Berufsunfähigkeitsversicherung:Sieben Irrtümer und ein Bandscheibenvorfall

Gerade war noch alles gut, dann kommt die schwere Krankheit - und plötzlich war's das mit dem Arbeiten. Da hilft die Berufsunfähigkeitsversicherung. Sie gilt als unverzichtbar, doch nur jeder Fünfte hat einen Vertrag. Warum eigentlich?

Alina Fichter

Kaum ein Deutscher kann sie leiden. Warum das so ist, verstand bisher niemand, selbst Versicherer und Verbraucherschützer sind sich einig: Jeder braucht sie, die Berufsunfähigkeitsversicherung (BU). Trotzdem hat hierzulande nur jeder Fünfte einen Vertrag. Eine Studie des Meinungsforschungs-Instituts TNS Infratest und der Continentale deckt die Gründe dafür auf.

Kein Grund zur Panik: Bandscheibenvorfälle heilen oft von selbst

Nach einem schweren Bandscheibenvorfall ist es nahezu unmöglich, an eine Berufsunfähigkeitsversicherung zu kommen.

(Foto: dpa-tmn)

1. Ich bin doch geschützt

Die häufigste Fehleinschätzung ist die fatalste: Beinahe drei Viertel der Deutschen wiegen sich in Sicherheit, obwohl sie es nicht sind. Sie vertrauen auf ihre Unfall- oder Lebensversicherung. "Aber nur die Berufsunfähigkeitspolice bietet einen angemessenen Schutz für Menschen, die nicht mehr arbeiten können", sagt Thorsten Rudnik vom Bund der Versicherten (BdV). Nur wer sie hat, bekommt von seiner Versicherung, wenn nötig, über Jahrzehnte hinweg eine monatliche Rente ausbezahlt.

2. So schlimm kann es nicht sein

Jeder kennt ihn, diesen Frührentner, der morgens gemütlich in der Sonne frühstückt, während man selbst zur Bahn eilt. Ob er der Grund ist, dass 38 Prozent der Deutschen glauben, ihr Leben verlöre nicht an Qualität, wenn sie nicht mehr arbeiten könnten? Für Edda Castelló von der Verbraucherzentrale Hamburg ein Irrtum: "Wer seinen Job nicht mehr ausüben kann, ist schnell in seiner Existenz bedroht", sagt sie. Das Familieneinkommen ist weg, die Kredite für Haus und Auto laufen weiter. Wer soll das bezahlen? "Der alte Lebensstandard kann nicht annähend aufrecht erhalten werden", so Castelló. Außer, die BU sorgt für eine angemessene Rente.

3. Die Police ist viel zu teuer

Über die Hälfte der Befragten nannte als Grund, der gegen eine BU spricht: zu teuer; das Geld wolle man lieber für anderes ausgeben. Nun ist zwar richtig, dass die BU nicht zu den günstigsten Policen zählt. Aber es gibt eine Zahl, die den Preis ihrer Prämien in das richtige Verhältnis setzt: Wird ein Mann Mitte 20 berufsunfähig, etwa durch einen Unfall, muss er bis zur Rente Einnahmeausfälle von über einer Million Euro verkraften; je nachdem, welchen Job er hatte, kann es sogar deutlich mehr sein. Er steht dann nicht nur vor der Frage: Wie werde ich wieder gesund? Sondern auch vor dem Problem: Wovon soll ich jetzt leben?

4. Mich erwischt es nicht

Niemand denkt gerne daran, schwer krank zu sein. Manche geben sich gar der Illusion hin, Unglück geschehe nur den anderen, ihnen selbst könne nichts passieren. Die Hälfte der Deutschen denken so - eine Fehleinschätzung. Jeden fünften erwischt es doch. Er scheidet frühzeitig aus dem Berufsleben aus, weil der Körper oder die Seele den Alltag nicht mehr mit machen. Nur selten ist ein Unfall schuld, meist sind Krankheiten die Ursache für Berufsunfähigkeit; immer häufiger sind es psychische.

5. Die Versicherung zahlt nicht

Beinahe drei Viertel sind überzeugt, dass es so läuft: Erst zahlt man Beiträge, und wird man dann berufsunfähig, springt die Versicherung nicht ein. 41 Prozent denken, bei einem selbst verschuldeten Unfall zahle sie nicht. Das ist falsch. Es gibt grundsätzlich nur äußerst wenige Ausnahmen, in denen die Unternehmen keine Rente zahlen: wenn sich der Versicherte etwas vorsätzlich verletzt. Wichtig ist allerdings, die Gesundheitsfragen vor Abschluss wahrheitsgemäß zu beantworten. Andernfalls kann es später wirklich zu Problemen kommen.

6. Der Staat sorgt für mich

Früher war nicht alles besser, aber manches: Bis 2001 war die BU noch Teil des gesetzlichen Schutzes. Doch die Zeiten sind vorbei. Zwar gibt es noch eine sogenannte staatliche Erwerbsminderungsrente. "Aber ist die so gering und der Zugang so schwer, dass niemand mit ihr rechnen sollte", sagt Experte Rudnik. Verbraucher müssen sich also selbst kümmern und eine private Versicherung abschließen. Trotzdem vertrauen noch 22 Prozent auf die Regierung.

7. Ich bin zu alt - und ich zu jung

Es gibt noch jene 41 Prozent, die sich gerne versichern würden, es aber sein lassen, weil sie sich für zu jung oder zu alt halten. Tatsächlich gilt: Je älter jemand ist, desto mehr Vorerkrankungen hat er meist hinter sich. Und je mehr Malaisen festgestellt wurden, desto schwieriger ist es, eine Police zu bekommen. Wer einen Bandscheibenvorfall erlitt, bekommt wohl keine BU mehr oder nur gegen Risikoaufschlag. "Wer jung ist, kommt leichter und günstiger an eine Police", sagt Rudnik. "Zu jung", so der Experte, "ist eigentlich niemand."

Dieser Beitrag hat im Netz eine Diskussion ausgelöst. Lesen Sie dazu auf der folgenden Seite die Stellungnahme unserer Autorin und die Antworten des Nachdenkseiten-Autors Jens Berger. Die ursprüngliche Überschrift haben wir durch die Originalversion aus der Süddeutschen Zeitung ersetzt.

Zur Debatte über diesen Beitrag

Stellungnahme der Autorin

1. Anders als Sie es darstellen habe ich den Text überschrieben mit: "Sieben Irrtümer und ein Bandscheibenvorfall" - und genau das war Thema: Warum Verbraucherschützer die Berufsunfähigkeitsversicherung für unverzichtbar halten - und trotzdem nur jeder Fünfte einen Vertrag hat.

Antwort Jens Berger: Liebe Frau Fichter, in der Online-Version ihres Artikel steht nicht "Sieben Irrtümer und ein Bandscheibenvorfall", sondern "Sieben Irrtümer und die Wahrheit dahinter". Das ist ein kleiner, aber nicht eben unbedeutender, Unterschied.

Der Bandscheibenvorfall sollte schon andeuten: Nicht jeder bekommt eine Versicherung - der mit Bandscheibenvorfall schon mal nicht. Im Text greife ich das erneut auf: "Je mehr Malaisen festgestellt wurden, desto schwieriger ist es, eine Police zu bekommen. Wer einen Bandscheibenvorfall erlitt, bekommt wohl keine BU mehr oder nur gegen Risikoaufschlag." Offensichtlich haben Sie eine Onlineversion meines Textes gelesen, in der mein Titel verändert worden war.

Antwort Jens Berger: Das ist anscheinend der Fall. An diesem Satz ist ja auch gar nichts auszusetzen. Es wäre jedoch für den Leser sicher nicht uninteressant gewesen, dass Ablehnungen durch den Versicherer keinesfalls selten sind, sondern mit 200k pro Jahr eine durchaus relevante Zahl darstellen. Weiterhin wäre es durchaus möglich gewesen, hier die Frage aufzuwerfen, ob es nicht dem Grundprinzip der kollektiven Risikoübernahme widerspricht, wenn Risiken in einem derartigen Maßstab aussortiert werden. Diese Fragen stellen Sie nicht, bei Ihnen überwiegt das Pro und Contra-Argumente finden sich, wenn überhaupt, am Rand. Das ist ok und letztlich Ihre Entscheidung (bzw. die der Redaktion), aber dann müssen Sie Sich selbstverständlich auch Vorwürfe wegen der mangelnden Ausgewogenheit gefallen lassen.

2. Folgende Aussagen haben Sie aus dem Zusammenhang gerissen: "Jeder braucht sie" ist kein Satz, den ich mir zu eigen mache - davor steht der Satz: "selbst Versicherer und Verbraucherschützer sind sich einig: Jeder braucht sie, die Berufsunfähigkeitsversicherung (BU)". Dass beide Parteien mit "jeder" nicht Hartz IV-Empfänger meinen, die derzeit keinen Beruf ausüben, dürfte den Lesern klar sein.

Antwort Jens Berger: Aber den wenigsten Lesern dürfte klar sein, dass sich diese Einschränkung auch auf Niedriglöhner ausweiten lässt.

3. Eine weitere Textpassage, die Sie aus dem Zusammenhang reißen, ist folgende: "Beinahe drei Viertel sind überzeugt, dass es so läuft: Erst zahlt man Beiträge, und wird man dann berufsunfähig, springt die Versicherung nicht ein. 41 Prozent denken, bei einem selbst verschuldeten Unfall zahle sie nicht. Das ist falsch. Es gibt grundsätzlich nur äußerst wenige Ausnahmen, in denen die Unternehmen keine Rente zahlen: wenn sich der Versicherte etwa vorsätzlich verletzt." Die beiden darauf folgenden Sätze lauten: "Wichtig ist allerdings, die Gesundheitsfragen vor Abschluss wahrheitsgemäß zu beantworten. Andernfalls kann es später wirklich zu Problemen kommen." Recht geben möchte ich Ihnen hierbei mit der Anmerkung, dass ich diese Kritik noch hätte ausbauen und verschärfen sollen. Die Probleme der BU greife ich immer wieder in Texten auf. Dazu gehört vor allem, dass viele Menschen von Versicherern abgelehnt werden oder die Unternehmen im Ernstfall nicht zahlen. Einen solchen Menschen habe ich diese Woche bereits getroffen, um daraus meine nächste Geschichte über die BU zu machen.

Antwort Jens Berger: Das ist ein ehrenwertes Anliegen.

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