Rauswurf-Seminar:... und raus bist du

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Mancher Arbeitgeber prüft seine Mitarbeiter bei verdeckten Assessment-Centern auf Herz und Nieren. Wer schlecht abschneidet, wird gekündigt.

Markus Radisch

Hansgeorg Kollwitz machte sich große Hoffnungen. Seit Jahren arbeitete er als stellvertretender Einkaufsleiter in einem Großunternehmen, und als im vergangenen Dezember die Einladung der Personalabteilung zu einem so genannten Perspektiven-Center kam, freute er sich: "Einen ganzen Tag lang sollte ich mit zwei externen Personalberatern meine beruflichen Ziele diskutieren und mit ihnen zusammen überlegen, was dafür zu tun sei. Wo meine Kernkompetenzen lägen, welche Trainings ich bräuchte, wie mich die Firma unterstützen könne", sagt der 44-jährige Hannoveraner, der in Wirklichkeit einen anderen Namen trägt. Kollwitz und zwei Dutzend anderer Kollegen im Konzern, die ebenfalls zu Einzelgesprächen gebeten wurden, waren begeistert: Endlich würde ihre Karriere wieder Fahrt aufnehmen.

Kurz und schmerzlos? "Den meisten Kick-out-Kandidaten ist ein Ende mit Schrecken lieber als ein Schrecken ohne Ende", meint ein Personalberater. (Foto: Foto: photodisc)

Das glaubte Kollwitz auch noch am Abend nach all den Präsentationsübungen, Interviews, Rollenspielen, Persönlichkeits- und Fachwissenstests. "Zum Schluss erzählten mir die Berater, wie sie mich sähen und worauf ich mich ihrer Meinung nach spezialisieren solle", sagt der Einkaufsleiter. "Da habe ich einiges über mich dazugelernt. Konkrete Hinweise auf den nächsten Karriereschritt gab es allerdings nicht. Das müsse ich mit der Personalabteilung besprechen." Zu Hause stieß Kollwitz mit seiner Frau auf die kommende Beförderung an.

Was er nicht wissen konnte, weil darüber niemand im Betrieb sprach: Jeder einzelne seiner Kollegen hatte aus dem Center die Hoffnung mitgenommen, im Job auf der sicheren Seite zu sein. Das freilich waren nur die Personalberater, denn sie konnten dem Unternehmen nach zwei Monaten eine sechsstellige Rechnung schicken. Kollwitz dagegen hat bis heute keine Gehaltserhöhung bekommen, ist immer noch stellvertretender Einkaufsleiter - und ein Jahr älter geworden.

"Ich habe mehrmals nachgefragt, was denn jetzt sei, aber da kam nichts." Die Hälfte seiner Center-Kollegen hat inzwischen die Firma verlassen. "Im Grunde bin ich noch ganz gut dran", sagt Kollwitz, "denn im Herbst steckte mir jemand aus der Personalabteilung, dass das Perspektiven-Center in Wahrheit eine Negativ-Auslese zu Tage fördern sollte. Die Geschäftsleitung wollte sich von außen Hinweise für die Entscheidung up or out holen. Ich bin offenbar im Mittelfeld gelandet. Jetzt weiß ich wenigstens, was Sache ist."

Das wüßte er auch, wenn die Veranstaltung ohne Etikettenschwindel ausgekommen wäre. Vielen außertariflich bezahlten Fach- und Führungskräften bleibt die wahre Bedeutung der so genannten Perspektiven-, Orientierungs- und Entwicklungs-Center lange Zeit verborgen. Denn die Zustimmung des Betriebsrates ist nur dann erforderlich, wenn Mitarbeiter im Tarifbereich durchleuchtet werden sollen - bei allen anderen hängt es vom Mut des Unternehmens ab, ob sie ihren AT-Kräften offen sagen, dass es sich um ein Auswahl- oder eben um ein Rauswahlverfahren handelt.

Jörg Will, Geschäftsführer der Kölner Personalberatung IFP, geht mehrheitlich von Ehrlichkeit aus. "Führungskräfte wissen, dass sie ständig auf dem Prüfstand stehen", sagt er, "ganz besonders bei Fusionen und Übernahmen." Er selbst lehnt verdeckte Assessment Center ab. "Selbstverständlich gibt es den Fall, dass Firmen ihren Mitarbeitern ein Entwicklungs-Assessment verkaufen, das in Wahrheit ein Auswahl-Assessment ist." Das dürfe man aber keinesfalls automatisch jeder solchen Veranstaltung unterstellen. Will: "Es gibt eben solche und solche." Die Frage ist nur: Wie findet man es heraus? Allein der Verdacht, es könne nicht mit rechten Dingen zugehen, macht viele Kandidaten im Entwicklungs-Center misstrauisch, schweigsam und damit chancenlos.

Die Telekom baut 32.000 Arbeitsplätze ab, DaimlerChrysler 8500, die Allianz 7000. Jeden Tag erreichen uns Meldungen über neue Stellenstreichungen. Und es kann jeden treffen, ganz gleich, ob er seit Jahrzehnten im Betrieb ist, ob er gerade erst als High-Potential anfängt oder längst als außertariflich bezahlte Führungskraft Karriere macht. Die Kaminzüge nach oben haben sich dramatisch verengt, und Heerscharen von noch jüngeren, oft noch besser ausgebildeten Kräften, treiben die außertariflich Bezahlten in die Defensive. Sie fragen sich: Aufstieg? Wohin? Und sie fürchten die nächste Konsolidierung oder Fusion, die ihre Entlassung bringen kann.

Ganz offen spielt deshalb der Frankfurter Personalberater Ilker Özsoy mit den grünen und roten Karten, die ihm seine Firmenkunden in die Hand geben. "Immer mehr Unternehmen wollen ihre Entscheidung darüber, wer kommt, wer bleibt und wer geht, durch eine objektive Instanz absichern", sagt er. "Wenn die Mitarbeiter wissen, worum es geht, dann ist das Verfahren vielleicht hart, aber sicher ehrlich und fair. Den meisten Kick-out-Kandidaten ist ein Ende mit Schrecken lieber als ein Schrecken ohne Ende." Und manchmal entdecke man auch Kandidaten, die zwar in ihrer momentanen Position fehl am Platz seien, aber woanders für das Unternehmen wertvoll sein könnten.

Während die meisten Personalberater Einzelgespräche führen, was sich bei der Vielzahl der Teilnehmer über Monate hinziehen kann und enorme Kosten verursacht, arbeitet Özsoy auch bei Exit-Assessments lieber mit Gruppen von bis zu zehn Mitarbeitern, die genau wissen, was auf sie zukommt. "Nach einem halben Tag sind die beiden unteren Quartile identifiziert und können nach Hause gehen. Am Nachmittag arbeiten mein Partner und ich dann intensiv mit der oberen Hälfte der Gruppe. Am Ende können wir zwar kein individuelles Ranking aufstellen - dafür ist die Zeit zu kurz -, aber wir können klare Gruppen bilden: ungeeignet, geeignet und diskussionswürdig." Und wenn sich einer im Exit-Assessment verbiegt, um nur ja mit heiler Haut davon zu kommen? "Das finden wir raus", sagt der Berater selbstbewusst, "die Kandidaten ahnen ja gar nicht, auf was wir alles achten."

© SZ vom 26.11.2005 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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