Querelen mit Kollegen:Wenn die Fetzen fliegen

Lesezeit: 4 min

Die Wut auf Kollegen und den Chef hinunterzuschlucken, schadet der Gesundheit. Da sollte man besser Streit suchen - die Frage ist nur, wie.

Petra Meyer

Wer an Streit denkt, phantasiert oft hitzige Wortgefechte. Meist unterliegt dabei am Ende einer der Kontrahenten, fühlt sich bedroht oder gekränkt. Eine Erfahrung, die viele Menschen unangenehm finden und daher jedem Streit aus dem Weg gehen. "Schade", sagt Angela Roethe. "Das Leben ist so viel facettenreicher, wenn man sich zu streiten traut."

Die erfahrene Mediatorin, die gemeinsam mit einer Kollegin vor elf Jahren in München eine Streitschule gründete, spricht von Lust und Würde, wenn es ums Streiten geht. Weil es für sie heißt, sich für eine Sache einzusetzen, die ihr am Herzen liegt. Und zwar fair.

Schlag auf Schlag

Das klingt zunächst nach Gutmenschentum. Nach hehrer Theorie, die nicht für den Alltag taugt. Weil von Lust wenig zu spüren ist, wenn sich die Mitarbeiterin eines Kundenzentrums von unzufriedenen Käufern beleidigen oder beschimpfen lassen muss. Oder wenn der Kollege schon am frühen Morgen meckernd über einen herfällt. Da geht es nicht selten Schlag auf Schlag, weil sich niemand vom anderen herunterputzen lassen will. Wer seinen Dampf so ablässt, ist ihn zwar los. Das Problem an sich bleibt indes oft ungeklärt.

Bei ungleichen Machtverhältnissen schluckt auch schon mal einer der Kontrahenten resigniert den Ärger herunter. Doch leider löst dieser sich selten auf. Vielmehr nagt er unablässig am Selbstbild. Sprachbilder zeugen von der Kraft der destruktiven Energie. Wie oft sagt jemand: "Das schlägt mir auf den Magen, es geht mir an die Nieren." Hält dieser Zustand lange an, entwickeln sich nicht selten körperliche Beschwerden, die sich jedoch beim Gang zum Arzt nicht klar diagnostizieren lassen. Die Seele aber signalisiert dem Körper: Es tut weh.

Zielsicher treffen und schachmatt setzen

Grund genug also, sich Gedanken zu machen, warum manchmal aus der berüchtigten Mücke ein Elefant wird und wie das vermieden werden kann. Die Mediatorin Angela Roethe kennt die Zutaten eines eskalierenden Streits. In ihren Kursen spricht sie von typischen Streitkeulen, die das Gegenüber zielsicher treffen und schachmatt setzen sollen: Da wird gedroht, gespottet, besserwisserisch dahergeredet, moralisiert oder abgewiegelt. Wer sich dieser Keulen bedient, diskutiert nicht auf Augenhöhe. Die Botschaft heißt vielmehr: "Ich habe recht, und du musst was ändern." Was kaum jemand akzeptiert, der es nicht zuvor selbst eingesehen hat.

Auch kleine Wörter wie "immer, nie, jemals, selten" haben eine faszinierend negative Wirkung, da sie den Anderen unausweichlich festschreiben. Ganz zu schweigen von den alltäglichen "Du-Botschaften", die die eigene Verantwortung für das Geschehen leugnen. "Sie sind einfach inkompetent", ist auch als Führungskraft viel einfacher zu sagen als "Ich frage mich, wie ich Sie in diesem Punkt unterstützen kann."

Wer besser streiten können will, tut Roethe zufolge zudem gut daran, seine vier Ohren zu spitzen. Denn dass der Mensch zwar anatomisch zwei Ohren hat, aber mit vieren hört, hat der Hamburger Kommunikationswissenschaftler Friedemann Schulz von Thun gezeigt. Wenn beispielsweise der Chef genervt poltert: "Jetzt reicht's mir langsam, das muss sich ändern!", hört ein Ohr die reine Sachinformation (so geht es nicht weiter). Der Chef, so das zweite Ohr, sagt aber auch etwas über sich selbst (er ist arg genervt). Das dritte Ohr vernimmt eine Botschaft auf der Beziehungsebene (immer lässt er seine Wut an mir aus), und schließlich hört das vierte Ohr einen Appell (er will, dass ich es richte).

Auf der nächsten Seite: Warum Gesagtes und Gehörtes so oft nicht übereinstimmen - und was man dagegen tun kann.

Toben, heulen, verzweifelt sein

Jeder Mensch, so Schulz von Thun, hat seine vier Ohren im Laufe des Lebens unterschiedlich gespitzt und daraus Verhaltensmuster entwickelt. Einige hören nur auf dem Appellohr und glauben, sie müssten stets handeln. Andere hingegen vernehmen vielleicht nur die Sachinformation und reagieren nicht darauf, wenn jemand tobt, heult oder verzweifelt ist. Geglückte Kommunikation findet jedoch nur statt, wenn Gesagtes und Gehörtes übereinstimmen. Genau das aber ist oft nicht der Fall.

In der Schule des Streits lernen die Teilnehmer wahrzunehmen, was hinter den gesagten Worten steckt. In vier Schritten üben sie in vielen Rollenspielen, was der Amerikaner Marshall B. Rosenberg "gewaltfreie Kommunikation" nennt. Der international renommierte Konfliktmediator ist davon überzeugt, dass jeder für seine eigenen Gefühle verantwortlich ist und nicht der Andere. Gleichwohl sucht der, der wütend ist, den Fehler meist beim Gegenüber. Ein Irrweg, so Rosenberg. Er plädiert vielmehr dafür, ganz bei sich zu bleiben und nachzuspüren, welches eigene Bedürfnis Ursache der Wut ist und gerade nicht befriedigt wird. Und daraus eine konkrete Bitte abzuleiten.

Bewerten statt beobachten

Wird man hingegen mit dem Ärger einer anderen Person konfrontiert, ist einfühlsames Zuhören gefragt. Dann rät der Mediator, nicht auf die tatsächlich geäußerten Worte einzugehen, sondern möglichst das Gemeinte hinter dem Gesagten zu verstehen. Denn auch hinter dieser Wut versteckt sich ein Bedürfnis.

Rosenbergs Zauberworte heißen daher: beobachten, fühlen, brauchen, bitten. Hört sich leicht an, ist aber ganz schön schwer. Und so stolpern im Streitseminar viele Teilnehmer anfangs in den Rollenspielen über die klare Trennung der vier Schritte. Kein Wunder, denn im Alltag sind die meisten Menschen geübter darin, zu bewerten als zu beobachten. Auch sind sie nicht gewohnt, überhaupt ihre Gefühle zu benennen und dann auch noch zu erklären, welches Bedürfnis gerade verletzt wird. Und aus all dem eine Bitte - und nicht eine Forderung - positiv zu formulieren, überfordert viele schlicht. Zumal Wortgefechte sich oft in rasender Geschwindigkeit entwickeln. Und der kühle Verstand dank hirnphysiologischer Prozesse versagt, sobald der Mensch sich emotional erregt.

In der Hitze des Gefechts

Die Methode verlangt Übung, so viel wird rasch klar. Denn sie stellt die alltäglichen Reaktionsmuster auf den Kopf. Auch Angela Roethe gibt unumwunden zu, nicht immer professionell streiten zu können. "Wenn ich zu aufgewühlt bin, erbitte ich mir eine Auszeit, um mich wieder abzuregen. Wenn ich dennoch mal jemanden kränke, kann ich mich heute im Gegensatz zu früher auf der Stelle dafür entschuldigen." Selbst wenn wohl kaum jemand nach zwei Tagen Streitseminar die Methode beherrscht, sie verändert gleichwohl die innere Haltung zum Streit. Wer erkennt, dass hinter der eigenen Wut oder den verletzenden Worten des Anderen unerfüllte Bedürfnisse stecken, konzentriert sich darauf, sie zu erfüllen. Denn darin liegt der wahre Gewinn des Streits. Oder er wagt zumindest leichter einen zweiten Anlauf, wenn in der Hitze des Gefechts doch mal wieder alles drunter und drüber gegangen ist.

© SZ vom 4.9.2009 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: