Süddeutsche Zeitung

Schulreformen in Deutschland:Jeder will es besser machen

Buntes Bildungs-Potpourri: Immer mehr Länder wollen die Hauptschule abschaffen - doch der Bildungs-Föderalismus produziert weiterhin unterschiedlichste Schulsysteme.

Tanjev Schultz

Über die richtige Schulstruktur wird in Deutschland seit Jahren gestritten, die aktuellen Reformen in Berlin, Hamburg und im Saarland wirken da wie ein kleines bildungspolitisches Wunder. Die drei Länder haben die gleiche Richtung eingeschlagen, obwohl sie unterschiedlich regiert werden und dabei das gesamte Parteienspektrum abdecken, von Rot-Rot (Berlin) und Schwarz-Grün (Hamburg) bis zur Jamaika-Koalition (Saarland): Die Grundschule soll länger als vier Jahre dauern, in der Sekundarstufe soll es nur noch zwei Schularten geben - ein Zwei-Säulen-Modell mit Gymnasien und einer weiteren Schulart, an der alle Abschlüsse möglich sind, auch das Abitur. Das traditionelle dreigliedrige Schulsystem ist perdu. Haupt- und Realschulen gibt es nicht mehr.

Berlins Bildungssenator Jürgen Zöllner (SPD) sieht den Umbau als "Schritt der Integration", als Schritt zu mehr Gerechtigkeit. Der Schulerfolg dürfe nicht von der sozialen Herkunft abhängen. Seinen Kritikern aus der Union empfiehlt Zöllner, sich Hamburgs Ersten Bürgermeister Ole von Beust (CDU) als Vorbild zu nehmen. Ole von Beust hat die Dreiteilung in Gymnasien, Haupt- und Realschulen in der SZ als "Ausdruck veralteten, ständischen Denkens" kritisiert.

Immer mehr Bundesländer setzen auf das Zwei-Säulen-Modell, das zuerst in Ostdeutschland entstanden ist. Es kommt also Bewegung in die einst so starren Fronten des deutschen Schulkampfs. Eigenständige Hauptschulen wird es bald nur noch in fünf westdeutschen Flächenländern geben, und auch dort bröckelt die Basis. In Nordrhein-Westfalen wechseln immer weniger Kinder an eine Hauptschule, in diesem Jahr betrug der Rückgang sieben Prozent. An einzelnen Standorten gibt es deshalb sogenannte Verbundschulen, bei denen Haupt- und Realschulen zusammenarbeiten und gemeinsam geleitet werden.

Mit Umbenennung aus der Krise

Im Süden und Südwesten sollen Umbenennungen helfen, die Krise der Hauptschule zu beenden: Bayern will sie zur "Mittelschule" ausbauen, mit berufsorientierten Zweigen, die auch einen mittleren Abschluss ermöglichen. Baden-Württemberg versucht Ähnliches unter dem Titel "Werkrealschule". Bayerns Kultusminister Ludwig Spaenle (CSU) stemmt sich allerdings vehement gegen ein integratives Modell und eine Fusion der Haupt- und Realschulen: "Dasselbe für alle ist Pädagogik von gestern", sagt er und schwört dem "differenzierten Schulsystem" Treue.

Differenzierung nach Leistung gibt es freilich auch in den Ländern, die keine Hauptschulen haben. In Berlin gibt es ein gymnasiales Probejahr; wer den Anforderungen nicht gewachsen ist, muss auf die Sekundarschule wechseln (wobei die Schüler auch dort noch das Abitur schaffen können). In etwa der Hälfte der Bundesländer dürfen Schüler nur auf ein Gymnasium gehen, wenn sie gute Noten aus der Grundschule mitbringen und von den Lehrern für den gymnasialen Bildungsweg empfohlen werden (oder eine Aufnahmeprüfung bestehen).

Empfehlungen der Lehrer

In Hamburg, wo bisher die Eltern das letzte Wort hatten, soll es künftig ebenfalls verbindliche Übertrittsempfehlungen der Lehrer geben. Das verärgert jedoch viele Eltern, weshalb der Senat die neue Regelung zurücknehmen könnte, um den Gegnern der schwarz-grünen Schulreformen entgegenzukommen.

Die Kritiker der Reformen in Hamburg stört vor allem die Verlängerung der Grundschulzeit von vier auf sechs Jahre. In den meisten europäischen Ländern sind sechs oder mehr Jahre gemeinsamen Unterrichts üblich; in Deutschland dauert die Grundschule fast überall nur vier Jahre, außer in Berlin und Brandenburg (sechs Jahre). Im Saarland könnten es nach dem Willen der Jamaika-Koalition demnächst fünf Jahre werden.

Eine Schule, unterschiedliche Namen

Trotz des bundesweiten Trends zum Zwei-Säulen-Modell bleiben die Unterschiede im deutschen Bildungsföderalismus groß. Das zeigt sich schon in den vielen unterschiedlichen Namen für die zweite Schulart neben dem Gymnasium: In Hamburg heißt sie Stadtteilschule, in Berlin Sekundarschule, in Rheinland-Pfalz Realschule plus, in Thüringen Regelschule, in Sachsen Mittelschule. Da könne man nur erschöpft ausrufen: "Es lebe der Föderalismus!", sagt der Erziehungswissenschaftler Klaus Klemm lakonisch.

Hinter den unterschiedlichen Namen würden sich auch verschiedene "Differenzierungsprinzipien" verbergen. So unterteilen sächsische Mittelschulen die Jugendlichen nach der sechsten Klasse in einen Haupt- und einen Realschulzweig, die Sekundarschulen in Berlin sollen dagegen darauf verzichten und nur unterschiedlich anspruchsvolle Kurse oder Lerngruppen bilden.

In allen Ländern bleibt es aber beim gestuften System von Abschlüssen - auch wenn der Hauptschulabschluss nun vielerorts "Berufsbildungsreife" heißt.

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Quelle:
SZ vom 19.01.2010/holz
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