Saudi-Arabien:Forschen ohne Schleier

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In Saudi-Arabien ist es eine Sensation: An der Prestige-Uni "Kaust" gibt es keine Geschlechtertrennung - allen Prinzipien des wahhabitischen Islams zuwider.

Tomas Avenarius

Was die Superlative angeht, ist diese Hochschule schon jetzt führend: Innerhalb von zwei Jahren aus dem saudischen Wüstenboden gestampft, beheimatet die "König Abdullah Universität für Naturwissenschaften und Technologie" einen der schnellsten Supercomputer der Erde, verfügt auch sonst über fast jedes technische Gerät für Wissenschaftler und Doktoranden aus aller Welt. "Kaust", wie die gerade eingeweihte Uni nahe Dschidda am Roten Meer heißt, soll Saudi-Arabien in wenigen Jahren zu einem "globalen Forschungszentrum" machen und dem Königreich eine Wirtschaftsgrundlage für die Zeit nach dem Versiegen des Öls sichern.

Die auf dem königlichen Reißbrett entworfene Elite-Universität könnte auch helfen, die erzkonservative Gesellschaft zu modernisieren. Denn Kaust ist die erste Bildungseinrichtung, an der Frauen und Männer ungehindert zusammen arbeiten dürfen und Frauen sich nicht verschleiern müssen.

Behutsame Modernisierung

Dieses Novum dürfte islamischen Theologen und Rechtsexperten sauer aufstoßen: Der in Saudi-Arabien vorherrschende wahhabitische Islam besteht auf strikter Trennung der Geschlechter. Bis heute behindert er die Teilnahme von Frauen am öffentlichen Leben, er schreibt Verschleierung vor, verbietet ihnen das Autofahren.

Das soll auf dem 36 Quadratkilometer großen Kaust-Campus anders sein. Der aus Singapur stammende Universitätspräsident Choon Fong Shih sagt über den akademischen Umgang zwischen Frauen und Männern: "Wir schreiben nicht vor, wie sie zusammenarbeiten. Das hier dient der Forschung und wird vom wissenschaftlichen Ehrgeiz befeuert."

Das klingt anders als das Bildungsideal der Wahhabiten, für die vor allem der Koran den Blick für die Wunder dieser Welt öffnet. Aber der tiefreligiöse saudische König Abdullah versucht sich seit langem an der behutsamen Modernisierung seines Reichs. So hat er die Reform des von den Islam-Experten dominierten Rechtssystems angeschoben. Mit Kaust scheint er zwei Ziele parallel zu verfolgen. Saudi-Arabien soll mit der Super-Uni "als Katalysator in eine Wissens- und Bildungsökonomie verwandelt werden", wie es einer der Kaust-Vorstände ausdrückte. Der König weiß, dass das Ölzeitalter endet. Er muss den strukturellen Wandel einleiten: Bildung und Forschung bieten sich da an.

Akademisch befeuerte Transformation

Am Geld für die akademisch befeuerte Transformation wird es kaum fehlen: 1,5 Milliarden Dollar wurden investiert und der dem Kaust-Aufsichtsrat vorsitzende Ölminister Ali al-Naimi dürfte jederzeit Mittel zuschießen. Die wissenschaftliche Exzellenz hingegen stammt großteils aus dem Ausland: Im 71-köpfigen Lehrkollegium der Hochschule finden sich 14 Amerikaner, sieben Deutsche und sechs Kanadier, die ausschließlich Doktoranden und Master-Absolventen ausbilden. Auch die Studenten kommen aus aller Welt, 15 Prozent der 800 Studienplätze sind Saudis vorbehalten. Da die jährlichen Studiengebühren mit rund 60.000 Dollar Harvard-Niveau erreichen, vergibt eine Stiftung Stipendien.

All dies dürfe die wahhabitischen Hüter der orthodoxen islamischen Glaubensideale kaum interessieren. Ihnen könnte der saudische König eher mit ihrem Hang zu Nostalgie beikommen: Während des in Europa finsteren Mittelalters erlebte die islamische Welt ihren Höhepunkt, sie war damals Hort von Kunst und Wissenschaft. Mit der Universität Kaust könnte Saudi-Arabien mit modernen Mitteln an das "goldene islamische Zeitalter" anknüpfen.

© SZ vom 24.9.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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