Schule: Neue Pisa-Studie:Pisa? Wir habe andere Probleme

2009 haben Schüler an einem Gymnasium in Wolfenbüttel am Pisa-Test teilgenommen. Die Ergebnisse kommen nächste Woche - doch die Schüler haben mit ganz anderen Problemen zu kämpfen.

Tanjev Schultz

Wenn man bedenkt, wie wichtig die Deutschen die Pisa-Studien nehmen, ist es kaum übertrieben zu sagen, dass die Hoffnungen des Landes auf jungen Menschen wie Nina Blasius ruhen. Die 17-Jährige wirkt dafür ziemlich entspannt. Sie hört aufmerksam zu, wie ihre Mitschüler am Wolfenbütteler "Gymnasium im Schloss" über ein Ibsen-Drama diskutieren. Nina Blasius sagt, sie lese gern, vor allem Fantasy-Romane. Wahrscheinlich kann man froh sein, dass sie mit dabei war im Frühjahr 2009, als weltweit Hunderttausende Schüler für Pisa getestet wurden. Sie habe versucht, ihr Bestes zu geben, beteuert sie. Es klingt beinahe entschuldigend.

Pisa-Studie

Die Ergebnisse der neuesten Pisa-Studie stehen kurz vor der Veröffentlichung.

(Foto: dpa)

Nina Blasius und ihre Mitschüler hatten den Test fast vergessen, damals waren sie ja erst 15 und noch halbe Kinder. Kommende Woche erscheinen endlich die Ergebnisse, und die Politiker rätseln schon eifrig, wie Deutschland diesmal abgeschnitten haben mag. War es denn schwer? Die Gymnasiastin lächelt verlegen: "Eigentlich nicht. Es war sehr viel zu lesen." Dunkel erinnern sich die Schüler an Texte über Nashörner und über Medikamente, zu denen dann Fragen gestellt wurden. In den Naturwissenschaften gab es eine Aufgabe zur Radioaktivität - wie passend für Wolfenbüttel, in dessen Nähe das Atomlager Asse liegt.

Berühmt ist die kleine Stadt freilich für ihr klassisches Bildungsgut, für Leibniz und Lessing und die prächtige HerzogAugustBibliothek. Und für das Schloss, in dem nicht nur ein Museum untergebracht ist, sondern eben auch das Gymnasium, eine normale staatliche Schule. Die Schüler laufen hier über Parkett, es gibt Stuckdecken, Arkaden und alte Holztüren. Und in der Adventszeit stellt sich eine Schüler-Bläsergruppe vor ein Erkerfenster und bespielt den Hof mit Weihnachtsliedern: "Lasst uns froh und munter sein."

Die 226 deutschen Schulen, die an Pisa teilgenommen haben, wurden zufällig ausgewählt, und weil der Zufall manchmal barmherzig ist, rutschten auch intakte Schulen in kleinstädtischem Milieu wie dieses Schloss-Gymnasium in die Stichprobe. Aber langsam. Die Lehrer haben beinahe Angst, man könnte die Probleme, unter denen sie auch hier leiden, übersehen. Sie zeigen auf die hässlichen Container hinter dem Schloss, in denen einige Klassen untergebracht sind, bis ein neuer Anbau kommt. Sie erzählen von verhaltensauffälligen Schülern, die es längst in jeder Schule gibt. Die Lehrer fühlen sich mit vielen Sorgen alleingelassen. Sozialarbeiter? Fehlanzeige. Die Stunden für den Beratungslehrer? Zusammengestrichen. Ein Schulpsychologe? Irgendwo im fernen Salzgitter, zuständig für Dutzende Schulen.

Die Direktorin Ulrike Schade sitzt in einem gemütlichen Büro mit Holzpfeilern. Über Pisa sagt sie nur: "Da ist bei uns Gelassenheit eingekehrt." Mehr Ruhe, mehr Gelassenheit würde sie sich auch sonst wünschen. Der Aktionismus der Politiker ärgert viele hier. Man hat die Zeit bis zum Abitur verkürzt (G8), zentrale Prüfungen eingeführt, die Oberstufe reformiert, neue Lehrpläne erlassen, sie wieder umgeworfen - es ist vieles zusammengekommen in den vergangenen Jahren. Einige Lehrer sagen, ihr pädagogischer Freiraum sei dabei immer weiter geschrumpft, andere finden es ganz gut, dass die Abschlüsse vergleichbarer geworden sind.

"Das ist doch nicht gesund"

Nicht selten kommen Schüler zu Lehrern und suchen Hilfe, weil sie sich angespannt und überfordert fühlen. Viele wissen nicht, was sie später beruflich machen sollen, einige haben Angst, beim Abitur zu versagen. Ulrike Schade verlangt Leistung, aber die Direktorin sieht auch, dass manche unter zu großem Druck stehen. "Das ist doch nicht gesund", seufzt sie, und ein bisschen hört man dahinter auch die Anstrengung, die es für sie selbst und für ihre Kollegen bedeutet, jeden Tag den Unterricht zu meistern und nebenher noch ein reiches Schulleben zu organisieren, mit Wettbewerben, Ausflügen und Aufführungen.

Zumindest die Hetze des 45-Minuten-Takts haben sie hier abgeschafft. Es gibt nur Doppelstunden, das schafft ein bisschen Luft, zum Beispiel, um in Chemie in Ruhe experimentieren zu können. Eine neunte Klasse mit lauter Schülern im Pisa-Testalter untersucht gerade, ob Salze aus Ionen bestehen. Frauke Müller, ihre Lehrerin, ist jung, aber didaktisch sehr versiert. Die Jugendlichen sollen möglichst viel selbst herausfinden. Und so sicher, wie sie mit Krokodilklemmen und Filterpapier hantieren, wird schnell klar, dass das Experimentieren für sie nicht etwa nur eine willkommene Verschnaufpause ist. Frauke Müller achtet darauf, dass die Schüler präzise formulieren. Als ein Junge zwischen Atomen und Ionen unterscheidet, lächelt sie: "Das lässt mein Herz höherschlagen."

Fragt man die junge Lehrerin nach Pisa, sagt sie knapp wie die Schüler: "Ich gebe mein Bestes."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: