Russland: Gekaufte Abschlüsse:Einmal Examen: 40.000 Rubel

Gegen Geld schreiben russische Lehrer ihren Schülern die Abschlussarbeit. Wer dagegen kämpft, landet im Krankenhaus.

Frank Nienhuysen

Ein Politiker ist abgetaucht, ein Lehrer liegt im Krankenhaus, und die Zeitung Iswestija titelte geifernd: "Das erste Blut". Als Igor Keiko die ersten Anrufe bekam, hatte er nicht viel Zeit. Er werde schon noch seine Bestrafung erhalten, drohte man ihm anonym, und er erhielt sie schnell. Der Abgeordnete wurde auf der Straße überfallen und verprügelt. Seit ein paar Tagen hat er sein Handy ausgeschaltet und hält sich versteckt.

Bestechung Russland Schüler

Für 40.000 Rubel schreiben russische Lehrer die Abschlussarbeiten ihrer Schüler auch selbst.

(Foto: iStock)

Keiko hat im südrussischen Gebiet von Rostow einen Skandal aufgedeckt, über den ganz Russland spricht. Und er wollte doch nur, dass alles ehrlich zugehe. Etwa 30 Lehrer einer Rostower Schule stehen im Verdacht, dass sie gegen Bestechungsgeld die Abschlussarbeiten für ihre Schüler selber absolviert und den Prüflingen die richtigen Antworten zugeschoben haben.

Angeblich erhielten sie 40.000 Rubel pro Examen, etwa tausend Euro. Bitterböse stellte die Nachrichtenagentur Interfax fest, dass der mutmaßliche Drahtzieher der Affäre nach aufgedeckter Tat selber den Stresstest nicht bestanden habe und nun mit einer Herzkrankheit in einer Klinik liege.

Rostow ist nur das griffigste Beispiel einer Serie, die offenbar weite Teile Russlands umspannt. Im Gebiet Woronesch haben Mitarbeiter der Prüfkommission Schülern bei den Mathetests geholfen, in Astrachan entdeckte die Miliz einen Lehrer, der gerade die richtigen Lösungen aufschrieb. Ähnliche Fälle wurden auch aus Tatarstan gemeldet, aus Burjatien und Krasnojarsk.

Korruption im Bildungssystem

Die nationale Debatte wird deshalb so heftig geführt, weil sie an der neuen russischen Bildungspolitik rüttelt. Denn vor einem Jahr hatte Russland das Einheitsabitur eingeführt und ausdrücklich darauf gesetzt, dass mit ihm endlich ein großes Problem gelöst werde. "Dieses System wendet sich gegen die Korruption", sagte Präsident Dmitrij Medwedjew zu Beginn des Schuljahres in einer Rede an das Volk. "Es macht den Prozess der Prüfungen transparenter und gleicht die Schüler in den Provinzen denen in den Großstädten an."

Denn bisher war es so: Reichlich Bestechungsgeld floss vor allem bei der Vergabe begehrter Studienplätze an den Universitäten und Hochschulen. Diese verlangten eine persönliche Aufnahmeprüfung. Doch Schüler, die aus Tausenden von Kilometern entfernten Provinzen nach Moskau oder St.Petersburg anreisen mussten, hatten kaum Chancen im Vergleich zu den zahlungsbereiten und gut vernetzten Großstadt-Konkurrenten. Das sollte sich mit dem Einheitsexamen ändern. Nur hatte sich die Regierung das Ergebnis etwas anders vorgestellt.

Von der Uni an die Schulen

Nach einem Bericht aus dem Innenministerium hat sich der Umfang der Bestechung seit Beginn der Reform sogar erhöht, im Schnitt auf 20.000 Rubel (etwa 500 Euro) pro Fall. Die Korruption habe sich einfach verlagert, von den Universitäten auf die Schulen, schlossen die Autoren des Berichts. Während einer russischen Fernsehdebatte erklärte eine Mehrheit der Anrufer nun, dass das neue Examen nicht tauge, um die Korruption im Bildungssystem zu bekämpfen. Viele Russen wollen die Reform der Reform, der Glaube der Bevölkerung ist erschüttert.

Kremlchef Medwedjew sagte, was er wohl auf die Schnelle sagen musste: dass das System noch optimiert werden müsse. Wichtig sei ja schon mal, dass mit dem Einheitsexamen jeder russische Schüler an jede beliebige Universität gehen kann. An zehn Hochschulen in Moskau und St. Petersburg ist dies nicht so einfach: Sie verlangen eine Aufnahmeprüfung noch dazu.

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