Schnell Schreiben:Zehn kleine Fingerlein

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"Sehr hejrzer Damemb und Herrne": Wer mit dem Zwei-Finger-Suchsystem tippt, macht Fehler - und vergeudet Zeit. Ein Seminar lehrt in nur fünf Stunden das perfekte Schreiben.

Jutta Göricke

Das hört sich schwierig an: jemanden umzupolen, der ein Vier- bis Fünf-Fingersystem an der Schreibmaschine perfektioniert hat. Genaugenommen am Computer, der zum schlampigen Tippen geradezu einlädt. Da kann man ohne Angst vor irreversiblen Schäden in die Tastatur hauen, selbst wenn Sätze herauskommen wie: "Sehr hejrzer Damemb und Herrne, anbei schicnej ich Ihnn wien geschünscht wubw Übrscht unserer PRodukte."

Zehn-Finger-System in fünf Stunden: ein kleines Wunder. (Foto: Foto: iStock)

Macht nichts, ein ordentlicher Korrekturgang nach dem Ende des Absatzes, der dem Verfasser erfreulicherweise auch noch die Zeit gibt, seine Ergüsse zu reflektieren, und aus dem Katastrophengeschreibsel wird: "Sehr geehrte Damen und Herren, anbei schicke ich Ihnen, wie gewünscht, eine Übersicht unserer Produkte." Prima gemacht, sitzenbleiben, weiterschreiben.

Jede Menge Zeit sparen

Warum also sollte dieser Mensch seine Gewohnheit aufgeben und sich der Formvollendung der kultivierten Tipptechnik, dem Zehn-Finger-System, zuwenden? Weil er natürlich weiß: Er würde, wenn er es beherrschte, jede Menge Zeit sparen. Und es sieht eleganter aus. Aber: Es dauert auch eine Ewigkeit, bis man sich die Lage der Buchstaben gemerkt hat und erst recht die der Sonderzeichen. Monatelanges, blödes Pauken im Feierabendkurs, nein danke, weder Zeit noch Lust.

"Zehn-Finger-System in fünf Stunden!" Dieses Angebot, so unwahrscheinlich es klingt, kommt da wie gerufen. Klaus Grübl ist Geschäftsführer des Weiterbildungsunternehmens Comak aus dem österreichischen Braunau, und er verspricht den 15 Teilnehmern des Seminars, das ein großes Maschinenbau-Unternehmen in München für seine Azubis gebucht hat, genau dieses kleine Wunder, allerdings aufgeteilt in zwei Tagesrationen à 2,5 Stunden. "Mehr kann der Mensch nicht auf einmal aufnehmen", sagt Grübl, der selbst als Lehrer auftritt.

Alle sinnlichen Ebenen

Drei angehende Industriekauffrauen sind dabei. Sie sollten in der Tat schnell und fehlerfrei tippen können. Die meisten Teilnehmer aber lernen einen technischen Beruf. Warum muss man als Oberflächenbeschichter das Zehn-Finger-System beherrschen? "Na, um die Fräsmaschine zu programmieren", erklärt Harald, wie seine Kollegen im Blaumann unterwegs. In der computerisierten Welt kommt eben kaum jemand ohne Tastatur-Tippen aus. Viele der Anwesenden bringen Vorkenntnisse aus dem Schulunterricht mit. "Das war eher stumpfes Auswendiglernen", sagen sie. Das soll heute anders werden.

Im Schulungsraum sind Stühle im Kreis aufgestellt, am Kopfende ist eine Tafel aufgebaut, die ein Keyboard mit farbigen Tasten zeigt. Doch die Tastatur spielt erst mal keine Rolle. Stattdessen fordert Klaus Grübl die Teilnehmer auf, Dick und Doof zu spielen, nämlich Nase und Ohr mit überkreuzten Händen zu greifen. Wie zu erwarten, tut sich nicht jeder leicht mit der Übung, die Trainer Grübl dazu nutzt, um das ganzheitliche Lernkonzept der kommenden fünf Stunden zu erklären.

Blaues Aquarium und gelbe Suppe

Die Schreiblehrlinge sollen auf allen sinnlichen Ebenen angesprochen werden: der Zappelphilipp auf der motorischen, der visuelle Typ durch Bilder, der auditive durch Zuhören und der Kinästhetiker emotional. Und das geht so: Grübl entwickelt unter Mithilfe der Teilnehmer eine Geschichte, die Geschichte von der Grundreihe der Tastatur mit den Buchstaben A, S, D, F, G, die mit den Fingern der linken Hand betätigt werden. Sie spielt in einem Restaurant, wo ganz links - da, wo der kleine linke Finger ist - ein blaues Aquarium steht und eine gelbe Suppe - der Ringfinger ist gefragt - mit grünem Dill für den Mittelfinger serviert wird. Danach folgt der Fisch, eine Rotbarbe, die rote Gräten hat - beide stehen für den Zeigefinger. Aha.

"Und jetzt bitte Augen zu und entspannen." Brav entspannen die Azubis und lauschen mit geschlossenen Augen der Stimme aus dem Lautsprecher, die, untermalt von meditativer Musik, die Geschichte vom Restaurantbesuch mit Fischessen wiederholt, in einer betont blumigen Sprache. Das mit der Entspannung klappt vorzüglich. Sitznachbar Florian schnarchelt ein wenig.

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Jeder Finger, jeder Buchstabe, alle Sinne

Nach dem suggestiven "Lernkonzert" ermuntert Grübl alle aufzustehen und sich locker zu machen. Er wirft einen Ball mit Farbfeldern in die Runde. Verena fängt ihn auf, mit dem grünen Feld nach oben. "Grün ist der Dill", sagt sie, "und der gehört - wie D - zum linken Mittelfinger." Jeder kommt an die Reihe: jeder Teilnehmer, jeder Finger, jeder Buchstabe, alle Sinne. "Hier werden die spielerisch erarbeiteten Inhalte der beiden vorangegangenen Phasen aktiviert", erläutert Grübl. Und die Zuordnungsübungen, die zum Schluss jeder still für sich in seinem Arbeitsbuch ausfüllt, zeigen: Die ersten fünf Buchstaben der linken Hand sind gelernt.

Die rechte Hand wird in Urlaub geschickt, nach Österreich, weil der kleine Finger der rechten Hand das Ö bedient. Man fährt mit einer gelben Lokomotive, trägt einen grünen Koffer und hält eine rote Jause in einer roten Hütte. Der Lerneffekt ist verblüffend. Horizontal, vertikal, diagonal - die Geschichten vom Restaurantbesuch und der Österreich-Reise markieren nach und nach alle Tasten. Im blauen Aquarium schwimmen blaue Quallen, zur gelben Suppe gibt es sonnenverwöhnten Wein. Der grüne Dill kostet 4 grüne $.

Auswendiglernen funktioniert

Die Vertiefungsübungen führen dazu, dass sich jeder Teilnehmer innerhalb kürzester Zeit - wie versprochen nach fünf Stunden - die Lage der Buchstaben, Ziffern und Sonderzeichen auf der Tastatur merken kann und tatsächlich auch im Gedächtnis behält. Für den Seminar-Viel-Besucher stellt sich das Ganze als Melange aus Anteilen von Neurolinguistischer Programmierung, Suggestopädie und einer Mnemotechnik dar, die für Siegerwetten bei Thomas Gottschalk taugt. Das Gute für den Teilnehmer ist: Das Auswendiglernen hat funktioniert.

Doch das heißt noch lange nicht, dass er jetzt auch schreiben kann. Denn ohne Training an der realen Tastatur führt auch die ganzheitliche Lernmethode von Klaus Grübl nicht weiter. Im InhouseSeminar kommt es aber erst gar nicht dazu, weil die firmeninterne Firewall den Zugriff auf das Online-Lernprogramm, das zum Gesamtpaket des Seminaranbieters gehört, verhindert. Es bleibt bei Trockenübungen. Also findet das Training später statt, daheim.

Was beim Lernkonzert spielend klappt, nämlich mit sanftem Druck auf die Oberschenkel imaginär die richtigen Knöpfe zu drücken, erweist sich in der Realität als schwieriger. Erstens fehlen auf der Tastatur daheim die versprochenen Hubbel auf der F- und J-Taste, die man erfühlen kann und die einen beim blinden Ansetzen immer in die richtige Ausgangsposition bringen. Zweitens sind die echten Tasten widerspenstig: Der kleine linke Finger muss das Y ziemlich heftig drücken. Leider nimmt man dabei auch ungewollt das F und das D mit.

Ja, ja, ja, öd, öd, öd

Zum Glück verschafft das Online-Üben aber jede Menge Erfolgserlebnisse. Auf einer Displayzeile werden Buchstabenkombinationen - später ganze Texte - vorgegeben, die man innerhalb eines Zeitlimits korrekt tippen muss. Zur Orientierung kann, wer will, auf eine Tastatur auf dem Bildschirm schauen, die wie in den Trockenübungen farbig unterlegt ist. So übt man also: DA DA DA, gas, fass, ass.

Und wer sagt's denn: Das Schreiben geht in kurzer Zeit leicht und relativ fehlerfrei von der Hand. Nur die Sehnen ziehen. Aber davor hat Grübl gewarnt: "Nicht länger als eine halbe Stunde trainieren!" Also nur noch einmal, dann ist Schluss bis morgen. Geübt werden muss, bis es blind funktioniert, und das dauert nun mal länger als fünf Stunden: ja, ja, ja, öd, öd, öd.

© SZ vom 13.9.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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