Regelungen zum Arbeitskampf:Wer wann streiken darf

Das Recht zum Streik ist in der Verfassung verankert, zumindest indirekt. Dennoch fürchten viele Arbeitnehmer Repressalien, wenn sie auf die Straße gehen anstatt in den Betrieb. Welche Tücken beim Arbeitskampf lauern.

Von Ina Reinsch

Auf dem Schild, das Betriebsratsmitglieder während eines Streiks auf dem Betriebsgelände einer hessischen Firma hochhielten, stand: "Arschkriecher". Damit wollten sie arbeitswillige Kollegen provozieren. Das stieß den Betroffenen und der Firmenleitung sauer auf. Man wollte durchgreifen. Die fristlose Kündigung der Rädelsführer schien gerade recht zu sein. Der Fall landete vor dem Landesarbeitsgericht, und dort entschied man, dass allenfalls eine Abmahnung angemessen gewesen wäre: Während eines Arbeitskampfes sei die Stimmung emotional aufgeladen, das müsse die Firmenleitung berücksichtigen, urteilten die Richter.

"Tarifverhandlungen ohne das Recht zum Streik wären nicht mehr als kollektives Betteln", befand das Bundesarbeitsgericht schon 1980 in einem Grundsatzurteil. Dass das heute noch Gültigkeit hat, zeigen zahlreiche Arbeitskämpfe der vergangenen Zeit.

Mitarbeiter nutzen Streiks seit jeher, um ihren Forderungen im Rahmen von Tarifverhandlungen Nachdruck zu verleihen. Arbeitgeber jedoch greifen Streiks mit juristischen Mitteln an und versuchen sie, als unzulässig verbieten zu lassen. Das rechtliche Minenfeld ist groß. Dabei stellt sich immer wieder die Frage: Wer darf eigentlich streiken - und welche Mittel sind dafür erlaubt?

"Nicht gewerkschaftlich organisierte Streiks sind wilde Streiks"

Eine gesetzliche Regelung des Arbeitskampfes gibt es in Deutschland nicht - und doch findet sich eine juristische Grundlage: Das Recht zum Streik ist in der Verfassung verankert. Artikel neun Absatz drei des Grundgesetzes schützt die Koalitionsfreiheit. Davon sind auch Streiks erfasst. Weitere Regeln haben sich im Laufe der Jahrzehnte durch die Rechtsprechung der Gerichte herausgebildet.

"Streiks sind danach nur dann erlaubt, wenn sie von einer Gewerkschaft getragen werden. Nicht gewerkschaftlich organisierte Streiks sind wilde Streiks, sie sind verboten", erklärt der auf Arbeitsrecht spezialisierte Anwalt Michael Felser aus Köln. Gestreikt werden dürfe erst nach Ablauf der sogenannten Friedenspflicht. "Das bedeutet, dass während der Laufzeit eines Tarifvertrages die Gewerkschaft keinen Arbeitskampf führen kann", sagt Felser.

Es gibt weitere Einschränkungen: So darf mit einem Streik kein Druck auf die Politik ausgeübt werden, bestimmte gesetzliche Vorgaben zu ändern. "Das geht deshalb nicht, weil der Arbeitgeber hier der falsche Adressat wäre", sagt Felser. Und es muss immer das letzte Mittel sein: ohne vorherige Verhandlung kein Streik.

Während Arbeitnehmer- und Arbeitgeberverbände um die großen Fragen streiten, beschäftigen die Mitarbeiter die Details. So hören Juristen und Betriebsräte immer wieder dieselben Fragen, etwa: "Darf ich auch streiken, wenn ich nicht Mitglied der Gewerkschaft bin?" Das dürfe man, sagt Jan Jurczyk von der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. Allerdings, gibt er zu bedenken, "gibt es für diese Mitarbeiter kein Geld, während Gewerkschaftsmitglieder eine Zahlung aus der Streikkasse erhalten." Überdies könnten Nicht-Gewerkschaftsmitglieder bei möglichen Streitigkeiten mit dem Arbeitgeber nicht auf den gewerkschaftlichen Rechtsschutz zurückgreifen.

Und was, wenn der Arbeitgeber grollt? Mitarbeiter müssen an sich keine Repressalien befürchten. "Der Arbeitgeber darf aus Anlass des Streiks weder abmahnen noch kündigen. Wenn er es dennoch tut, ist dies unzulässig", betont Rechtsanwalt Felser. Anders sieht es natürlich aus, wenn rechtswidrig gestreikt wird: "Dann muss man mit einer Abmahnung oder sogar Kündigung rechnen", warnt der Anwalt.

Doch was ist in diesem Fall eigentlich rechtmäßig? Das ist keineswegs immer eindeutig. So werden zwar Warnstreiks als zulässig angesehen. Bei Sympathiestreiks, also zur Unterstützung des Arbeitskampfes anderer Arbeitnehmer in einem anderen Tarifbereich, war das lange Zeit anders. Das galt als verboten. "Nach neuer Rechtsprechung sind sie nun grundsätzlich zulässig, solange sie, wie alle Streiks, nicht unverhältnismäßig sind", sagt Felser.

Auch Marietta Susko hatte zunächst Bedenken, als die Vereinte Dienstleistungsgewerkschaft Verdi im Frühjahr 2011 zu einem Warnstreik an der Charité aufrief. "Allerdings waren wir uns unter den Kollegen schnell einig, dass sich an unseren Arbeitsbedingungen und am Lohn nichts ändert, wenn wir nicht für unsere Rechte eintreten."

Die 28-Jährige, die ihren richtigen Namen nicht nennen möchte, arbeitet als Pflegekraft am Universitätsklinikum in Berlin. Sie sagt: "Dadurch, dass der Streik von der Gewerkschaft organisiert war, habe ich mir über die Rechtmäßigkeit eigentlich keine Gedanken gemacht. Ich habe mich eher gefragt, ob ich einen Vermerk in der Personalakte bekomme." Als sie allerdings gesehen habe, wie viele Kollegen sich beteiligten und wie groß die Unterstützung war, habe sie gewusst: "Da kann mir keiner was."

Wer nicht streiken darf

Das alles gilt nur für Arbeitnehmer, die bei einem privaten Arbeitgeber beschäftigt sind. Beamte etwa dürfen in Deutschland nicht streiken. Diese Ansicht ist nicht unumstritten. "So hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte entschieden, dass das Streikverbot nicht alle Beamten erfassen dürfe, sondern auf solche mit bestimmten hoheitlichen Tätigkeiten wie etwa Polizei und Soldaten beschränkt sei", sagt Nadine Burgsmüller, Fachanwältin für Arbeitsrecht aus Essen.

Darauf hatte sich bei einem Warnstreik eine deutsche Lehrerin berufen. Das Oberverwaltungsgericht Münster entschied jedoch Anfang 2012, dass die Menschenrechtskonvention im deutschen Recht nur den Rang eines einfachen Bundesgesetzes habe und sich deshalb am höherrangigen Grundgesetz messen lassen müsse (Az.: 3d A 317/11.O). "Danach steht Beamten mit Blick auf deren Treuepflicht gegenüber ihrem Dienstherrn kein Streikrecht zu. Und zwar unabhängig davon, welche konkrete Funktion der einzelne Beamte ausübt", sagt Burgsmüller.

Nun kämpfen auch Mitarbeiter kirchlicher Einrichtungen vermehrt um ihr Streikrecht. "Das hat seinen Grund darin, dass sich in einigen Einrichtungen von Diakonie und Caritas die Arbeitsbedingungen für die Mitarbeiter objektiv verschlechtert haben. Arbeiten werden ausgelagert, Mitarbeiter durch Leiharbeitnehmer ersetzt und Löhne gedrückt", erklärt Jurczyk von Verdi.

Kirchen haben ihr eigenes Arbeitsrecht

Das betrifft vor allem Mitarbeiter in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen. Und das sind nicht wenige: Die Kirchen sind mit 1,3 Millionen Beschäftigten Deutschlands zweitgrößter Arbeitgeber, 50.000 Unternehmen befinden sich in ihrem Eigentum. Unterstützt werden ihre Mitarbeiter von den Gewerkschaften, die die Kirchen zum Abschluss von Tarifverträgen bewegen möchten.

Davon wollten die Kirchen und die meisten ihrer Einrichtungen bisher jedoch nichts wissen. Denn Regelungen für kirchliche Mitarbeiter unterscheiden sich zum Teil vom übrigen Arbeitsrecht. Das verfassungsrechtlich verankerte Selbstbestimmungsrecht der Kirchen ermöglicht es ihnen, ein eigenes Arbeitsrecht zu erlassen.

Für fast alle bei den Kirchen und deren Sozialverbänden Beschäftigten gilt der sogenannte Dritte Weg. "Das bedeutet, Löhne und grundlegende Arbeitsbedingungen wie Arbeitszeiten und Sonderzahlungen werden von innerkirchlichen Gremien erarbeitet, die paritätisch aus den Reihen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber besetzt sind. Kommt es zu keiner Einigung, wird ein Schlichtungsverfahren durchgeführt." erklärt der Leiter des Kirchenrechtlichen Instituts der EKD, der Göttinger Staatsrechtler Hans-Michael Heinig. Ein paar Kirchen schließen dennoch Tarifverträge ab.

Streiks im kirchlichen Bereich waren bisher unzulässig. Nun hat das Bundesarbeitsgericht (BAG) Ende 2012 Grundsatzentscheidungen gefällt: Schließt die Kirche Tarifverträge ab, sind Streiks unzulässig (20.11.2012, Az.: 1 AZR 611/11). Im zweiten anhängigen Verfahren entschied das BAG, dass Gewerkschaften auch beim Dritten Weg nicht zu Streiks aufrufen dürfen (20.11.2012, Az.: 1 AZR 179/11). "Das gilt jedoch nur, soweit die Gewerkschaften in das Verfahren zur Findung der Arbeitsbedingungen eingebunden sind und das Verhandlungsergebnis für die Kirche als Mindestarbeitsbedingungen verbindlich ist", sagt Christoph Schmitz-Scholemann, Richter am BAG. Solange diese Grundsätze nicht erfüllt seien, dürfe gestreikt werden.

Inwieweit ein rechtmäßiger Streit von Erfolg gekrönt ist, hängt freilich nicht nur vom Streik selbst, sondern auch von den Verhandlungsführern ab. Letztlich ist der Streik nur der Weg und nicht das Ziel.

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