Elin Persson ist müde. "Ich stehe in der Woche jeden Morgen um fünf Uhr auf und arbeite anderthalb Stunden bevor die Kinder aufwachen." Es ist Freitagnachmittag, kurz nach 16 Uhr. Persson ist auf dem Heimweg. Am Abend, wenn die Kinder im Bett sind, legt sie oft noch eine Schicht ein. Ihre Kollegen, fast alles Männer, erledigen ihre Arbeit im Büro, wo sie jeder sieht. "Die Leute, mit denen ich in direkter Konkurrenz stehe, sind Männer. In der Schweiz bedeutet das: Sie führen ein völlig anderes Leben als ich. Auch wenn sie Kinder haben."
Elin Persson ist Mitte 30, seit sieben Jahren lebt sie in der Schweiz. In ihrem Heimatland Schweden ist die Gesellschaft auf arbeitende Mütter eingestellt. "Der Arbeitsmarkt ist flexibler. Es ist klar, dass sowohl Mütter als auch Väter in ihre Karrieren und ihre Familien investieren", sagt Persson. In der Schweiz erlebt sie das anders. Mutterschaft und Karriere seien Gegensätze.
Persson nimmt einen Schluck grünen Tee, sie ist wütend. "Ich habe zwei Söhne, zwei und vier Jahre alt, sie gehen in eine Krippe, das kostet etwa 2000 Euro pro Monat und Kind." Die Betreuung dort sei sehr gut. Dennoch ist sie nicht ganz zufrieden: In der Krippe werde den Kindern vermittelt, Jungs und Mädchen seien völlig unterschiedlich. "Mein ältester Sohn sagt Dinge wie: Mädchen sind dumm, Mädchen können nicht schnell rennen." Persson, die eigentlich anders heißt, aber Nachteile befürchtet, wenn sie mit ihrem richtigen Namen genannt wird, glaubt: Wenn ihre Kinder Mädchen wären, würde sie vielleicht nicht mehr in der Schweiz leben.
Nur ein freier Tag für junge Väter in der Schweiz
Tatsächlich ist die Schweiz im Vergleich zu den Nachbarländern in den vergangenen Jahren in eine Schieflage geraten, was familienfreundliche Arbeitszeitmodelle betrifft. Während sich in Deutschland immer mehr Mütter und Väter 14 Monate Elternzeit untereinander aufteilen - und die Männer in einigen Branchen sogar kritisiert werden, wenn sie nur zwei Monate freinehmen, hat ein junger Vater in der Schweiz Anrecht auf nur einen freien Tag. Einige Arbeitgeber gewähren mehr freie Tage, doch das ist freiwillig.
Eine Studie der Gewerkschaft Travail Suisse zeigt: Väter, die nach der Geburt fünf Tage freinehmen dürfen, sind bereits privilegiert. Der Verband kämpft dafür, landesweit einen verbindlichen Vaterschaftsurlaub von 20 Arbeitstagen einzuführen, im Moment bereiten die Gewerkschafter eine entsprechende Volksinitiative vor. Doch bis diese zur Abstimmung kommt, vergehen Jahre. Dabei hat die Studie ergeben, dass sich der Verband damit längst im Mainstream bewegt: 80 Prozent der befragten Schweizer sind für einen Vaterschaftsurlaub.