Süddeutsche Zeitung

Selbständig in Deutschland:Reich durch virtuelles Geld

Eine Idee, ein Konzept, ein eigenes Unternehmen: In Krisenzeiten machen sich mehr Menschen selbständig - die einen aus Not, die anderen aus Berufung.

Susanne Klaiber

Scrat, das verfressene Säbelzahneichhörnchen aus dem Film "Ice Age" lümmelt sich am Fenster. Es streckt seine lange Nase in den neuen Ein-RaumFirmensitz von Snipclip in Unterföhring bei München. Eine Freundin der drei Firmengründer fand, dass Scrat da gut hinpasse, weil das Logo des Unternehmens ein Eichhörnchen ist. Die Firma des 30 Jahre alten Bioinformatikers Martin Szugat und seiner Kollegen produziert für Unternehmen virtuelle Sammelalben mit Videoclips und Fotos von deren Produkten. Deswegen auch das Eichhörnchen-Logo. Weil Tiere sympathisch wirken und Eichhörnchen gerne sammeln.

Knauserige Banken

Szugat und die beiden anderen Snipclip-Gründer sind mit dem Start ihrer GmbH in eine Zeit geraten, in der es besonders schwer ist, eine Firma aufzubauen. "Die Finanzierung ist eines der wichtigsten Hemmnisse einer Gründung", sagt Rolf Sternberg, Professor für Wirtschaftsgeografie an der Universität Hannover und Mitautor des jährlichen Global Entrepreneurship Monitor (GEM) Deutschland. Nun sind deutsche Banken ohnehin als knauserig bekannt, wenn es um Kredite für Firmengründer geht. In der Krise, sagt Sternberg, würden die Banken noch zurückhaltender, ebenso wie Investoren.

Szugat finanziert seine Firma derzeit mit diversen Preisgeldern sowie Geld von Familie und Freunden. Noch wirft Snipclip nicht genug ab, bisher laufen nur eine Handvoll Testalben. Für ein Album bekommt die Firma etwa 5000 Euro. "Bis Mitte des Jahres steht die Finanzierung. Dann müssen Umsätze her." Und Geld von Investoren. Die Verhandlungen laufen, sagt Szugat.

Verheerende Rettungsaktion

Zu den finanziellen Problemen potentieller Firmengründer kommen nach Sternbergs Erfahrung in Krisen auch psychologische. Er geht davon aus, dass viele eine Gründung im vergangenen Jahr gar erst nicht versucht haben, weil sie die Erfolgschancen als zu gering einstuften. Außerdem habe der Staat nur große Unternehmen unterstützt und die kleinen nicht berücksichtigt, obwohl sie die Krise nicht verursacht hätten. "Der psychologische Effekt solcher Rettungsaktionen für potentielle oder tatsächliche Gründer ist verheerend", sagt er.

Wie sich die Krise genau auf die Gründungsaktivitäten in Deutschland ausgewirkt hat, kann man derzeit nur vermuten. Eine amtliche Statistik gibt es nicht, einen Überblick geben mehrere Forschungsinstitute, die aber mit unterschiedlichen Definitionen und Datenquellen arbeiten und ihre Auswertungen für das vergangene Jahr teilweise noch nicht beendet haben.

Gründungen aus Not

Verfügbar ist derzeit nur die Statistik des Instituts für Mittelstandsforschung (IFM) in Bonn, die keine Gründungen von Inhabern freier Berufe wie Architekten oder Ingenieure berücksichtigt. Laut IFM sind im Jahr 2009 etwa 410.000 neue Unternehmen entstanden. Das ist ein Anstieg um drei Prozent im Vergleich zu 2008, nach vier Jahren stark rückläufiger Gründungszahlen.

Das muss aber nicht unbedingt ein gutes Zeichen sein. In Krisenzeiten machen sich mehr Menschen selbständig, weil sie sonst arbeitslos wären - "Gründungen aus Not" heißen sie in den Statistiken. In Deutschland liegt ihr Anteil traditionell sehr hoch, laut GEM im Jahr 2008 bei 27 Prozent. Im Jahr 2009 soll er auf 30 Prozent oder mehr gestiegen sein.

Hinter den Gründungen aus Not stehen, im Gegensatz zu klassischen Ideen- motivierten Gründungen, seltener Innovationen, die bald Gewinne und neue Arbeitsplätze versprechen. Positive wirtschaftliche Effekte sieht Wirtschaftsgeograph Sternberg deshalb nur bei wachstumsstarken und wissensintensiven Start-ups, wie sie vor allem bei Hochqualifizierten zu finden seien.

Er wollte es so

Szugat fühlte sich nicht zur Selbständigkeit genötigt. Er wollte es einfach so, schon lange. "Als Schüler habe ich auf Baustellen gearbeitet und Fliesen rausgehauen - ziemlich blöde Jobs. Dann hab' ich gesehen, dass sich mit dem Computer auch Geld verdienen lässt." Und das am besten selbständig. "Wenn ich schon 16 Stunden arbeite, dann für mich."

Die Idee zu Snipclip stammt von einem Bekannten Szugats. Die Pläne dazu hat er noch an der Uni ausgearbeitet. "Eine Idee allein ist nichts wert. Es zählt das Konzept und vor allem die Umsetzung." Das sieht so aus: Die Sammelalben sind über Facebook zu finden, ein Online-Netzwerk. Die User können dort ganz einfach Kontakte zu anderen Sammlern oder potentiellen Sammlern in ihrem Freundeskreis knüpfen und doppelte Bilder tauschen. Ganz nebenbei übernehmen sie so die Werbung für die Alben und die für Unternehmen schwierige Suche nach der Zielgruppe.

Zahlen mit Muscheln

Gezahlt wird für die Bilder mit einer virtuellen Währung. Für das Album zum neuen Kinofilm "Unsere Ozeane" zum Beispiel in Muscheln. Wie man an das imaginäre Geld kommt, können sich die werbenden Firmenkunden aussuchen: Die User können es zum Beispiel in Online-Spielen oder über Gewinncodes sammeln, die sie auf Webseiten suchen müssen.

Ob in Zukunft mehr oder weniger Leute die Selbständigkeit wagen, hängt einerseits von der Finanzierung ab. Szugat wünscht sich mehr risikofreudige Business Angels - Menschen, die in junge Firmen investieren und ihnen mit Know-how helfen. Beim Softwarehersteller Microsoft, der Gründer wie Szugat unterstützt, plädiert man außerdem für öffentliche Kreditfinanzierung, Gründungsbürgschaften und mehr steuerliche Anreize und Förderprogramme. Wirtschaftsgeograph Sternberg dagegen hält zumindest die Menge der politischen Hilfen für ausreichend: "Es ist nicht mehr Quantität, sondern mehr Qualität, Kreativität und eine bessere Koordinierung zwischen den öffentlichen Programmen zur Gründungsförderung bei Bund, Ländern und Kommunen gefragt."

Pflicht der Schulen

Neben der Finanzierung spielen aber auch weiche Faktoren eine große Rolle im Gründungsgeschehen, wie Sternberg sagt. Ein Beispiel: Viele Deutsche glaubten, nicht über das Wissen für eine Gründung zu verfügen. "Wenn man in der Schule ein bisschen wirtschaftliches Denken vermitteln und Selbständigkeit als seriöse Alternative zur abhängigen Erwerbsarbeit darstellen würde, wäre schon viel gewonnen."

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SZ vom 06.03.2010/holz
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