Schule in Bayern:Die Opfer der G8-Reform

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Wer in der Neunten sitzen bleibt, rutscht auf die Hauptschule ab. In manchen Klassen sind bis zu einem Drittel der Schüler versetzungsgefährdet.

Birgit Taffertshofer

Tausende Eltern von Neuntklässlern am Gymnasium plagt derzeit eine gemeinsame Sorge: Falls ihre Kinder das Klassenziel in diesem Jahr nicht erreichen, rutschen sie schlimmstenfalls an die Hauptschule ab. Denn die Schüler befinden sich an der Schnittstelle zum achtstufigen Gymnasium (G8). Und ein Wechsel in das G8 oder an die Realschule ist für Wiederholer der alten Gymnasialform von Jahr zu Jahr schwieriger geworden.

"Wie sollen sie das schaffen?": Eltern fürchten um die Schulkarriere ihrer Kinder. (Foto: Foto: iStockphoto)

"Die Schüler sind in der Sackgasse", klagt Heinz-Peter Meidinger, Vorsitzender des deutschen Philologenverbands und Schulleiter in Deggendorf. Zwar hätten sich die Gymnasien jahrelang bemüht, die leistungsschwachen Schüler in die nächste Klasse zu hieven, aber nun seien viele am Ende ihrer Möglichkeiten angelangt. "Das Problem verschärft sich mehr und mehr, weil die Lerndefizite natürlich nicht weniger werden", sagt Meidinger.

Es gebe inzwischen Klassen, in denen bis zu ein Drittel der Schüler versetzungsgefährdet sei. Das sind jene Buben und Mädchen, die mindestens eine Fünf im Zeugnis stehen haben. Meidinger schätzt, dass zwischen 3000 und 4000 Neuntklässler betroffen sind. Entspannung erwarte er erst im nächsten Jahr, da die Schüler dann am Gymnasium die Mittlere Reife machen könnten.

Seit der Einführung des G8 gilt für die Gymnasien, dass sie im letzten G9-Jahrgang ein Durchfallen möglichst vermeiden sollen. Das Kultusministerium erlaubt beispielsweise das "Vorrücken auf Probe", was bedeutet, dass auch Schüler mit zwei Fünfen oder mehr in die nächste Klasse vorrücken können. Außerdem sollen die Gymnasien gezielte Förderkurse anbieten und Schüler wie Eltern intensiv beraten. In der Realität fehlen den Gymnasien aber häufig die Lehrer, um ausreichend Angebote zu machen, sagt Max Schmidt, Vorsitzender des bayerischen Philologenverbands. "Die Emotionen der Eltern kochen zu Recht hoch, aber wir haben zu wenig Lehrkräfte."

Gelingt den Jugendlichen der Sprung in die zehnte Klasse nicht, droht ihnen jetzt der Absturz in die Hauptschule. Der Lehrplan des G8 ist schon stark vorangeschritten und die Stoffmenge weit größer. "Wie sollen die Schüler das schaffen, sie haben ja ohnehin schon Lernprobleme?", fragt sich die Mutter eines Neuntklässlers. Zuweilen wüssten sogar Schulberater nicht mehr, was sie empfehlen sollten. Gleich zwei Jahrgangsstufen zurückzugehen, sei wegen der großen Altersunterschiede in den Klassen schwierig. Eltern befürchten deshalb, dass das einmalige Sitzenbleiben die ganze Schulkarriere ihres Kindes ruinieren könnte.

Besonders bitter: Sogar der Weg an die Realschulen bleibt den Gymnasiasten immer öfter versperrt. Denn in Profilfächern wie etwa Rechnungswesen müssten sie mittlerweile Jahre aufholen. "Es ist sehr, sehr schwierig, in der neunten Klasse noch Fuß zu fassen", sagt ein Realschulleiter. Er könne eigentlich nur noch Gymnasiasten aufnehmen, die weder in Mathe noch in Fremdsprachen Schwächen hätten. Er habe schon Bewerber abweisen müssen, auch wegen der übervollen Klassen. Sie versuchten dann wenigstens den Quali zu schaffen, um über den M-Zug noch an die Mittlere Reife zu kommen.

Die Elternvereinigung der Gymnasien fordert nun mehr Lehrer zur Förderung und die Garantie, dass alle Neuntklässler vorrücken dürfen. Beide Augen einfach zuzudrücken, helfe den Kindern nicht weiter, warnt hingegen Meidinger. "Wir brauchen sofort einen zusätzlichen Stundenpool." Im Juni, wenn durch das Abitur Lehrer frei werden, sei es bereits zu spät. Das Ministerium will diesen Stundenpool aber nicht gewähren. Die Zahl der Schüler am Gymnasium, die das Ziel der Jahrgangsstufe nicht erreicht hätten, sei zuletzt kontinuierlich gesunken, hieß es. Im vorigen Jahr seien es 7,3 Prozent der Neuntklässler gewesen.

© SZ vom 21.3.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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