Schülerstreich 2.0:"Lehrer wird gehauen mit Besen"

Gespielte Hinrichtungen, verfälschte Sex-Videos: Drastische Fälle von Lehrer-Mobbing im Internet alarmieren Politiker und Pädagogen.

Marc Widmann und Christian Becker

Es ging um Rache. Der Lateinlehrer war angeblich schuld, dass ein Freund die Schule verlassen musste. Nun sollte er sterben, im Internet. Ein Schüler kopierte den Kopf des verhassten Pädagogen in einen kurzen Comic-Film. Das Opfer geht einen Weg entlang, plötzlich fällt ein Schuss, Blut spritzt, der Kopf kullert davon. Das Video wird auf die Internetseite youtube.com geladen, und jeder, der nach dem Namen des Lehrers sucht, findet es sofort. Erst nach Tagen meldet ein Vater den Vorfall dem Rektor - da ist der Film längst Schulgespräch.

Gespielte Hinrichtungen, verfälschte Sex-Videos: Drastische Fälle von Lehrer-Mobbing im Internet alarmieren Politiker und Pädagogen.

Harmlos oder strafrechtlich relevant? Auf diesem Video spielt ein Schüler einen "cholerischen Lehrer".

(Foto: Foto: Youtube.com (screenshot))

Etwa zur gleichen Zeit sammelt die Klasse einer Mädchen-Realschule in Bayern Geld, um einen älteren Lehrer im Internet in einer Singlebörse feilbieten zu können. Ein Foto des unverheirateten Pädagogen laden die Schülerinnen ins Netz, ausführlich beschreiben sie seine angeblichen Vorlieben: blonde Mädchen mit langen Zöpfen.

Dritter Fall, eine Gesamtschule im Westen der Republik: Auf dem Schulhof tauchen Pornobilder auf, Sexszenen im Klassenzimmer. Die Bilder wandern von Handy zu Handy, sie stammen aus dem Internet. Doch wo sich ursprünglich professionelle Darsteller räkelten, kopierten Jugendliche die Köpfe von Lehrern und Mitschülern ins Bild.

Hosen runter!

Von einem "Wildwest-Zustand" im Netz spricht Heinz-Peter Meidinger, der Vorsitzende des Deutschen Philologenverbands. Mobbing im Internet nehme beängstigend zu, Lehrer würden mittlerweile wie "digitalisiertes Freiwild" gejagt. "Seit zwei Jahren nehmen wir das Phänomen immer stärker wahr", sagt Meidinger. Eine wachsende Zahl von Lehrern wende sich mit Hilferufen und der Bitte um Rechtsschutz an den Verband. Mehrere Dutzend Fälle seien bundesweit bereits bekannt geworden.

In Großbritannien wird über das Problem des "Cyber-bullying" schon länger diskutiert. Eine Untersuchung des Lehrerverbandes ATL ergab, dass 17 Prozent der befragten Pädagogen schon einmal per Handy oder Internet belästigt wurden. Das Erziehungsministerium unterhält eine Internetseite zum Thema, Minister Alan Johnson beklagt, dass immer mehr Lehrer so stark unter Mobbing-Attacken litten, dass sie krank würden.

Auch die deutschen Lehrer verlangen nun Hilfe von der Politik. Die Kultusminister, die sich Ende voriger Woche in Berlin trafen, versprachen, Pädagogen nicht allein zu lassen. Da jeder Fall anders sei, gehe es aber vor allem um eine individuelle Unterstützung und um juristischen Beistand.

Vor allem älteren Lehrern sind die Techniken oft fremd, mit denen sie neuerdings bloßgestellt werden. Fast jeder Schüler trägt heute ein Handy mit Kamerafunktion bei sich. Im Internet sind zahlreiche Seiten gewachsen, auf denen jeder Videos oder Bilder kostenlos zur Schau stellen kann - weltweit abrufbar. Wer auf youtube.com oder ähnlichen Seiten die Stichworte "Lehrer" oder "Unterricht" eingibt, wird schnell fündig: Hunderte verwackelte Kurzfilme aus Klassenzimmern sind dort zu sehen. Manche offenbaren eine Strategie: Der Lehrer wird vor laufender Kamera so lange provoziert, bis er ausrastet. Titel wie "Lehrer ärgern" oder "Lehrer wird gehauen mit Besen" garantieren viele Zuschauer. Besonders beliebt: Ein Video, in dem ein schottischer Schüler seinem Lehrer vor der Tafel die Hose herunterzieht.

"Lehrer wird gehauen mit Besen"

Peter Silbernagel, Präsident des Lehrerbundes Nordrhein-Westfalen, rät verunsicherten Kollegen, in die Offensive zu gehen. Sie sollen die Portale "mit Klagen überziehen". Der Verband veröffentlicht ein Merkblatt mit "Hinweisen zum Persönlichkeitsschutz von Lehrkräften im Internet". Silbernagels Tipp an betroffene Lehrer: die Webseiten ausdrucken zur Beweissicherung, dann eine einstweilige Verfügung gegen den Internet-Provider erwirken. Baden-Württembergs Kultusminister Helmut Rau hat die Schulen aufgefordert, energisch gegen die neuen Mobbing-Methoden vorzugehen. Bestehende Sanktionsmöglichkeiten müssten auch genutzt werden, sagt Rau. Dies könnten Verweise sein oder der zeitweise Ausschluss vom Unterricht.

Doch es gibt auch andere Stimmen. Für "hysterisch" hält Klaus Wenzel die Debatte. Es handle sich nur um "eine Handvoll" Fälle, die man nicht überbewerten sollte, mahnt der Präsident des Bayerischen Lehrerverbandes.

Selbst wenn es Einzelfälle sind: Die Folgen für die Betroffenen reichen bis zu psychischen Problemen. Bei fiktiven Hinrichtungsvideos könnten Todesängste ausgelöst werden, sagt Meidinger, selbst Schulleiter eines bayerischen Gymnasiums. "Erfurt spukt den Lehrern noch im Kopf." Die Schüler, die oft nur einen Scherz machen wollten, wüssten meist gar nicht, was sie damit anrichten.

"Im ersten Augenblick war ich relativ baff", erzählt ein Englischlehrer aus einer süddeutschen Kleinstadt, der sich kürzlich auf einem "Hinrichtungsvideo" im Netz wiedererkannte. Doch seine Schule reagierte schnell, sagt der 30-Jährige. Sie rief beim Provider der Internetseite an und ließ den Film löschen. Dann stellte sie dem Täter öffentlich ein Ultimatum, sich freiwillig zu melden, sonst gehe der Fall an die Polizei. Er meldete sich, ein Junge mitten in der Pubertät. "Im Gespräch kam heraus, dass er das Video aus einem Impuls heraus erstellt hat", sagt der Lehrer, "und dass er dabei völlig übersehen hat, welche Probleme er sich damit einhandeln kann."

Heute sucht der Pädagoge zur Sicherheit ab und zu im Internet. Nach seinem eigenen Namen.

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