Rückkehr nach Burn-out:Jetzt mal langsam

Überstunden in Deutschland

Computer und Smartphone sorgen für ständige Erreichbarkeit. Viele Arbeitnehmer verspüren daher Stress.

(Foto: Oliver Berg/dpa)

Zurück in den Job nach dem Burn-out: Die Wiedereingliederung soll Schritt für Schritt gelingen. Doch auch die Einstellung zur Arbeit muss sich ändern.

Von Nicola Holzapfel

Verena Gees wertet es als Alarmzeichen: "Heute war ich eineinhalb Stunden länger im Büro als geplant", sagt die Grafikerin aus Berlin. Für viele Berufstätige ist es normal, Überstunden zu machen. Doch Gees kehrt gerade in ihren Job zurück, nachdem sie ein Dreivierteljahr wegen Burn-out krankgeschrieben war. Nun soll sie lernen, selbst Grenzen zu setzen. So hat sie es mit ihrer Therapeutin besprochen.

Wer wie Gees länger als sechs Wochen krank war, hat das Recht auf ein sogenanntes Betriebliches Wiedereingliederungsmanagement (BEM). Dabei wird die Arbeitszeit über einen Zeitraum von mehreren Wochen schrittweise erhöht. Verena Gees fängt mit vier Stunden täglich an.

"Elf Prozent aller Ausfalltage gehen auf psychische Erkrankungen zurück", sagt Ralf Stegmann von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin in Berlin und liefert Zahlen im Stakkato: Wer psychisch krank ist, wozu auch Burn-out zählt, fehlt deutlich länger als bei körperlichen Erkrankungen - im Schnitt 28 Tage. Weil die Fehltage wegen psychischer Erkrankungen seit Jahren steigen, hat die mittlere Dauer der Krankschreibungen seit 2001 um ein Drittel zugenommen. Im Jahr 2013 hatte fast jede zweite Frühverrentung psychische Ursachen. Auch die Kosten von Arbeitsunfähigkeit wegen psychischer Leiden und damit verbundene Produktivitätsausfälle lassen sich beziffern: 8,2 Milliarden Euro pro Jahr in Deutschland.

In Wirtschaft, Politik und Forschung ist das Problem angekommen. Studien und Initiativen beschäftigen sich damit. Doch in der Praxis tun sich Unternehmen schwer, wenn Mitarbeiter aus psychischen Gründen ausfallen. "Oftmals fehlt das Knowhow. Psychische Erkrankungen stellen für die Betriebliche Wiedereingliederung eine besondere Herausforderung dar", sagt Stegmann, der gerade einen Praxisleitfaden für Betriebe erarbeitet.

Verena Gees sagt, sie sei herzlich aufgenommen worden. Doch niemand hätte sich erkundigt, was die Ursachen für ihren Burn-out gewesen seien. Dabei habe es in der Firma bereits mehrere Burn-out-Fälle gegeben. Fragt man sie schließlich nach dem Warum, sucht sie nach Worten. Am Beruf liege es nicht, der mache ihr Spaß. Sie ist Art-Direktorin, Mitte vierzig, hat mehrere Magazine verantwortet. "Wäre ich nicht in dieser Position gewesen, wäre das nicht passiert", sagt sie.

"Ich weiß nicht, wohin mich das führt"

Je länger sie erklärt, desto klarer wird: Es lag an den Kennzahlen aus dem Controlling, die vorgaben, wie sie ihre Arbeit machen sollte, und die ihren eigenen Qualitätsanspruch konterkarierten, nämlich mit möglichst wenigen Mitarbeitern und in der Hälfte der eigentlich notwendigen Zeit ihr Ziel zu erreichen. "Wahrscheinlich hätte ich öfter ablehnen sollen - oder klarer Nein sagen."

Die Rückkehr in den Job nach einer psychischen Erkrankung sei mitunter wie eine "Achterbahnfahrt für die Betroffenen", sagt Stegmann von der Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin. "Es muss ein Lernprozess stattfinden. Die Rückkehrer müssen eine größere Distanz zur Arbeit aufbauen, vielleicht ihren Anspruch herunterfahren. Das wird als emotionale Schwerstarbeit erlebt." Verena Gees denkt viel darüber nach, welchen Stellenwert die Arbeit in ihrem Leben hatte, die Anerkennung, auch in Form von Preisen, die sie bekam, das gute Gehalt. "Heute kommt es mir vor, als wäre ich die letzten 30 Jahre im dritten Gang 180 gefahren."

Ralf Stegmann sagt, dass die Rückkehr nach einer psychischen schwieriger als nach einer körperlichen Erkrankung, aber durchaus machbar sei. "Oft wird die stufenweise Wiedereingliederung rein funktional gehandhabt mit einer langsamen Steigerung der Arbeitszeit", erklärt er. "Aber viel wichtiger ist es, schrittweise die Arbeitsanforderungen an die Leistungsfähigkeit anzupassen und das im Detail zu planen und abzustimmen." Nötig sei die Schulung von Führungskräften, vor allem der direkten Vorgesetzten, die bei der Wiedereingliederung als Schlüsselfiguren fungieren, aber auch die Vernetzung von medizinischen und therapeutischen Experten mit dem betrieblichen System.

Viele Rückkehrer empfinden den Wiedereinstieg als Spießrutenlauf. Das hat mit der Stigmatisierung zu tun, von der Betroffene und Psychologen erzählen, sie gilt gar als zweite Erkrankung und gefährdet den Rückkehrprozess, weil sie Ängste auslöst. Das ist auch der Grund, warum Verena Gees ihren wirklichen Namen nicht veröffentlicht sehen will. Stegmann, der so viele Studien und Statistiken zum Thema kennt, muss bei einer Zahl passen: Wie viele halten eine betriebliche Wiedereingliederung nach einer psychischen Erkrankung durch? "Dazu gibt es keine verlässlichen Zahlen", sagt er. Die hohe Arbeitslosigkeit unter den Betroffenen deutet darauf hin, dass die Rückkehr oft scheitert. 50 Prozent der Menschen mit einer psychischen Erkrankung mit schwerem oder chronischem Verlauf haben keine Arbeit.

"Die beste stufenweise Wiedereingliederung nützt wenig, wenn die gesundheitsgefährdenden Arbeitsbedingungen nicht erkannt und verbessert werden", sagt Stegmann. Für Verena Gees ist es eine Rückkehr "in ein System, das nicht zu mir passt". Sie ist unsicher, ob die Wiedereingliederung gelingen wird. Einerseits sagt sie: "Ich glaube schon, dass ich das schaffen kann." Etwas später: "Ich weiß nicht, wohin mich das führt. Open End."

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