Reinigen zur Entspannung:Anstatt Feierabendbier: Einmal putzen beim Kollegen

Putzen als Ganzkörperbewegung und Entspannungsritual: Eine Ethnologin aus der Schweiz will das Schrubben aus der Schmuddelecke holen und fordert Wischpartys nach Feierabend.

Viola Schenz

Ach, der Arbeitstag, ein ewig' Elend, von morgens bis abends: Wecker läutet zu früh, S-Bahn kommt zu spät, Kollege A zickt, Chef meckert, Computer stürzt ab, Kantinensuppe schmeckt nicht, Konferenzen dauern zu lange, Kollege B mault, Spam-Mails rauben letzten Nerv, Klimaanlage rötet die Augen, Bahnhof saukalt, S-Bahn knallvoll. Mit solchen Altlasten kehrt man in die Wohnung zurück und erblickt: Wollmäuse, die über das Parkett huschen. Pfannen, die neben der Spüle verkrusten. Krümel, die den Esstisch clusterartig bevölkern. Soll ich mich darum jetzt auch noch kümmern müssen, fragt sich der eh schon geschundene Büromensch?

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Dieser Mönch putzt ohne die Anweisungen der Trainerin: "Halten Sie Ihren Körper im Lot! Fühlen Sie sich wie ein König! Benutzen Sie beide Arme!"

(Foto: dpa)

Ja, sagt Katharina Zaugg. Putzen sei mehr als nur saubermachen: "Es hat einen hohen Wellness-Faktor, weil man dabei entspannen und neue Lebensenergien gewinnen kann." Hehre Worte für profanes Tun. Wäre joggen nach der Büroplackerei nicht sinnvoller? Oder Yoga? Oder ins Kino gehen? Sicher, meint Zaugg, aber wer sein Zuhause achtsam und bewusst reinige, schärfe nicht nur seine fünf Sinne, sondern trainiere auch den Körper bewegungsresistenter Bürohocker.

Die Schweizerin ist Ethnologin, seit mehr als 20 Jahren erforscht sie aber hauptsächlich "postmodernes Raumpflegeverhalten", schreibt Bücher zu dem Thema, hält Vorträge und hat einen Pionierbetrieb namens "Miteinand Putzen" in Basel gegründet. Das alles, um den Mitteleuropäern das Putzen schmackhaft zu machen. Denn: 94 Prozent der Deutschen putzen nicht gerne, hat die Gesellschaft für Konsumforschung in Nürnberg gerade ermittelt. Dennoch machen 70 Prozent selber sauber. Für die meisten muss das Putzen im eigenen Heim also eine Art Selbstkasteiung sein.

"Ich erinnere mich, wie in meiner Kindheit das halbe Dorf zum Großreinemachen ins Haus kam - naja, die Frauen halt", erzählt Zaugg, "dann wurde gemeinsam geschrubbt und gewienert." Und selbstverständlich habe man sich bald darauf bei den Nachbarn revanchiert - mit putzen. Kaum etwas stärke das Gemeinschaftsgefühl besser als gemeinsames Arbeiten. "Solche gemeinsame Hausarbeit findet sich nur noch in wenigen Kulturen, in Nordafrika zum Beispiel", sagt Zaugg.

Der Grund, zumindest im Fall der Deutschen: Nur acht Prozent wollen andere an ihrem Schmutz teilhaben lassen und ebenso wenig den Schmutz anderer beseitigen. Doch Zaugg ist da gnadenlos: Sie plädiert für Putzpartys mit Freunden, Verwandten, guter Musik und einem Glas Prosecco zwischendurch als Belohnung. In den USA sei das bereits ein Trend - nun, vielleicht auch, weil sich viele finanzkrisengeschüttelte Amerikaner keine Putzhilfe mehr leisten können.

Und dann zückt die Wissenschaftlerin zwei Schwämme und demonstriert den Entspannungsfaktor. Putzen solle man als Ganzkörperbewegung begreifen. "Halten Sie Ihren Körper im Lot, fühlen Sie sich wie ein König, lassen Sie keinen Energieraub zu", so ihre esoterisch angehauchten Anweisungen: "Machen Sie weit ausholende Bewegungen, benutzen Sie beide Arme und Hände."

Rechtshänder sollten mit links putzen und umgekehrt, das stimuliere die andere Hirnhälfte. Zauggs Anliegen ist es, das Putzen aus seiner Schmuddelecke zu holen. Putzen sei in diesen Breiten ein Tabu. Klar, wer gibt schon gerne zu, sich beim Staubwischen entspannen zu können. Allenfalls Isabella Rossellini. Sie mache leidenschaftlich gerne sauber, hat die Schauspielerin kürzlich gestanden. Doch Putzen bleibe bäh, das sehe man schon an den ultra-hässlichen Utensilien, meint Zaugg.

In dieser Hinsicht besteht allerdings Hoffnung: Auch Küchengerätschaften waren vor nicht allzu langer Zeit noch vor allem seelenlos funktional. Inzwischen konkurrieren Designerfirmen um die Hoheit über Kellen, Rührstäbe und Schneebesen. Bei den Saubersachen tut sich inzwischen auch was: Edelkehrschaufeln von Alessi, raffinierte Mehrschichtschwämme in Lilatönen von Scotch Brite. Und Katharina Zaugg merkt man die Putzexpertin eh nicht an: kurzer Grauhaarschnitt, schwarzer Rolli zu eleganter schwarzer Hose, knallrote Stola, zusammengehalten von einer goldenen Brosche. Stilvoll putzen, lautet ihr Motto. Zum Nachwischen streift sie sich schwarze Gummihandschuhe über, die in Spitze und einem Strassbesatz enden. Putzen sei eben nicht nur was für Leib und Seele, sondern auch fürs Auge.

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