Als Elizabeth Dean vier Jahre alt war, nahm ihre Mutter sie aus dem Kindergarten. Das Mädchen aus Columbia im US-Bundesstaat Maryland konnte bereits lesen, es war den Gleichaltrigen um Jahre voraus. Seitdem werden Elizabeth und ihr drei Jahre jüngerer Bruder Teddy daheim unterrichtet - von ihrer Mutter Lisa.
Immer mehr Eltern in den USA entscheiden sich zum Homeschooling, das heißt, sie unterrichten ihre Kinder in Eigenregie daheim. Denn anders als etwa in Deutschland ist der Besuch einer Schule in den USA nicht verpflichtend. Kritiker warnen, dass der Trend eine Generation von Egoisten ohne soziale Kompetenz heranwachsen lässt.
Domäne fundamentalistischer Christen
Lisa Dean ist überzeugt, im besten Interesse ihrer Kinder gehandelt zu haben. "Man liest all diese Sachen darüber, was in den Schulen los ist: sexuelle Aktivitäten, Drogen, Schikane, Gewalt", sagt sie. "Ich glaube nicht, dass Kinder diese Erfahrung machen müssen."
Im Jahr 1998 gab es in den USA laut dem Nationalen Zentrum für Bildungsstatistik (NCES) 850.000 Kinder, die zu Hause von den Eltern unterrichtet wurden. 2003 waren es bereits 1,1 Millionen, also 29 Prozent mehr - Tendenz stark steigend.
Seine Wurzeln hat das Homeschooling in der Pionierzeit, als es noch nicht überall Schulen gab. Traditionell ist Homeschooling in den USA eine Domäne fundamentalistischer Christen oder politisch extremer Verschwörungstheoretiker - Menschen also, die ihre Kinder vor dem Einfluss eines als verdorben betrachteten Staates schützen wollen.
Maßgeschneiderte Ausbildung
Inzwischen hat sich das geändert, das Phänomen erreicht die Mitte der Gesellschaft. Lisa Dean etwa bezeichnet sich als nicht religiös, sie will einfach nur eine maßgeschneiderte Ausbildung für ihre Kinder. Die inzwischen 14-jährige Elizabeth etwa lernt bereits Trigonometrie, zwei Jahre früher als Schüler an öffentlichen Schulen.
Auch Tamara Bergen ist von den Vorteilen überzeugt, sie hat ihre beiden Töchter 15 Jahre lang zu Hause unterrichtet. "Man kann den Unterricht orientieren am Niveau des Kindes, seinen Fähigkeiten, seinem Tempo, seinen Interessen und seinen Begabungen", sagt Bergen. Wie die meisten Homeschooler richtet sie sich nach staatlichen Lehrplänen, die sie aber flexibel gestaltet. Ihr ist darüber hinaus noch wichtig, ihre christlichen Wertvorstellungen in den Unterricht mit einfließen zu lassen.
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Viel Zeit für Freunde
In einer NCES-Umfrage gaben 30 Prozent der lehrenden Eltern an, sich aus religiösen oder anderen Wertegründen fürs Homeschooling entschieden zu haben. Weitere 30 Prozent sagten, Sorgen wegen Drogen, Sicherheit und Gruppendruck hätten den Ausschlag gegeben. 17 Prozent gaben an, sie seien mit dem Lehrplan in traditionellen Schulen nicht einverstanden.
Lisa Dean berichtet, mit ihrer Entscheidung damals zunächst auf Ablehnung gestoßen zu sein. Die Leute hätten ihr gesagt: "Deine Kinder werden zu Freaks, sie werden nie lernen, sich zu benehmen." Dean gibt zu: "Das Erlernen sozialer Fähigkeiten ist ein großes Problem beim Homeschooling." Das Problem versucht sie zu lösen, indem sie ihren Kindern viel Zeit für Treffen mit Freunden lässt.
"Die Kinder haben viel Umgang", sagt sie, während ihr Sohn Teddy gerade in einer Unterrichtspause mit zwei Freunden durch das heimische Klassenzimmer im Erdgeschoss tollt.