Süddeutsche Zeitung

Schriftarten-Analyse:Arial oder Calibri, Spießer oder Spaßvogel?

Lesezeit: 3 Min.

Von Benedikt Müller, München

Helmut Ploog hat sie bis heute abgeheftet, die Schriftproben vieler Manager aus ganz Deutschland. Wenn seine Kunden unsicher waren, welche Führungskraft besser zu ihrem Unternehmen passt, schickten sie die Handschrift der Bewerber an den heute 75-Jährigen. Der Psychologe untersuchte die Bögen und Winkel der Schrift und schloss auf den Charakter des Kandidaten: ehrgeizig oder verspielt, teamfähig oder selbstbezogen. Freilich hörten die Firmen nicht immer auf Ploog. Bei so mancher Entlassung habe er sich im Nachhinein bestätigt gefühlt, erzählt er.

Zeig mir, wie du schreibst, und ich sag dir, wer du bist: Dieser Gedanke verändert sich im digitalen Zeitalter. Nur noch wenige Firmen lassen hierzulande Handschrift oder Unterschrift von Bewerbern analysieren, zeigen Umfragen. Stattdessen gehen Bewerbungen online ein, die Signatur in der E-Mail ersetzt die Unterschrift auf dem Brief, die Webseite dient als digitale Visitenkarte. Und ob sich der User bei der Gestaltung Mühe gibt oder nicht, zeigt stets ein vermeintliches Detail: welche Schriftart er gewählt hat.

Times New Roman ist wie ein alter Pulli

"In der alltäglichen Kommunikation wird die Bedeutung der Schriftart unterschätzt", sagt Nina Stössinger, Designerin und Typografie-Dozentin. "Das Bewusstsein für die verschiedenen Schriftarten wächst aber mit dem Angebot." Wer eine Präsentation oder eine Webseite erstellt, wählt aus etlichen voreingestellten Schriftarten; kostenlose Alternativen aus dem Netz sind binnen Sekunden installiert. Und auch bei den 18 E-Mails, die laut dem Verband Bitkom an einem normalen Tag anfallen, beschränkt sich die Auswahl längst nicht mehr nur auf Arial und Times New Roman.

"Diese Standardschriftarten sind solide", sagt Stössinger. "Man hat sie aber schon tausendfach gesehen." Immer in Times New Roman zu schreiben, ist für die Designerin so, als trüge man jeden Tag den selben, alten Pullover: Spätestens bei der Bewerbung wirke das langweilig.

Auch die allgegenwärtige Arial ist nicht auf der Höhe der Zeit. 1982 wurde sie für klobige Bildschirme mit niedriger Auflösung entworfen, die niemand mehr nutzt. Längst gibt es besser lesbare Schriftarten, die weniger Tinte verbrauchen und aufwendiger gestaltet wurden. Trotzdem schreiben viele ihre Mails in Arial, weil sie dann sicher sein können, dass der Text beim Empfänger in derselben Schriftart ankommt. Wer einen weniger verbreiteten Typ nutzt, läuft Gefahr, dass das Betriebssystem oder das Mail-Programm des Adressaten den Text ganz anders darstellt als gewünscht.

Unternehmen lassen eigene Schriftarten entwerfen

Außerdem können viele Arbeitnehmer gar nicht frei wählen, in welcher Schriftart sie ihre Mails schreiben. Der Automobil-Zulieferer Continental hat beispielsweise Arial als Standard festgelegt. Die Daimler-Beschäftigten sollen alle E-Mails in Calibri schreiben; in Präsentationen und Briefen dürfen sie nur Hausschriften nutzen, die eigens für den Konzern entworfen wurden.

"Wenn ein Unternehmen in seinem Erscheinungsbild eine einheitliche Schriftart verwendet, schafft das einen unglaublichen Wiedererkennungswert", erklärt Andreas Koop, Autor des Buches "Die Macht der Schrift". Mit der weiterentwickelten Technik sei es in Mails normal geworden, eine einheitliche Signatur mit dem Logo zu verwenden. "Wer auf Nummer sicher gehen möchte, sollte im Text dieselbe Schriftart verwenden wie in der Signatur", rät Koop. Wem das zu langweilig aussieht, dem empfiehlt er, den Fuß in grau oder in kleinerer Schrift zu setzen. Noch erwarte aber niemand die durchgestylte Mail.

Die Schriftart verrät etwas über den Autor

Doch bleibt das so? Auch bei Webseiten waren Standardschriftarten lange Zeit ausreichend. Doch die Internet-Auftritte von Start-ups zeigen die neuen Ansprüche. "Für die Firmen wird es immer wichtiger, dass ihre Webseiten für Smartphones optimiert sind", erklärt der Designer Peter Glaab. Auf kleinen Bildschirmen seien die Gestaltungsmöglichkeiten begrenzt. "Deshalb setzen die Unternehmen verstärkt auf gute, kennfähige Schriftarten."

Beiersdorf etwa ließ für Nivea-Produkte eine neue Schriftart entwerfen, die den Schriftzug auf den Cremetuben nachahmt. Längst nutzt die Firma sie auf ihrer Webseite. Bald auch für die Mails? Denkbar.

Solange das noch Zukunftsmusik ist, genießen die meisten Menschen bei der Mail-Schriftart Narrenfreiheit. Die sollte man nutzen, rät Nina Stössinger. Doch wenn man die Wahl hat, habe die Entscheidung auch etwas zu bedeuten. "Die Schriftart verrät etwas darüber, wie sich der Autor selbst darstellen will", sagt die Designerin. Spießer oder Spaßvogel: Die Form gibt einen Hinweis, wer es ist, der da schreibt.

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Quelle:
SZ vom 17.10.2015
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