Süddeutsche Zeitung

Schüler und ihr Traum vom Lernen:Die Selber-Lerner

Runter vom Schulhof: In Freiburg haben zwölf Jugendliche der Institution Schule den Rücken gekehrt. Sie wollen ihr Abi im Alleingang schaffen.

Steffen Heinzelmann

In diesen Sommerferien bleiben Lenya Bock nur wenige freie Stunden am See oder im Park. Denn jetzt ist die 19-Jährige quasi Schulrektorin. Lenya und elf weitere Zwölftklässler haben ihre Schulen in Freiburg verlassen, um sich selbständig auf das Abitur im kommenden Frühjahr vorzubereiten.

Noch sind sie gemeinsam auf der Suche, nach Lehrern, nach Geld, nach einem geeigneten Raum für ihre Traumschule. "Die Abmeldung von der Schule war der entscheidende Schritt, jetzt gibt es kein zurück mehr", sagt Alwin Franke, mit 18Jahren nicht mehr schulpflichtig und bislang Waldorfschüler. "Da wir unsere Vorstellung vom richtigen Lernen nicht an unseren Schulen umsetzen konnten, mussten wir raus aus der Institution."

Das Lernen lernen

In den kommenden zehn Monaten wollen die Schüler ihren Unterricht selbst gestalten. "Wir wollen neben dem Fachwissen auch lernen, selbst zu lernen", erklärt Lenya. "Und nicht, dass ein Lehrer vor der Tafel referiert, wir das alles geistig aufsaugen und dann in der Prüfung wieder ausspucken."

Die Abiturienten planen, in Kleingruppen und mehrstündigen Blöcken Themen zu erarbeiten - täglich sieben Stunden lang, an sechs Tagen in der Woche. "Ein solcher Lernrhythmus ist sinnvoller als die kurzen Schulstunden", sagt Alwin. "Bei uns ist die Deutschstunde zu Ende, wenn wir das Lernziel erreicht haben. Und nicht, wenn 45 Minuten um sind."

Bei aller Selbstständigkeit verzichten die Schüler keineswegs auf die Erfahrung von Pädagogen. Für jedes der Prüfungsfächer wollen sie einen Lehrer engagieren, 25 Stunden in jeder Woche sollen diese Ratschläge erteilen oder Probeklausuren korrigieren. "Die Lehrer sind unsere Qualitätskontrolle", sagt Alwin. Ungewohnt ist die Form der Zusammenarbeit.

"Die Lehrer sind unsere Angestellten", sagt Lenya. "Wir konnten Dozenten aussuchen, die wir kannten und die Erfahrung mit den Abiturprüfungen haben. Wir mussten uns aber auch Gedanken machen, wie wir die Sozialabgaben für die Lehrer bezahlen."

Grünes Licht vom Regierungspräsidium

Für ein Jahr Privatunterricht rechnen die Schüler mit 50000 Euro Kosten, zwei Drittel davon wollen sie mit ihrem Verein "Methodos" bei Sponsoren und Stiftungen sammeln. Das andere Drittel bezahlen die Eltern, die unterschiedlich auf die Schulaustritte reagierten. "Mein Vater war sofort begeistert, den musste ich fast bremsen", berichtet Lenya. Ihre Mutter sei dagegen lange skeptisch gewesen, obwohl auch die zuständige Abteilung des Regierungspräsidiums Freiburg keinerlei Einwände hatte und den Schülern sofort grünes Licht gab.

Möglich macht den Schulabschluss ohne Klassenzugehörigkeit in Baden-Württemberg und anderen Bundesländern die Regelung über das "externe Abitur": Das Angebot ist in erster Linie für Berufstätige oder Schulabbrecher gedacht. Als Voraussetzung gelten im Stuttgarter Kultusministerium, dass die Teilnehmer weder an einer Schule angemeldet, noch zweimal durch die Abitursprüfung gefallen sind. Die "schulfremd" genannten Prüflinge des Abiturs müssen dann am selben Tag wie alle Abiturienten in dem Bundesland dieselben Aufgaben lösen.

Mehr Prüfungen

Weil in Baden-Württemberg die Zensuren aus der zwölften und dreizehnten Klasse gewöhnlich drei Viertel der Abschlussnote ausmachen, haben externe Abiturienten einen deutlichen Nachteil: Sie müssen mehr Prüfungen ablegen. Abiturienten staatlicher Gymnasien schreiben vier Klausuren und werden einmal mündlich geprüft. Die Freiburger Autodidakten müssen ihr Wissen im nächsten Frühjahr in sieben zusätzlichen mündlichen Prüfungen beweisen.

"Das ist klar der schwierigere Weg zum Abitur", betont Heinz-Peter Meidinger, Bundesvorsitzender des Philologenverbands. "Denn für sie gilt in den Prüfungen außerdem: alles oder nichts." Einen Trend zur Abiturvorbereitung außerhalb der Schule erkennt der Schulleiter eines Gymnasiums im niederbayerischen Deggendorf nicht.

"Wenn wir durchrasseln, sind wir selbst schuld"

Auch nach Angaben des bayerischen Kultusministeriums sind externe Abiturienten eine Ausnahme: Im vergangenen Frühjahr waren unter den insgesamt 32.000 Abiturienten im Freistaat 484 externe Prüflinge.

"Ich sehe die Gefahr, dass die Schüler nur das Prüfungswissen lernen", kommentiert Meidinger das Vorhaben von Lenya und Alwin. Schule bestehe nicht nur aus Paukkursen. In der Oberstufe gehe es um eine breite Allgemeinbildung, um Diskussionen, um die Gemeinschaft in der Schule. Zudem befürchte er Schwierigkeiten, qualifizierte Lehrer zu finden - damit hätten sogar Privatschulen Probleme.

Die Jugendlichen aus Freiburg starten ihr Projekt zwei Wochen vor dem Schulbeginn im September, um noch verschiedene Lernmodelle und den Zeitablauf zu testen. Danach gelten keine Ausreden und kein Schimpfen auf die Schule mehr, sagt Alwin: "Wenn wir durch die Prüfung rasseln, sind wir selbst schuld."

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Quelle:
SZ vom 13.8.2007
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