Süddeutsche Zeitung

Ruhestand als Diskriminierung:Rente mit 80? Früh genug!

In vielen Industrieländern stöhnen die Menschen, weil das Rentenalter in schöner Regelmäßigkeit nach oben gesetzt wird. Nicht so ein 75 Jahre alter Professor aus München: Er hat sich durch alle Instanzen geklagt, weil er weiterarbeiten will, aber nicht darf. Das Bundesverwaltungsgericht in Leipzig gab ihm recht - denn eine generelle Altersgrenze verstößt gegen geltende Gesetzte.

Sibylle Haas und Wolfgang Janisch

Er empfand den Ruhestand als Diskriminierung und wollte weiterarbeiten - nun hat ein 75 Jahre alter Professor vom Bundesverwaltungsgericht recht bekommen. Die Altersgrenze für "öffentlich bestellte und vereidigte Sachverständige" verstößt gegen das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz von 2006. Die Industrie- und Handelskammer hatte für die Bestellung des Klägers als Sachverständiger bereits das Höchstalter von 71 Jahren ausgeschöpft, danach aber weitere Aufträge abgelehnt. Nun hat der Kläger - ein Experte für EDV im Hotelwesen - im zweiten Anlauf beim Bundesverwaltungsgericht in Leipzig doch noch Erfolg.

Das Leipziger Urteil (Az: 8 C 24.11) hat zwar keine direkten Auswirkungen auf die allgemeine Altersgrenze. Allerdings hat das Bundesverwaltungsgericht nun deutlich gemacht, dass jede Altersgrenze der Rechtfertigung bedarf. Dafür werden allerdings nur ganz bestimmte Gründe akzeptiert. Dazu zählt etwa, die Beschäftigung junger Menschen zu fördern oder eine ausgewogene Altersstruktur zu erreichen.

Die Lebenserwartung steigt

Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat 2010 akzeptiert, dass es in Deutschland und anderen Ländern ein Höchstalter gibt - als Ausdruck einer "Arbeitsteilung zwischen den Generationen". In Deutschland ist die Rente mit 67 soeben umgesetzt worden. Das ist unausweichlich: Heute leben hierzulande Männer vom gesetzlichen Renteneintritt an noch durchschnittlich 17 Jahre, Frauen fast 21. Bis 2050 wird die Lebenserwartung weiter steigen. Wenn nichts geschieht, brechen die Rentensysteme zusammen. Schon die aktuellen Erhöhungen gleichen nur aus, dass Jahrzehnte lang das Rentenalter in vielen Ländern gesenkt wurde. Der demographischen Entwicklung trügen sie nur bedingt Rechnung, warnt die OECD in ihrem jüngsten Bericht zur Alterssicherung in 42 Industrie- und Schwellenländern.

Daran, dass die Menschen länger arbeiten müssen, führt kein Weg vorbei. "Die Kunst wird es sein, Rahmenbedingungen dafür zu schaffen, dass mehr ältere Menschen eine passende Arbeit finden und behalten können", sagte die OECD-Rentenexpertin Monika Queisser bei der Präsentation des Berichts. Das bedeutet, dass die Arbeitsbedingungen auf die Bedürfnisse älterer Beschäftigter abgestimmt sein müssen. Dazu zählen flexible Arbeitszeiten, lebenslanges Lernen und Weiterbildung sowie verbesserte betriebliche Gesundheitsvorsorge.

Mehr Chancen als Risiken

Für viele Ökonomen bringt der demographische Wandel insgesamt mehr Chancen als Risiken. Thomas Straubhaar vom Hamburgischen Weltwirtschaftsinstitut (HWWI) sieht Europa an der Schwelle zu einem neuen, hoffnungsvollen Zeitalter stehen. Ulrich Walwei, der Vizedirektor des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit in Nürnberg, hält die politische Diskussion, die immer wieder hochschwappt, über "ein Zurückdrehen der rentenpolitischen Entscheidungen" für einen Fehler. Die Frühverrentung habe älteren Beschäftigten suggeriert, dass sie in den Firmen nicht mehr gebraucht würden. "Das ist total falsch gelaufen", sagt Walwei.

Durch den Fachkräftemangel wird die Nachfrage nach gut qualifizierten älteren Arbeitskräften weiter steigen", gab sich Bundesarbeitsministerin Ursula von der Leyen (CDU) bei der Vorlage des Berichtes über die Anhebung des Rentenalters auf 67 Jahre hoffnungsfroh. Dem Bericht zufolge hat sich seit dem Jahr 2000 der Anteil der Beschäftigten im Alter von 60 bis 65 Jahren von 20 auf mehr als 40 Prozent verdoppelt. Außerdem wurde die Anzahl der Arbeitslosen über 55 Jahren nahezu halbiert. Fast jeder zweite 50- bis 65-Jährige ist momentan sozialversicherungspflichtig beschäftigt, geht aus Zahlen der Bundesagentur für Arbeit hervor. Ältere Mitarbeiter sind wertvoll, und sie werden immer wertvoller. Sie heute abzuschieben, bedeutet, teuer erworbene Erfahrung zu verschleudern.

Das Argument, dass Jüngere für einen Beruf besser geeignet sind als Ältere, zähle nur dann, wenn der Einsatz jüngerer Menschen aus Sicherheitsgründen notwendig sei oder wenn ein Beruf besondere Anforderungen stelle, die man ab einem gewissen Alter nicht mehr erfüllen kann, urteilten die Leipziger Richter. Der allgemeine Verweis auf nachlassende Leistungsfähigkeit dagegen rechtfertige keine Zwangsverrentung - zumal Sachverständige im Fünf-Jahres-Turnus bestellt werden. Daher könne ihre Eignung jeweils erneut überprüft werden.

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SZ vom 02.02.2012/wolf
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