Schule:Wenn der Inspektor in den Unterricht platzt

Überraschungs-Besuche, Akten-Kontrolle und anonyme Umfragen - wie die Länder per Schul-Tüv die Bildung verbessern wollen.

Tanjev Schultz

Im Raum E E05 der Fridtjof-Nansen-Schule liegt an diesem nieseligen Novembertag alles auf dem Tisch. Das pädagogische Konzept, die Prüfungsergebnisse, Anmeldezahlen, eine Befragung von Schülern, Eltern und Lehrern: Schulleiter Jochen Arlt hat alle wichtigen Daten der Flensburger Gesamtschule zusammengestellt. "Bedient euch", sagt er gelassen, obwohl man sich leicht vorstellen kann, dass andere Rektoren in dieser Situation eher nervös oder grimmig wären.

Schüler, dpa

Bildungsinspektion: Prüfer beurteilen die Qualität einer Schule.

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Zwei Tage lang werden drei Inspektoren durch die Schule schwirren, in den Akten lesen und nach Belieben den Unterricht anschauen. Der Besuch ist angekündigt, doch wo und wann die Inspektoren in einem Klassenzimmer auftauchen, weiß vorher niemand.

Es bleibt bei Ermahnungen

Dieser Schul-Tüv heißt in Schleswig-Holstein offiziell "Evaluation im Team" (Evit); wie so viele Schulreformen ist er nach dem Entsetzen über schlechte Pisa-Ergebnisse eingeführt worden. Schleswig-Holstein war damit Vorreiter, mittlerweile gibt es in den meisten anderen Bundesländern ebenfalls einen Schul-Tüv. In anderen Staaten, beispielsweise in den Niederlanden, sind Inspektionen schon seit langem üblich. Dort müssen schlecht bewertete Schulen sogar befürchten, geschlossen zu werden. In Deutschland bleibt es bei Ermahnungen und "Zielvereinbarungen".

Am nächsten Dienstag werden die Kultusminister eine neue Pisa-Studie zu den Kenntnissen der Schüler in den Bundesländern vorstellen; auch an Jochen Arlts Schule hatten die Pisa-Prüfer einige zufällig ausgewählte Jugendliche getestet. Bei früheren Studien schnitten sie recht gut ab. Dabei handelte es sich aber nur um eine Momentaufnahme, denn die Pisa-Studien sind nicht so konzipiert, dass man mit ihnen die Qualität einer bestimmten Schule bewerten könnte. Das sollen nun die Inspektoren erledigen.

Zufriedene Inspektoren

In Flensburg treten auf: eine Schulaufsichtsbeamtin aus dem Ministerium, die man sich als eine resolute Dame vorstellen muss, die sich gewiss nicht alles bieten lässt; eine Gymnasiallehrerin, die als Beraterin für Schulentwicklung arbeitet, und der Leiter einer Gesamtschule in Pinneberg, den sich die Flensburger als "kritischen Freund" aussuchen durften.

Die drei erkunden also den Unterricht. Lenkt ausschließlich der Lehrer das Geschehen, oder lässt er die Schüler selbständig arbeiten? Gibt es Aufgaben, die die individuellen Stärken und Schwächen der Kinder berücksichtigen? In Flensburg wirken die Inspektoren oft zufrieden; die Schule legt großen Wert auf Projektunterricht und auf eigenständige Recherchen der Schüler.

Auf der nächsten Seite: Wie die Beamtin der Schulaufsicht urteilt.

Wenn der Inspektor in den Unterricht platzt

Aus Fehlern lernen

Das geht schon in der fünften Klasse im Naturkunde-Unterricht los. Dort begrüßt eine gutgelaunte Referendarin die Schüler ("Moin, Moin!"), um sie bereits nach wenigen Minuten in Partnerarbeit üben zu lassen. Die Kinder hatten in ihren Heften Dossiers über Tiere, die in Teichen leben, angelegt. Nun sollen sie lernen, ein "Gutachtergespräch" zu führen. Der jeweilige Experte für ein Tier zeigt seinem Mitschüler - dem Gutachter - seine Präsentation und erbittet konstruktive Kritik.

Wie das geht, hat die Referendarin zuvor mit der Klasse besprochen. Und so sagen sich nun Jon und Michel gegenseitig, dass ihre Arbeiten über den Teichmolch und die Wasserwanzen schon ganz gut sind. Aber vielleicht könnte man noch einen kurzen Steckbrief einfügen? Und vielleicht ließe sich diese eine Seite noch etwas mit Farben verschönern? Die Referendarin sagt, es sei nicht schlimm, wenn man Verbesserungsvorschläge bekomme: "Wir wollen ja aus unseren Fehlern lernen." Es klingt wie ein Kommentar zum Schul-Tüv.

Klassischer Frontalunterricht

Bei der ersten Inspektion vor vier Jahren hatten die Prüfer der Flensburger Schule ein gutes Zeugnis ausgestellt, aber auch ein paar Dinge bemängelt: Die Organisation der Ganztagsangebote sei nicht schlüssig, und in den höheren Klassen habe man den Eindruck gewonnen, es werde wieder stärker auf klassischen Frontalunterricht gesetzt.

Mit solcher Kritik weiß der Schulleiter offenbar umzugehen. Das liegt zunächst einmal daran, dass Jochen Arlt zu der Sorte von Menschen gehört, die es fertig bringen, in einem gefühlten Abstand von einer Minute eine Frotzelei loszulassen und anschließend so zu kichern, dass sich kaum einer dieser Fröhlichkeit entziehen kann. Das Kollegium bescheinigt ihm in der anonymen Schul-Tüv-Umfrage sehr gute Arbeit. Während die Inspektoren im Haus sind, kümmert sich Arlt noch um tausend andere Dinge: Ein Kollege ist ins Krankenhaus eingeliefert worden - der Schulleiter bittet einen Lehrer, den Kranken zu besuchen. An den Altbauten löst sich die Außenmauer - das Hochbauamt muss informiert werden. Eine Lehrerin klagt über ein zu kaltes Büro; Schulleiter Arlt sagt lachend: "Das würde ich mal dem Schulleiter sagen. . ."

Standards für eine gute Schule

Es gibt aber noch einen anderen Grund, weshalb Arlt und seine Kollegen so gelassen auf die Inspektion reagieren können. Ihre Schule gehört dem Schulverbund "Blick über den Zaun" an. In ihm sind bundesweit mehr als 60 Schulen organisiert, die gemeinsam Standards für eine gute Schule entwickeln. Die Lehrer besuchen sich gegenseitig, um etwas voneinander zu lernen.

Als die Beamtin von der Schulaufsicht in den Religionsunterricht einer zehnten Klasse platzt, diskutieren die Schüler gerade über Selbst- und Fremdwahrnehmung. Das Gespräch läuft von alleine, die Lehrerin greift gar nicht ein. "Ist die eigene Meinung über sich selbst die richtige oder die der anderen?" So sind die Fragen, die hier gestellt werden.

Später auf dem Flur nickt die Beamtin der Schulaufsicht anerkennend vor sich hin. Hier gebe es keine Scheu, sich anderen zu stellen. Es sieht aber auch nicht so aus, als müsse man sich an der Fridtjof-Nansen-Schule vor dem das Urteil der anderen fürchten.

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