Schule:Nachhilfe hat Hochkonjunktur

Mehr als ein Viertel der Schüler in Bayern nimmt zusätzlichen Unterricht. Die Qualität der Nachhilfe-Institute ist jedoch oft schlecht.

Von Peter Lindner

Augsburg - Wer mit Pythagoras auf Kriegsfuß steht, bleibt irgendwann auf der Strecke. Zumindest in Mathe. Anna hat das längst begriffen. Die Realschülerin stellt sich in wenigen Monaten den Abschlussprüfungen. Ihr Ziel formuliert sie noch vorsichtig: "Zuerst einmal will ich es einfach nur schaffen." Deshalb hat sich die 16-Jährige - nicht nur in Mathe - Sondertraining verordnet: In Augsburg, beim Nachhilfeinstitut Schülerhilfe, schiebt sie zweimal pro Woche Zusatzschichten - und liegt damit voll im Trend: Gerade im zweiten Schul-Halbjahr, wenn der Kampf um den Abschluss, Übertritt oder die Versetzung in die heiße Phase tritt, hat Nachhilfe Hochkonjunktur. Doch nicht nur für die Schüler, sondern auch für private Institute scheint sich das außerschulische Feilen an der Fehlerquote auszuzahlen: Die Branche floriert.

Bis zu 30 Euro pro Stunde

Laut einer Untersuchung des Münchner Instituts für Jugendforschung (IJF) nimmt mehr als ein Viertel der Schüler in Deutschland Zusatz-Unterricht. In Mathematik ist mit 57 Prozent die Nachfrage am größten; es folgen Englisch und Deutsch. Zwischen 20 und 30 Euro sind für eine Einzel-Nachhilfestunde zu berappen. Nach Angaben des Instituts der deutschen Wirtschaft in Köln lassen sich Eltern diese Form der Förderung mehr als eine Milliarde Euro pro Jahr kosten.

Meist geben Lehrer oder Studenten Nachhilfe, der Marktanteil privater Schulen liegt bei rund 22 Prozent. "Nachhilfeinstitute schießen wie Pilze aus dem Boden", beobachtet auch Ludwig Haag, Professor für Schulpädagogik an der Universität Bayreuth. Allein die deutschen Branchenführer Schülerhilfe und Studienkreis, die 2003 Umsätze in Höhe von 60 beziehungsweise 80 Millionen Euro verbuchten, verfügen in Bayern über jeweils rund 100 Niederlassungen. Schätzungen zufolge konkurrieren auf dem deutschen Bildungsmarkt sogar mehr als 3000 Anbieter - mit unterschiedlichen Qualitätsstandards.

"Etwa zwei Drittel aller Nachhilfeinstitute arbeiten mit unzulänglichen oder sogar unseriösen Mitteln", behauptet Werner Kinzinger vom Verbraucherschutzverein ABI. Ein neues, an strenge Kriterien gebundenes RAL-Gütezeichen soll deshalb für Transparenz sorgen. Überwacht wird die Zertifizierung vom Deutschen Institut für Gütesicherung und Kennzeichnung RAL, das unter anderem auch den "Blauen Engel" vergibt. Im Januar dieses Jahres wurden die ersten Schulen ausgezeichnet - ein in Bayern angesiedeltes Institut war nicht dabei. Ob sich das Gütesiegel jedoch auf dem Markt durchsetzt, dürfte wesentlich davon abhängen, wie viele Schulen sich um eine Zertifizierung bewerben.

Die Eltern machen Druck

Haag führt die ungebrochen hohe Nachhilfequote unter anderem auf den Ehrgeiz der Eltern zurück: "Rund 50 Prozent wollen, dass ihr Kind Abitur macht." Für die schleichende Privatisierung des Bildungssektors macht er jedoch vor allem das Schulsystem verantwortlich, das "in diesem Punkt ganz klar versagt". Es bleibe zu wenig Zeit für individuelle Förderung. Mit der Einführung von Intensivierungsstunden, wie es die Staatsregierung im Zuge der G 8-Reform nun plant, sei man jedoch "auf dem richtigen Weg". "Wir brauchen das aber für alle Schularten", fordert der Pädagoge. Albin Dannhäuser, Chef des Bayerischen Lehrer- und Lehrerinnenverbands (BLLV), plädiert ebenfalls für eine intensivere Förderung innerhalb der Schule: "Schulischer Erfolg darf nicht vom Geldbeutel der Eltern abhängen."

Laut Dannhäuser erhalten bereits etwa 20 Prozent der Grundschüler in Bayern Nachhilfeunterricht. "Das hat zugenommen", sagt Harald Gäßl, Beratungslehrer an der Schulberatungsstelle Augsburg. Von den Eltern werde häufig Druck aufgebaut, "weil man möchte, dass das Kind den Übertritt ins Gymnasium oder die Realschule schafft."

Nicht nur der schlechte Ruf der Hauptschule sei dafür verantwortlich, sondern auch die Tatsache, dass ein höherer Schulabschluss bei der Suche nach einem Ausbildungsplatz an Gewicht gewonnen habe. Gäßl warnt jedoch: "Ein Kind, das nur mit Nachhilfe das Ziel erreicht, erleidet irgendwann Schiffbruch, spätestens im Gymnasium." Dannhäuser betont, dass Nachhilfe nur vorübergehend und in bestimmten Fällen Sinn mache - zum Beispiel nach längerem, krankheitsbedingtem Fehlen. Eltern empfiehlt er, sich zuerst mit dem Fachlehrer zu beraten, ob Zusatzstunden angebracht sind. Dass Nachhilfeunterricht in vielen Fällen Erfolg bringt, scheint indes unbestritten: Laut IJF-Studie konnten sich 70 Prozent der befragten Schüler verbessern.

Für Anna aus Augsburg haben sich die Sonderschichten schon jetzt ausgezahlt: "Ich hab" mehr Ahnung vom Stoff, kann im Unterricht besser mitreden und bin selbstbewusster", freut sie sich. Bis zur Abschlussprüfung will sie konzentriert weiterbüffeln - mit ihrem Nachhilfelehrer. Und auch Pythagoras wird sie noch eine Weile begleiten.

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