibt.

Ralph Diermann

Wo ist eigentlich der James-Bond-Ausrüster Q geblieben? Der geniale Erfinder solch nützlicher Dinge wie des Unterwassermotorrads oder der Armbanduhr mit integrierter Kreissäge ist vor acht Jahren spurlos von der Leinwand verschwunden. Vielleicht hat er ja nach Stirb an einem anderen Tag sein Dasein als mutmaßlich schlechtbezahlter Beamter gegen eine freiberufliche Tätigkeit in der Industrie eingetauscht. Denn eines ist klar: Mit seinem Tüfteltalent und seiner Kreativität wäre er ein gefragter Mann in Unternehmen, und er könnte sich als Selbständiger seine Aufträge sicher nach Lust und Laune aussuchen.

Genauso wie Peter Gerster. Der Schweißfachingenieur aus dem schwäbischen Ehingen stand zwar noch nie in den Diensten Ihrer Majestät, war aber lange Jahre als Angestellter unter anderem bei Porsche und Liebherr beschäftigt. Heute arbeitet er freiberuflich für Schienenfahrzeug-Hersteller wie Siemens oder Bombardier, für Tunnel- und Brückenbauer oder auch mal für eine Spezialfirma, die Achterbahnen konstruiert.

Gerster wird immer dann gerufen, wenn Metallteile zu schweißen sind, die Sonderbelastungen standhalten müssen. So bei der Sanierung der 700 Meter langen Gschnitztalbrücke am Brennerpass. Gerster greift nicht selber zum Schweißgerät, sondern berät seine Auftraggeber, wie sie die Lebensdauer der Schweißnähte verlängern können. "Ich bin viel unterwegs, denn ich habe in ganz Europa einen Namen", sagt der Ingenieur.

Der 65-Jährige hat sich vor acht Jahren selbständig gemacht, allerdings nicht ganz freiwillig: "Mein letzter Arbeitgeber hatte finanzielle Probleme, sodass ich eigentlich gezwungen wurde, freiberuflich zu arbeiten", erinnert sich Gerster. "Heute denke ich, dass ich diesen Schritt schon viel früher hätte gehen sollen. Auch wenn selbständig sein heißt: Man arbeitet selbst und ständig."

Er schätzt zum einen die große Abwechslung, die der dauernde Wechsel seiner Projekte mit sich bringt. Zum anderen genießt er seine persönliche Freiheit, die er gewonnen hat: "Ich kann tagsüber einfach auch mal etwas mit meiner Frau unternehmen, dann hocke ich mich eben erst abends vor den Computer. Ich kann tun und lassen, was ich will."

Gerster liegt mit seiner Selbständigkeit im langfristigen Trend, denn die Zahl der freiberuflichen Ingenieure ist in den vergangenen Jahren stark gewachsen: Laut Statistischem Bundesamt arbeiteten 2008 insgesamt 161.000 Ingenieure auf eigene Rechnung, vor 15 Jahren waren es erst 117.000. Im vergangen Jahr sank die Zahl zwar wegen der Wirtschaftskrise auf 149.000, weil viele Ingenieure die Sicherheit einer Festanstellung vorzogen. Doch mit dem Anziehen der Konjunktur dürfte die Zahl der Freiberufler in diesem Jahr wieder steigen, denn die Industrie sucht zurzeit händeringend qualifizierte Ingenieure. Das sind beste Voraussetzungen für den Sprung in die Selbständigkeit.

In der Regel kommen die Ingenieure, die eigene Wege gehen, aus einer Festanstellung. "Die meisten haben viel Berufserfahrung und starten mit einer sehr konkreten Geschäftsidee", sagt Markus Finck, der beim Verein Deutscher Ingenieure VDI die Themen Selbständigkeit und Gründung betreut. "Sie kennen den Markt und haben eine klare Vorstellung ihrer Kunden."

Festanstellung? Zu unflexibel

Marco Strecker passt in dieses Profil: Der Projektingenieur war viele Jahre bei einem Konstruktionsdienstleister und Prototypenbauer beschäftigt, bevor er sich selbständig machte. "Mir war die Festanstellung oft zu unflexibel", begründet er seine Entscheidung. Seit fast drei Jahren arbeitet der 35-Jährige nun auf eigene Rechnung.

Strecker hat sich auf die Konstruktion, Entwicklung und Erprobung im Fahrzeugbau spezialisiert, seine Kunden sind Autobauer und -zulieferer. "Ich bin derzeit für ein Unternehmen tätig, das für Daimler Komplettsysteme wie etwa Stoßfänger, Instrumententafeln, Türverkleidungen oder Schiebedächer entwickelt und fertigt", erklärt Strecker. Mal ist der Ingenieur nur wochenweise für eine Firma im Einsatz, um dort Auftragsspitzen abzudecken, mal mehrere Monate für ein Projekt gebucht.

Bereut hat Strecker den Schritt in die Selbständigkeit nie, sagt er, auch weil die Auftragslage von Beginn an stimmte. Er profitiert bei der Akquise vor allem von den Kontakten, die er in der Branche aufgebaut hat. "Zudem gewinne ich Kunden über Internetportale. Hier tummeln sich viele Recruiting-Firmen und Dienstleister, die Experten benötigen oder an andere Unternehmen weitervermitteln", erklärt der Ingenieur.

Leben mit dem Risiko

Mit dem Risiko, womöglich mal ohne Projekt dazustehen, hat er zu leben gelernt: "Man sollte sich nicht zu viele Gedanken um den Kontostand machen und auch nicht auf zu großem Fuß leben. Wenn es anfangs gut läuft, darf man nicht leichtsinnig werden." Es sei natürlich ratsam, Rücklagen zu bilden, um davon in schlechteren Zeiten zehren zu können. Strecker hält sich an eine einfache Regel: "Man darf nicht mehr ausgeben, als man einnimmt!"

Doch nicht allen Ingenieuren gelingt der Wechsel in die Selbständigkeit so gut wie Peter Gerster und Marco Strecker. Experten, die nicht auf ein dicht geknüpftes Netzwerk zurückgreifen können, haben gerade zu Beginn oft Durststrecken zu überbrücken. Und längst nicht jeder ist zum Freiberufler geboren: "Das fachliche Know-how ist die Voraussetzung. Selbständige sind aber auch noch an anderen Fronten gefordert", sagt Markus Finck vom VDI. Er nennt neben der Akquise die Finanzierung als Beispiel: "Hier kommt es auf das richtige Auftreten gegenüber Banken oder Venture-Capital-Partnern an. Die Selbständigen müssen Menschen von ihrer Geschäftsidee überzeugen, die keinen ingenieurfachlichen Hintergrund haben", erklärt er. Ein anderer heikler Punkt ist die Wahl der Rechtsform. "Die Gefahr, in der Gründung etwas falsch zu machen, ist groß", sagt Finck. Deshalb unterstütze der Verband Ingenieure auf ihrem Weg in die Selbständigkeit unter anderem mit Rechtsanwälten, Business Angels und Steuerfachleuten.

Der VDI bietet einen Leitfaden zur Selbständigkeit unter www.vdi.de/gruendung.

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Quelle:
SZ vom 09.10.2010/holz
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