Schule: G8:Überforderte Prinzen

"So nicht!": Die Erfahrungen einer Mutter mit der G8-Reform in Bayern.

Nina Hümpel

Alle leiden, keiner tut was: Die Familien sind die Leidtragenden der G8-Reform in Bayern, durch die das Gymnasium von neun auf acht Jahre verkürzt wurde. Aber keiner traut sich so richtig aufzubegehren.

"So nicht!": Die Erfahrungen einer Mutter mit der G8-Reform in Bayern.

Neun Stunden Schule, dann Hausaufgaben, am Wochenende Vokabeln büffeln: Wo bleibt die Zeit für Freunde?

(Foto: Foto: iStockphoto)

Liegt es daran, dass jeder ein paar Bekannte hat, deren Kinder angeblich ganz gut mit dem G8 klarkommen? Oder liegt es daran, dass jeder heimlich zweifelt, ob es nicht doch nur die eigenen Kinder sind, die vom G8 überfordert sind? Vielleicht glauben wir Eltern auch, dass wir langfristig nur global konkurrieren können, wenn wir uns dem Schulwahn der Chinesen und Japaner anpassen?

Fest steht: Wohin ich auch gehe und mit wem ich auch spreche, fast alle Eltern beschweren sich über den Druck, der auf ihren Kindern und somit auf der ganzen Familie lastet.

Bei uns sieht der Schulalltag so aus: Um 7.20 Uhr verlassen unsere beiden Kinder (Zwillinge, beide 12 Jahre alt und wegen unterschiedlicher Neigungen auf verschiedenen Gymnasien) das Haus, zwischen 13.30 und 16.00 Uhr kommen sie aus der Schule zurück. Sie sind dann fix und fertig, hungrig (keine Kantinen in den Schulen, also auch kein Mittagessen), übermüdet und schlapp.

Als gut ausgebildete Akademikerin beginnt zu diesem Zeitpunkt mein Zweitjob: das Nachmittagsmanagement. Ich überrede die Kinder zu einem kleinen Essen, organisiere die Lernphasen und Pausen, den Kieferorthopäden und das Musiküben. Für uns alle der reinste Stress. Nach sechs bis neun Schulstunden geht bei den Kindern einfach nicht mehr viel. Es werden mal so gerade die Hausaufgaben bewältigt und ein wenig Musik geübt. Für Sport ist keine Zeit, auch für Freunde und Spielen nicht. Es ist auch keine Zeit, um Dinge des Alltags zu lernen, wie Aufgaben im Haushalt, wirtschaftliche Grundlagen.

Stattdessen muss ich meine Kinder wie kleine Prinzen bedienen und umsorgen, damit sie ihr Minimalprogramm bewältigen können. Will ich das wirklich? Ist das richtig? Was ist, wenn die bayerische gymnasiale Elite ihren Stand nicht erhalten kann? Wenn's für die Putzfrau und den Steuerberater später mal nicht reicht?

Überforderte Prinzen

Eine weitere Folge des Leistungsdrucks: In der Woche wird nur das Nötigste gemacht, der Rest wird aufs Wochenende verschoben. Da dreht sich das Familienprogramm dann nicht um sportlichen Ausgleich oder familiäre Ausflüge, sondern um das Nachholen von Versäumten bei uns Eltern im Job und bei den Kindern für die Schule. Samstag und Sonntag werden Vokabeln gelernt, Referate mit Hilfe der Eltern recherchiert und strukturiert, Zusatzaufgaben aus extra bestellten Lernheften gemacht usw. Das macht manchmal sogar Spaß. Aber es bedeutet auch, dass oft keine Zeit ist, um sich richtig zu erholen.

Dass am Wochenende gelernt wird, ließe ich mir noch gefallen. Das Konzept der bayerischen Bildungsbürgerfamilie, in der Mutter oder Vater am Nachmittag zuhause bleiben müssen, geht mir gehörig gegen den Strich. Allein, weil sich das nicht jede Familie leisten kann. Schon gar nicht in einer teuren Stadt wie München.

Sinn machen kann eine Verkürzung der Schulzeit eigentlich nur, wenn auch ein Neuntel des Stoffes gekürzt wird. Oder (was ich für wesentlich sinnvoller hielte), wenn das G8 automatisch eine Ganztagsschule implizierte. Eine Schule, in der bis zum Nachmittag gelernt wird, in der am Mittag gemeinsam gegessen wird und zwischendurch Sport- und Kunstangebote den Kindern Ausgleich und Bereicherung bieten. Eine Schule, in der neben dem Lernstoff auch soziale Kompetenzen trainiert werden.

Spricht man Lehrer auf diese Situation an, geben sie uns Eltern meistens recht und fordern uns auf, endlich politisch wirksam zu werden. Nur: Wir bekommen unsere Berufstätigkeit und unseren Einsatz für die Schule gerade mal so hin. Da bleibt weder Kraft noch Zeit für politische Aktivitäten.

Trotzdem: Wehren wir uns gegen diesen Unsinn, den man mit unseren Kindern versucht!

Zur Person: Nina Hümpel hatte eine glückliche Schulzeit in einem norddeutschen Gymnasium mit ausreichend Zeit für tägliches Balletttraining, Theatergruppe, Engagement für soziale und ökologische Zwecke und vor allem Freunde. Trotz durchschnittlichen Abiturs ein sehr guter Universitätsabschluss an Münchens derzeitiger Eliteuniversität der LMU.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: