Religionsfreiheit an Schulen:Beten erlaubt

Schüler können ihre Identität und ihren Glauben nicht einfach an der Pforte abgeben. Deshalb müssen andere Eltern es ertragen, wenn sich ein Kind in der Schule gen Mekka wendet.

Tanjev Schultz

Schulen sind keine Kirchen und auch keine Moscheen. Wer eine staatliche Schule besucht, darf keine religiöse Einkehr erwarten. Der Glaube kann im Schulleben eine Rolle spielen, aber Lehrer und Behörden müssen darauf achten, dass sie das Gebot weltanschaulicher Neutralität nicht verletzen. Haben die Berliner Richter also in einem Anfall multikultureller Schwärmerei das Grundgesetz missachtet, als sie einem muslimischen Schüler das Recht zusprachen, einmal am Tag in der Schule zu beten? Haben sie die Prinzipien eines liberalen Bildungssystems verraten? So mögen es jene sehen, denen die Religionsfreiheit immer dann lästig wird, wenn Muslime sie beanspruchen. In Wahrheit haben die Richter Liberalität bewiesen. Sie haben die Religionsfreiheit beschützt, ohne am Neutralitätsgebot zu rütteln.

Religionsfreiheit an Schulen: Muslime beim Gebet: Nach einem Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts muss eine Berliner Schule muslimischen Schülern eine Gebetsstätte bereitstellen.

Muslime beim Gebet: Nach einem Urteil des Berliner Verwaltungsgerichts muss eine Berliner Schule muslimischen Schülern eine Gebetsstätte bereitstellen.

(Foto: Foto: Reuters)

Schon im vergangenen Jahr, als die Richter in einem Eilbeschluss das Gebet vorläufig erlaubten, war das Geschrei groß: Erst bauen die Muslime mitten in Deutschland Moscheen - und dann wollen sie auch noch die Schulen in Gebetsflächen verwandeln! Die Empörung ist aber überhaupt nicht angebracht. Das Gericht hat lediglich klargemacht, dass es das gute Recht des Schülers ist, sich in der Unterrichtspause eine stille Ecke zu suchen, um zu beten.

Mehr als Unterrichtsvollzugsanstalten

Von der Schule kann man nicht verlangen, dass sie ihren Betrieb dem Ritus einer Glaubensgemeinschaft unterwirft. Man kann auch nicht verlangen, dass sie speziell hergerichtete Gebetsräume bereitstellt (die es, als höfliches Angebot, in vielen Krankenhäusern durchaus gibt). Verlangen kann man aber, dass die Schule die Religionsausübung toleriert, solange sie den Schulfrieden nicht gefährdet und den Unterricht nicht beeinträchtigt. Verlangen kann man außerdem, dass den Schülern ein muslimischer Religionsunterricht ermöglicht wird (es sei denn, es gäbe auch keinen katholischen und evangelischen).

Das Neutralitätsgebot verlangt nicht, dass Schüler ihren Glauben verleugnen; sie können ihre Identität ja nicht an der Pforte beim Hausmeister abgeben. Schulen sind mehr als Unterrichtsvollzugsanstalten, es sind Lebensräume und Orte der Begegnung, in denen die Jugendlichen viel Zeit verbringen. Da werden sie es ertragen müssen, wenn sich ein Mitschüler, ohne viel Aufhebens zu machen, gen Mekka wendet. Sie können es ja dennoch befremdlich finden, dass er das Gebet für so unaufschiebbar hält (und sicher muss man zunächst prüfen, ob das einem innigen Glauben entspringt oder nur einer Lust an der Provokation). Wer Toleranz übt, darf ruhig den Kopf über diese Art der Frömmigkeit schütteln. Als wirklich tolerant erweist man sich ja erst, wenn man Anstoß nimmt am Verhalten des anderen - es aber doch so weit respektiert, dass man ihn gewähren lässt.

Schulfrieden in Gefahr

Druck auf muslimische Kinder

Toleranz darf allerdings nicht zum Inbegriff für Naivität werden. Die Schule muss sich schützen vor Eiferern und Missionaren. Sie kann einem Schüler das Gebet nur erlauben, wenn er selbst zur Toleranz bereit ist. So vernünftig die Richter entschieden haben: In der Praxis können sich schnell neue Probleme ergeben, bei denen wieder abgewogen werden muss, wie weit die Religionsfreiheit reicht und wann der Schulfrieden in Gefahr ist. Entsteht Druck auf muslimische Kinder, die bisher nicht gebetet haben, es ihren Mitschülern gleichzutun? Was geschieht, wenn die Mehrheit der Schüler Muslime sind - soll man es dulden, dass sie Massengebete in der Aula abhalten?

Das Recht der freien Religionsausübung darf niemand überdehnen. In einer pluralistischen Gesellschaft ist nicht nur Toleranz gefragt. Rücksichtnahme und Sensibilität für den richtigen Ort und Zeitpunkt eines Bekenntnisses sind genauso wichtig. In den Schulen müssen die Spannungen, die zwischen verschiedenen Gruppen und zwischen verschiedenen Rechten, Pflichten und Tugenden bestehen, immer wieder mühevoll ausgeglichen und gelöst werden. Die Gerichte können ihnen das nicht abnehmen.

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