Schwerbehinderte Arbeitslose:Abgehängt vom Jobboom

Die Arbeitslosigkeit unter Schwerbehinderten steigt - das deutsche Jobwunder hat ohne sie stattgefunden. Betroffen sind nicht nur körperlich Behinderte, sondern auch Menschen mit schweren psychischen Erkrankungen.

Marlene Weiss

Treffen kann es jeden. Querschnittslähmung, Multiple Sklerose, Nierenversagen, eine schwere Depression oder eine Netzhauterkrankung können aus einem gesunden Menschen einen Schwerbehinderten machen, der im Alltag auf Hilfe angewiesen und in seinem Beruf nicht wie früher einsetzbar ist.

Arbeitsamt Düsseldorf

Warten in der Arbeitsagentur: Bei schwerbehinderten Menschen steigt die Arbeitslosenquote an.

(Foto: dpa/dpaweb)

Trotz staatlicher Hilfen war die Arbeitslosigkeit unter Schwerbehinderten seit den 90er Jahren stets einige Prozentpunkte höher als die Arbeitslosenquote der Gesamtbevölkerung. Aber zumindest waren alle von Auf- und Abschwung ähnlich betroffen. Doch der jüngste Aufschwung scheint ohne die Schwerbehinderten stattgefunden zu haben.

Denn nach Jahren, in denen immer mehr Schwerbehinderte Arbeit hatten, steigt deren Arbeitslosenquote jetzt wieder leicht an. Noch 2005 lag die Quote unter Schwerbehinderten bei knapp 17 Prozent, 2009 waren es unter 15 Prozent - allerdings tauchen zwei Drittel der Schwerbehinderten im erwerbsfähigen Alter nicht in der Statistik auf, weil sie beispielsweise frühverrentet sind.

Aber während die Arbeitslosenzahl insgesamt dank der Konjunkturerholung seit November 2009 um 16 Prozent zurückging, hat die der Schwerbehinderten um fünf Prozent zugenommen. Knapp 173.000 Menschen mit einer Behinderung vom Grad 50 oder mehr, die zumindest zum Teil gerne arbeiten würden, sind zur Untätigkeit verdammt; etwa 60 Prozent von ihnen erhalten die Grundsicherung.

Aber woran liegt es, dass die Arbeitslosenzahlen der Schwerbehinderten wieder steigen? "Früher hat man sich intensiv bemüht, jetzt sind die Maßnahmen rückläufig", sagt die Linken-Abgeordnete Sabine Zimmermann, die vor einigen Wochen beim Bundesarbeitsministerium Arbeitsmarktzahlen für Schwerbehinderte schriftlich abgefragt hat. Außerdem stünden Menschen mit Behinderung in schwierigen Zeiten schlechter da, und durch die längeren Kündigungsfristen wirke sich die Krise verzögert aus.

Abgabe statt Mitarbeiter

Eigentlich sind Arbeitgeber mit mehr als 20 Mitarbeitern verpflichtet, eine Beschäftigungsquote für Schwerbehinderte zu erfüllen. Anfang 2001 wurde diese von sechs auf fünf Prozent gesenkt. Wer sich weigert, den bittet der Staat über die Ausgleichsabgabe zur Kasse. Je nachdem, wie weit der Arbeitgeber von der Fünf-Prozent-Hürde entfernt ist, muss er zwischen 105 und 260 Euro pro unbesetzte Pflichtstelle und Monat bezahlen.

Das Geld treiben die Integrationsämter ein, es fließt in Investitionen in behindertengerechte Arbeitsplätze, Lohnzuschüsse für Arbeitgeber und einen Ausgleichsfonds für bundesweite Förderprogramme. Damit lässt sich indes nur ein Bruchteil dieser Ausgaben decken.

Wilhelm Adamy vom Deutschen Gewerkschaftsbund hat kürzlich eine Studie zur Schwerbehinderten-Arbeitslosigkeit erstellt. Er macht mehrere Gründe für den Anstieg aus. "Ein Problem sind sicher die verschiedenen Rechtssysteme", sagt er - also dass ein Teil der schwerbehinderten Arbeitslosen in der Arbeitslosenversicherung und ein anderer Teil im Hartz-IV-System betreut wird.

Besonders bei den Optionskommunen, die sich selbst um ihre Langzeitarbeitslosen kümmern, lasse die Betreuung zu wünschen übrig. Außerdem ärgert ihn, dass in den vergangenen Jahren besonders Beschäftigungszuschüsse und Weiterbildungsmaßnahmen zurückgingen: "Es wird zu stark auf Ein-Euro-Jobs gesetzt", sagt Adamy.

Momentan liegt der Schwerbehindertenanteil in den verpflichteten Betrieben bei 4,5 Prozent, also nur knapp unter der Fünf-Prozent-Zielmarke und deutlich höher als noch 2001, als es nur 3,8 Prozent waren. Allerdings täuschen die Zahlen etwas, weil viele Personen wegen der Schwere ihrer Beeinträchtigungen mehrfach gezählt werden dürfen.

Auch kommen private Arbeitgeber im Mittel nur auf 3,9 Prozent, die öffentlichen Arbeitgeber ziehen die Quote nach oben. So kommt weiter auf drei besetzte Schwerbehinderten-Arbeitsplätze in Betrieben mit Beschäftigungspflicht ein unbesetzter: Für etwa 250.000 Stellen wird Ausgleichsabgabe gezahlt.

40 Prozent der deutschen Arbeitgeber mit Pflichtstellen hätten nicht einmal auf jeder hundertsten Stelle einen schwerbehinderten Mitarbeiter, bemängelt der Deutsche Gewerkschaftsbund und fordert, die Ausgleichsabgabe zu erhöhen. Auch bei den Dax-Konzernen gibt es nur wenige Ausnahmen: Die Deutsche Post beschäftigt acht Prozent Schwerbehinderte, Daimler, BMW und VW liegen deutlich über fünf Prozent, aber viele andere Großunternehmen - darunter Siemens - verfehlen die Quote.

Grund dafür ist neben dem besonderen Kündigungsschutz auch das Flexibilitätsproblem: Eine Aufgabe muss zu den besonderen Fähigkeiten eines Schwerbehinderten passen; fällt sie weg, kann man ihn nicht einfach auf einer beliebigen anderen Stelle einsetzen. Und so entscheiden sich viele Arbeitgeber eben weiter für die Abgabe. Oder gegen einen behinderten Kollegen in ihrem Betrieb.

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