Man muss ja immer genau sein mit juristischen Entscheidungen, deshalb vorab folgendes: Nein, der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat nicht gesagt, Betriebe dürften muslimischen Arbeitnehmerinnen das Tragen von Kopftüchern untersagen. Jedenfalls nicht als plumpe Anordnung nach dem Motto: Wer mit Kopftuch kommt, fliegt raus.
Unternehmen dürfen nach dem Urteil fortan aber sagen, sie wollten einfach nur ein weltanschaulich neutrales Bild abgeben, weshalb fortan das Tragen weltanschaulicher Symbole im Betrieb untersagt sei. Das gilt dann für Katholiken und Protestanten, für sektiererische Glaubensbrüder und sogar für Fundamental-Atheisten. Und ja, halt auch für Muslime.
Es ist der schmale Grat der Diskriminierung, auf dem sich die beiden Urteile des EuGH bewegen. Ein Fall stammt aus Belgien, dort geht es um eine Rezeptionistin, die ihren Dienst schon einige Jahre ohne Kopfbedeckung verrichtet hatte, als sie 2006 ankündigte, nunmehr aus Glaubensgründen mit Kopftuch zur Arbeit zu kommen. Bis dahin hatte es lediglich eine ungeschriebene Regel zur Neutralität am Arbeitsplatz gegeben, doch im Zuge der Auseinandersetzung mit der Frau erließ das Unternehmen eine neue Arbeitsordnung, gebilligt vom Betriebsrat: Keine "sichtbaren Zeichen" politischer, philosophischer oder religiöser Überzeugung am Arbeitsplatz. Die Frau wurde entlassen.
Ob es dabei bleibt, ist nach dem EuGH-Urteil zwar noch nicht ganz sicher. Möglicherweise war die Neutralitätsregel nur nachgeschoben, um die Kündigung zu rechtfertigen, vielleicht gäbe es auch einen Arbeitsplatz ohne Kundenkontakt - mag sein, dass die Frau vor den belgischen Arbeitsgerichten am Ende gewinnt. Im Einzelfall ist also womöglich ein Sieg drin. Generell aber hat der EuGH die Tür für Kopftuchverbote am Arbeitsplatz aufgestoßen, wenn sie nur allgemein genug formuliert sind. Und dies, obwohl der EuGH durchaus ahnt, dass sich hinter einem hehren Bekenntnis zur Neutralität auch eine "mittelbare Diskriminierung" von Muslimen verbergen kann.
"Der Wunsch eines Arbeitgebers, den Kunden ein Bild der Neutralität zu vermitteln, gehört zur unternehmerischen Freiheit" - geschützt auch durch die EU-Grundrechtecharta, schreibt der Gerichtshof. Dieses Ziel rechtfertige Verbote weltanschaulicher Symbole insbesondere dann, wenn sie nur für Arbeitnehmer gälten, "die mit den Kunden in Kontakt treten sollen".