Rechtsanwälte:"Man muss eine gewisse Schamlosigkeit an den Tag legen"

Bevor die Akte angelegt wird, muss der Anwalt den Mandaten erst mal gewinnen.

Bevor die Akte angelegt wird, muss der Anwalt erst den Mandaten finden. Was er nicht darf: Opfern eines Verkehrsunfalls seine Visitenkarte zustecken.

(Foto: Alfred Schauhuber/imago)

Weil auf 500 Menschen in Deutschland ein Anwalt kommt, ist die Konkurrenz um Mandanten groß. Vier Juristen verraten, wie sie an ihre Fälle kommen.

Von Sigrid Rautenberg

Die Konkurrenz ist knallhart. Jedes Jahr steigt die Zahl der zugelassenen Rechtsanwälte in Deutschland, mittlerweile sind mehr als 160 000 bei den Anwaltskammern registriert. Auf 500 Bundesbürger kommt also ein Anwalt. Auch wenn einige ihre Zulassung nur noch auf dem Papier haben oder längst in anderen Berufen arbeiten, wird es immer wichtiger, sich von der Masse abzuheben und auf die eigenen Leistungen hinzuweisen.

"Als ich anfing, hatte ich genau null Mandanten", sagt Andreas Hohnel, "das war ein Sprung ins eiskalte Wasser." Nach seinem Studium arbeitete der Fachanwalt für Strafrecht drei Jahre lang angestellt, bevor er sich 2001 selbständig machte. Schon damals war die Konkurrenz groß. "Man muss rührig sein", sagt er. "Es reicht nicht, nur die Entscheidungen des Bundesgerichtshofs auswendig zu kennen. Meine Stärke ist, dass ich gut mit unterschiedlichen Leuten auskomme."

Hohnel lebt in einem Dorf in der Nähe von Limburg. Doch seine Mandanten suchte er woanders. Mitten im Frankfurter Bahnhofsviertel, berüchtigt für Drogenkriminalität und Prostitution, eröffnete er seine Kanzlei. Der promovierte Jurist zog durch Kneipen, knüpfte Kontakte und gab schon mal einen Rat über den Tresen hinweg. Er gewann das Vertrauen der Menschen, mit jeder Empfehlung wuchs sein Mandantenstamm. Als er schließlich eine ortsansässige Rockergruppe verteidigte, hatte er sich längst als Marke etabliert.

"Wo man sich aufhält, akquiriert man auch"

Mit dem Ziel, sich neue Mandantengruppen zu erschließen, schrieb Hohnel dann für einen renommierten Verlag ein Buch über Kapitalmarktstrafrecht. "Das war ein enormer Aufwand und dauerte mehrere Jahre. Aber mit dem Kommentar erweiterte ich meinen Bereich. Letztlich war das meine Eintrittskarte für Vorträge", erzählt der 50-Jährige. Er wurde angesprochen, ging nun mittagessen mit Frankfurter Bankern und zu Partys im Golfklub. Längst liegt sein Schwerpunkt auf Wirtschaftsstrafsachen. Sein wichtigstes Akquise-Rezept: "Rausgehen in die entsprechenden Kreise - denn wo man sich aufhält, akquiriert man auch", sagt Hohnel. "Und natürlich gute Arbeit leisten."

Um ihr Netzwerk zu erweitern, sind viele Anwälte erpicht darauf, Vorträge zu halten. Manche laden Mandanten und Interessenten zu Veranstaltungen ein, viele engagieren sich auch in der Politik, in Wirtschaftsverbänden oder Vereinen. Christine Nehls beispielsweise ist Anwältin für Familien- und Erbrecht. Anders als Anwälte, die Unternehmen beraten, kann sie nicht mit wiederkehrenden Mandaten rechnen: Ist die Scheidung durch oder der Erbfall geregelt, ist auch ihr Auftrag beendet.

Die Münchner Anwältin gründete einen gemeinnützigen Verein zum Thema Erben in Bayern, ist Mitglied in diversen beruflichen Netzwerken. Wie bei Hohnel ist auch bei ihr die Grenze zwischen Berufs- und Privatleben fließend: "Ich arbeite und akquiriere von halb acht morgens bis elf Uhr abends", sagt Nehls. Durch persönliche Bekanntschaften würden sich gute Mandate ergeben. Zudem investiert sie in Google-Werbung, sodass ihre Webseite schnell im Internet gefunden wird.

Nur wenige selbständige Anwälte machen Werbung im klassischen Sinn. Auch wenn sie es dürften: Denn entgegen landläufiger Meinung gibt es kaum mehr Einschränkungen, selbst Fotos oder Banner auf Sportveranstaltungen sind mittlerweile erlaubt. Komplett tabu war Werbung bis 1987. Damals erklärte das Bundesverfassungsgericht die Standesrichtlinien, die die Berufspraxis in vielerlei Hinsicht einschränkten, für verfassungswidrig. In der Folge musste das Berufs- und damit auch das Werberecht überarbeitet werden.

In der seit 1994 gültigen Formulierung klingt noch die Verbotszeit nach: "Werbung ist dem Rechtsanwalt nur erlaubt, soweit sie über die berufliche Tätigkeit in Form und Inhalt sachlich unterrichtet." So dürfen potenzielle Mandanten zum Beispiel nicht überrumpelt werden. Es ist deshalb verboten, dem Opfer eines Verkehrsunfalls ein Visitenkärtchen in die Hand zu drücken. Vor der Reform wären sogar die Messingschilder an der Kanzleitür vermessen worden, wenn sich ein Konkurrent beschwert hätte - zu groß galt als unsachlich und damit unzulässig.

Ein Anwalt verrät auf Youtube, was Lehrer nicht dürfen

Christian Dahns, Geschäftsführer bei der Bundesrechtsanwaltskammer, findet, dass das Berufsrecht der Rechtsanwälte den aktuellen Gegebenheiten etwas hinterherhinkt. Aktuell würde sogar diskutiert, die Einschränkungen ganz wegzulassen. Andererseits sei ein Anwalt aber auch kein normaler Gewerbetreibender und das Berufsprestige nicht zuletzt durch die Zurückhaltung noch recht gut. Mit reißerischer Werbung tue man sich ohnehin keinen Gefallen, die Verbraucher stoße das eher ab. Besser sei es, ihnen zu zeigen, dass man "ein unabhängiges Organ der Rechtspflege" sei, wie es im ersten Paragrafen der Berufsordnung heißt.

Christian Solmecke ist Anwalt für Medienrecht in Köln. In seinem Außenauftritt ist er ein eher ungewöhnliches Organ der Rechtspflege. Er betreibt einen Youtube-Kanal, der mittlerweile fast 260 000 Abonnenten hat. Wer in der Branche über das Thema Werbung spricht, kommt schnell auf ihn zu sprechen. Die Kanzlei führt Solmecke gemeinsam mit zwei Partnern und hat inzwischen 80 Mitarbeiter.

Seit 2009 schon ist Solmecke auf Youtube aktiv. Anfangs im Monatsrhythmus, stellt er inzwischen jeden Tag ein kurzes, an Privatleute gerichtetes Video zu Rechtsfragen online: Er verrät, wie man legal Musik runterlädt oder listet auf, was Lehrer nicht dürfen. Bei Verbrauchern kommt das gut an, bei vielen Anwaltskollegen weniger: "In der Anfangszeit wehte uns ein harter Wind ins Gesicht", sagt Solmecke. "Wir bekamen einige Abmahnungen und teilweise sogar einstweilige Verfügungen gegen unseren Kanal. Manchmal wurde uns vorgeworfen, Anwälte müssten sich in seriöser Zurückhaltung üben und dürften nicht so prominent auf vermeintlichen Jugendplattformen unterwegs sein."

Alle Angriffe konnte er abwehren. Inzwischen spricht Solmecke auf Kongressen über seine Social-Media-Aktivitäten und hat mehr als 1000 Kollegen im Social-Media-Marketing geschult. "Gerade die jungen Anwälte wissen, dass es längst nicht mehr ausreicht, sich ein Kanzleischild ans Haus zu hängen, um Mandanten zu akquirieren."

Früher machte der Kölner Anwalt von der Recherche bis zum Dreh alles selbst, mittlerweile kümmern sich zwei Mitarbeiter darum. Sein eigener Aufwand liegt bei acht Stunden wöchentlich. Doch anscheinend rechnet sich das. Etwa 10 000 Mandanten habe er durch die Videos gewonnen. "Bei all diesen Aktivitäten habe ich gelernt, dass der aufgebrachte Aufwand in der Regel doppelt und dreifach zurückgezahlt wird", sagt Solmecke.

Nicht immer hundertprozentig differenziert sprechen? Das kostet Mut

Es kann sich also durchaus lohnen, Wissen zu verschenken. Manchmal muss man davon aber erst einmal seine Kollegen überzeugen. Denn manche finden, dass jede Veröffentlichung in den Medien vor allem die Konkurrenz schlauer mache, erzählt Tim Wybitul. Der Spezialist für Datenschutzrecht ist zurzeit ein viel gefragter Mann. Er arbeitet für die internationale Wirtschaftskanzlei Hogan Lovells in Frankfurt und wurde als Sachverständiger auch schon vom Bundestag zu Gesetzesvorhaben angehört.

Wybitul will Werbung vor allem über Inhalte machen. Dafür publiziert er regelmäßig in Fachzeitschriften, um breitere Zielgruppen zu erreichen auch in einer großen Tageszeitung. "Intern stecke ich manchmal dafür schon etwas Kritik ein. Aber neben vielen Empfehlungen kommen Mandate eben auch über Veröffentlichungen", sagt er. Natürlich brauche man als Jurist Mut, sich pragmatisch auszudrücken, also auch mal nicht hundertprozentig differenziert und wissenschaftlich zu sprechen. In jeder Publikation gibt Wybitul Beispiele und Tipps, schließlich wolle niemand nur von Problemstellungen lesen. Seinen jungen Kollegen und Mitarbeitern erklärt er, wie man allgemein verständlich schreibt.

Auch soziale Medien wie Twitter nutzt Wybitul für sich und legt Wert darauf, bei Juristen-Rankings weit oben zu erscheinen. "Beim Thema Eigenwerbung muss man schon eine gewisse Schamlosigkeit an den Tag legen", sagt er, "frei nach dem Motto: Tue Gutes und verbreite es über möglichst viele Kanäle!" Nur so ließen sich unterschiedliche Zielgruppen erreichen. "Im Privatleben empfiehlt sich so ein Auftreten allerdings nicht."

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