Süddeutsche Zeitung

Schülerzeitungen:Spaß am Schreiben

Eigenverantwortung, Teamgeist und Debattenkultur: Sieger des Bundeswettbewerbs für Schülerzeitungen erzählen wie ihren Redaktionen arbeiten und was ihnen ihr Engagement bringt.

Von Lara Voelter

Den Unterricht hasst er. Und verachtet die Lehrkräfte, kritisiert das Schulsystem. Die Romanfigur Hanno Buddenbrook hat einiges mit ihrem Schöpfer Thomas Mann gemeinsam. Wenngleich der spätere Literaturnobelpreisträger nichts für die Schule übrighatte, gründetet er 1893 mit dem Frühlingssturm in Lübeck die erste Schülerzeitung Deutschlands. Mehr als 100 Jahre später hat sich mithilfe des Internets das Medienrepertoire zur Meinungsäußerung für Jugendliche deutlich erweitert - und dennoch fristen auch gedruckte Schülerzeitungen heutzutage keineswegs ein Nischendasein: Eine offizielle Statistik hierzu existiert allerdings nicht - laut Schätzungen dürften es einige Tausend sein.

Die Jugendpresse Deutschland ist der Bundesverband junger Medienmachender. Er sucht jedes Jahr gemeinsam mit den verschiedenen Bundesländern die besten deutschen Schülerzeitungen. Redaktionen von Grund-, Haupt-, Real- und Förderschulen, von Gymnasien und beruflichen Schulen können sich mit ihrer Print- oder Onlineausgabe beim Wettbewerb ihres Bundeslands bewerben. Die Jurys der Länder bewerten je nach Schulart zahlreiche inhaltliche und formale Kriterien. Beispielsweise prüfen sie, ob die Themen einen Bezug zum Schulleben haben. Wichtige Kriterien sind auch Kreativität, Originalität und Aktualität. Und wie ansprechend sind Schreibstil und Layout der Schülerzeitung?

Im Bundeswettbewerb, zu dessen Jury Vertreter der Landesministerien, Journalisten, junge Medienmacher, Lehrkräfte und Schüler gehören, messen sich dann die Sieger aus den Landeswettbewerben - für die Konzeption der besten drei Printzeitungen und der besten Online-Zeitung jedes Schultyps gibt es einen Geldpreis; zusätzlich werden Sonderpreise vergeben. In der unmittelbar zurückliegenden Runde wurden von den Ländern 183 Print- und 56 Online-Zeitungen eingereicht. Ziel des Bundeswettbewerbs und der Landeswettbewerbe ist es, das Engagement junger Menschen mit journalistischem Talent zu würdigen und zu fördern. Außerdem möchte der Verband so auch erreichen, dass sich Nachwuchs-Blattmacher auf der Preisverleihung und dem Schülerzeitungskongress in Berlin untereinander vernetzen. Aufgrund von Corona fanden die beiden jüngsten Preisverleihungen allerdings online statt.

In der Kategorie berufliche Schulen hat die Schülerzeitung Anna-Freud-Culture des Anna-Freud-Oberstufenzentrums in Berlin-Charlottenburg beim Berliner Schülerzeitungswettbewerb bereits mehrmals einen Preis gewonnen. 2021 gelang das erstmals auch auf Bundesebene: "Warum sind wir nie zufrieden?" lautet das Hauptthema der Ausgabe, mit der die Zeitung den dritten Platz belegte. Darin beschäftigt sich das Redaktionsteam mit der Frage, warum der Mensch zur Unzufriedenheit neigt und was man für ein zufriedeneres Leben tun kann. Ein weiteres zentrales Thema, das die Jury als "besonders gelungen" bewertete, ist eine persönliche Auseinandersetzung mit den rassistisch motivierten Morden in Hanau vor zwei Jahren.

Lehrer und Coaches helfen beim Gestalten der Ausgaben

Mit einer Auflage von 200 Stück erscheint die Zeitung seit 2007 zweimal im Jahr. Durch Unternehmensanzeigen und die Unterstützung des Fördervereins der Schule kann die Redaktion den Druck der Ausgaben finanzieren. Zu Beginn jedes Schuljahrs treffen sich die Nachwuchsjournalisten, um Themen festzulegen. Anschließend koordiniert das Team die Arbeit per E-Mail und Whatsapp. Ursula Maier redigiert die Texte der Jugendlichen und hilft ihnen weiter, wenn sie Fragen haben. Maier ist Lehrerin für Deutsch und Darstellendes Spiel an der Anna-Freud-Schule und betreut die Redaktionen der Schülerzeitung seit deren Gründung. "Ich merke, dass es eine wunderschöne Sache für die Schüler ist, sich ein Stück weit selbst zu äußern, mit Sprache zu arbeiten, Kritik zu üben", sagt sie. Für viele junge Menschen bringe die Mitarbeit bei der Schülerzeitung außergewöhnliche Erfahrungen: "Sie haben schon richtig tolle Sachen gemacht und zum Beispiel Juli Zeh oder Politiker interviewt." Politiker und Prominente würden die Schüler erfahrungsgemäß gern unterstützen.

In einen Austausch zu treten und verschiedene Ansichten zu einem Thema darzustellen, findet auch Chefredakteurin Hannah Clar wichtig. Sie sorgt unter anderem dafür, dass Deadlines eingehalten werden, und schreibt das Vorwort der Zeitung. Einige ihrer Freundinnen würden auch in der Redaktion arbeiten, und sie merke häufig, wie unterschiedlich ihre Meinungen und Wahrnehmungen zu bestimmten Themen seien, sagt die 18-Jährige. "Da ist es dann total interessant, wenn sich diese Vielfalt auch in den Ausgaben bemerkbar macht."

Linda Ziepke schreibt ebenfalls für die Anna-Freud-Culture und findet, das sei eine gute Gelegenheit, um etwas für die Schule und die Gemeinschaft zu tun. Die Arbeit für die Schülerzeitung sei zwar häufig sehr stressig, aber sie nehme sich die Zeit sehr gerne, sagt die Zwölftklässlerin. "Es ist eine gemeinsame Sache, und das macht wahnsinnig viel Spaß." Die 17-jährige Cristina Sailer hat vor einigen Monaten das Layout der Zeitung übernommen. Die Kenntnisse dafür habe sie sich selbst angeeignet, sagt sie.

Einige Medienmacher haben über Homeschooling geschrieben

Das Redaktionsteam der Schülerzeitung Anonym des Hamburger Gymnasiums Ohmoor hat in der Vergangenheit ebenfalls mehrmals auf Landesebene gewonnen. Mit der Ausgabe zum zehnjährigen Bestehen belegte es zum ersten Mal auf Bundesebene den zweiten Platz. Die Jugendlichen gewährten darin beispielsweise Einblicke in die Arbeit der Redaktion, interviewten ehemalige Chefredakteurinnen und -redakteure und thematisierten auch, wie es ihnen während des Lockdowns und im Homeschooling ging. Die Anonym sei keine Schülerzeitung von der Stange, lautete das Fazit der Jury: "Ihr schafft es, auf beinahe jeder Seite ironisch zu sein, auf humorvolle Weise gesellschaftliche Kritik zu üben und mit einem Augenzwinkern auch das eigene Dasein zu reflektieren." Die Laudatio wurde angesichts der Pandemie online gehalten.

Ursprünglich war die Schülerzeitung mit einer Auflage von 500 Exemplaren von den Schülern der Mittel- und Oberstufe konzipiert worden. Da die Fünft- und Sechstklässler aber auch eine Zeitung machen wollten, gibt es inzwischen die Anonym Junior. Sie ist vom Format her kleiner und liegt der großen Zeitung bei. Jeden Freitag treffen sich die Redaktionsmitglieder, um Themenideen und Artikel zu besprechen, Deadlines festzulegen und am Layout zu arbeiten.

Die Elftklässlerin Hannah Maibach ist Mitglied der Chefredaktion und seit der siebten Klasse Mitglied des Redaktionsteams. "Mich hat es schon immer begeistert, dass wir alles selbst gemacht haben und niemand vorgegeben hat, was wir schreiben sollen oder wie die Zeitung aussehen soll." Sie habe es noch bei keinem Projekt erlebt, dass die Zusammenarbeit so gut funktioniere wie bei der Anonym. "Es ist ein ganz besonderes Gefühl, letztendlich zu sehen, dass man es im Team geschafft hat, eigenverantwortlich eine Ausgabe herauszubringen", sagt Hannah Maibach.

Auch um Finanzierung und Vertrieb kümmern sich die Schüler-Redakteure

Jörg Hüttmann ist freier Texter und unterstützt das Redaktionsteam seit etwas mehr als zwei Jahren als Mediencoach. "Ich sehe meine Aufgaben aber mehr im Hintergrund. Ich gebe Tipps und Anregungen, wenn die Schülerinnen und Schüler Fragen haben, und kümmere mich um das Technische", sagt er. Bei der Arbeit für die Schülerzeitung geht es allerdings nicht nur ums Schreiben und Layouten; die jungen Redakteure beschäftigen sich auch mit dem Thema Vertrieb. Außerdem ist ein Team-Mitglied dafür zuständig, sich um die Finanzierung der Zeitung durch Anzeigen zu kümmern. Zusammen mit dem Geld, das die Redaktion mit dem Verkauf der Zeitung einnehme, könnten die Druckkosten finanziert werden, sagt Hüttmann. Er erlebe die Redaktionsmitglieder als sehr ambitioniert. "Sie haben die Erfahrung gemacht, dass es sich lohnt, wenn man sich engagiert, und ich denke, dass ihr Einsatz auch damit zu tun hat, dass hinter der Zeitung nicht die Schule steckt, sondern dass es ihre eigene Geschichte ist."

Begonnen hat diese Geschichte Anfang 2010 mit dem Engagement von Mina Saidze, der Gründerin und ersten Chefredakteurin der Anonym. "Ich habe damals gemerkt, dass wir Schülerinnen und Schüler keine Stimme hatten, kein Medium, mit dem wir unsere Gefühle und Meinungen ausdrücken und den Zeitgeist reflektieren konnten. Deshalb wollte ich unbedingt eine Schülerzeitung gründen", sagt sie. Der finanzielle Zuschuss des Vereins Junge Presse Hamburg ermöglichte den Druck der ersten Ausgabe. Anschließend brachten Anzeigen und der Verkauf der Zeitung das Geld für die Druckkosten ein.

Als Tochter von Eltern aus Afghanistan, die politische Aktivisten gewesen waren, habe sie seit ihrer Kindheit gelernt, Missstände zu benennen, ihre Stimme zu erheben und Menschen für eine gemeinsame Sache zu mobilisieren, sagt die 28-Jährige. "Ein Medium kann Menschen auch zusammenführen und verbinden." Von der damaligen Schulleitung habe sie allerdings keine Wertschätzung erfahren, sagt Saidze. Unter anderem, weil sie auch mal unbequeme Meinungen vertreten habe. Verglichen mit vielen ihrer Mitschülerinnen und Mitschüler sei sie nicht so privilegiert aufgewachsen. Das sei manchmal nicht einfach gewesen. "Die Schülerzeitung hat mir ein Stück Identität und Anerkennung gegeben - etwas, woran ich mich klammern konnte."

Inzwischen hat Saidze mit Inclusive Tech die europaweit erste Beratungs- und Lobbyorganisation für mehr Diversität und Inklusion in der Tech-Branche gegründet. Als Dozentin lehrt Mina Saidze an der Hamburg Media School, zudem ist sie als Mentorin im Bereich künstliche Intelligenz und Datenanalyse aktiv. Sie sagt: "Es war die Arbeit bei der Schülerzeitung, die mich motiviert hat und mir gezeigt hat, dass ich viel schaffen und Widerständen entgegentreten kann."

Nähere Informationen zum Bundeswettbewerb und Tipps zum Thema Schülerzeitung gibt es beim Bundesverband Jugendpresse Deutschland sowie auf dem Portal Schuelerzeitung.de.

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